Europaflaggen wehen vor dem Sitz der EU-Kommission
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Europawahl: Wie mächtig wird Rechtsaußen im Parlament?

Europawahl: Wie mächtig wird Rechtsaußen im Parlament?

Europas Wählerinnen und Wähler haben den Kontinent nach rechts gerückt, aber die Mehrheit in der Mitte bewahrt. Die Chancen für Ursula von der Leyens Wiederwahl als EU-Kommissionspräsidentin stehen nicht schlecht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Ursula von der Leyen ist ihrem Ziel, EU-Kommissionspräsidentin zu bleiben, ein großes Stück nähergekommen. Die CDU-Politikerin ist Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP), in der die Europa-Abgeordneten der deutschen Unionsparteien sitzen. Die EVP konnte bei der Europawahl zulegen und kommt im Europäischen Parlament jetzt auf 185 Mandate (vorher 176).

Sozialdemokratische Parteien in anderen EU-Staaten haben die Verluste der SPD in Deutschland praktisch ausgeglichen, ihre Europa-Fraktion verfügt künftig über 137 Sitze, zwei weniger als bisher. Die europäischen Liberalen leiden vor allem unter der Schlappe der Renaissance-Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, sie kommen statt 102 Mandaten nun auf 79.

Mehrheitsbeschaffer Manfred Weber

Trotzdem verfügen die Fraktionen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen zusammen im künftigen Parlament weiter über eine klare Mehrheit von 403 Stimmen der insgesamt 720 Abgeordneten. Von der Leyen erklärte in der Wahlnacht, es gebe eine Mehrheit für ein starkes Europa der Mitte. Nach ihren Worten verhandelt die EVP jetzt mit Sozialdemokraten und Liberalen. Es ist Aufgabe des EVP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, die Mehrheiten für eine Wiederwahl von der Leyens zu organisieren. Dafür verlangen Sozialdemokraten und Liberale Zugeständnisse.

Wacklige Mehrheit

Es ist keineswegs sicher, dass die drei Fraktionen geschlossen für von der Leyen stimmen und könnte deshalb knapp werden. 2019 hat das EU-Parlament von der Leyen nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von neun Stimmen als Kommissionschefin bestätigt.

Möglicherweise sucht Weber deshalb zusätzlich die Unterstützung der Grünen, um eine stabilere Mehrheit für von der Leyen zu schmieden. Grüne und Sozialdemokraten haben als Voraussetzung für eine mögliche Zusammenarbeit verlangt, dass die EVP nicht mit Rechtsaußen-Parteien kooperiert. EVP-Fraktionschef Weber schließt eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen Partei Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni aber nicht aus.

Wahlsiegerin EVP

Die EVP hatte sich im Wahlkampf vom Vorzeigeprojekt ihrer Spitzenkandidatin distanziert – dem Green Deal von Kommissionschefin von der Leyen, der sicherstellen soll, dass die EU bis Mitte des Jahrhunderts unter dem Strich keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr ausstößt. Künftig wird die EVP ihren Kurs, bei der Umsetzung der Klimagesetze mehr Rücksicht auf die Wirtschaft zu nehmen, leichter umsetzen können. Nach ihren Zugewinnen bei der Wahl ist in der neuen Legislaturperiode kaum noch eine Mehrheit links von der EVP zu organisieren. In den vergangenen Monaten konnten andere Parteien gegen den Willen der EVP das faktische Aus für den Verbrennungsmotor bei Neufahrzeugen ab 2035 und das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur durchsetzen.

Grafik: Europa hat gewählt – Das neue EU-Parlament

Gegenwind von rechts

Aus den Rechtsaußen-Fraktionen wird künftig stärkerer Gegenwind bei wichtigen europäischen Vorhaben wehen – etwa, wenn es darum geht, die Klimagesetze oder den EU-Asylpakt umzusetzen. Europaskeptische, nationalistische und rechtspopulistische Parteien haben bei der Wahl teilweise deutlich zugelegt – etwa der Rassemblement National in Frankreich, die Fratelli d’Italia, die AfD, die FPÖ sowie der belgische Vlaams Belang. Die beiden Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament, EKR und ID, wurden zwar stärker, aber nicht im vorhergesagten Umfang. Von einer Gestaltungsmacht sind die Rechtspopulisten immer noch weit entfernt.

Außerdem bleibt offen, ob sie ihren Stimmenzuwachs in parlamentarische Schlagkraft umsetzen können. Bisher scheiterte eine Zusammenarbeit der Rechtsparteien an unterschiedlichen Ansichten zur Migrationspolitik und in Bezug auf das Verhältnis zu Russland. Die AfD und der ungarische Fidesz, die beide enge Beziehungen zu Moskau pflegen, gehören derzeit keiner Fraktion an.

Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs

In den kommenden Tagen und Wochen werden sich die Fraktionen zusammentun und ihre Vorsitzenden wählen. Abgesehen von der Mehrheitsfindung im Parlament ist der Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs und –chefinnen in einer Woche entscheidend. Die 27 wollen eine Vorentscheidung über den Spitzenposten in der EU-Kommission treffen.

Laut den EU-Verträgen schlagen sie dem Parlament einen Kandidaten oder eine Kandidatin vor und berücksichtigen dabei das Wahlergebnis. Dafür reicht die qualifizierte Mehrheit. Zwölf der Staats- und Regierungschefs am Gipfeltisch gehören zur EVP und damit zu von der Leyens Parteienfamilie. Damit sie Kommissionschefin bleiben kann, müssten noch mindestens drei weitere Chefs aus großen Mitgliedsstaaten für sie stimmen. Offen ist zum Beispiel, ob Frankreichs Präsident Macron von der Leyen noch unterstützt, der sie 2019 vorgeschlagen hatte.

Die Kandidatin selbst ist sich sehr wohl bewusst, dass sie trotz guter Ausgangslage noch lange nicht am Ziel ist: "Ich weiß, dass noch viel harte Arbeit vor mir liegt", erklärte von der Leyen in der Wahlnacht.

Im Video: So lief die Wahl in Italien

Anja Miller in Rom
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