Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr in Deutschland mehr als eine halbe Million Mitglieder verloren. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mitteilte, gehörten ihr zum Stichtag 31. Dezember 2023 rund 18,6 Millionen Menschen an. Das entspricht einem Rückgang von rund 593.000 im Vergleich zum Vorjahr – ein Verlust von 3,1 Prozent.
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Evangelische Kirche: Rund jeder fünfte Mensch Mitglied
Rund 21,9 Prozent der deutschen Bevölkerung waren demnach Ende vergangenen Jahres Mitglied einer der 20 evangelischen Landeskirchen. Ende 2022 lag dieser Wert noch bei 22,7 Prozent.
Gründe für den Mitgliederschwund sind Kirchenaustritte und Sterbefälle. Im zweiten Jahr infolge lag hier die Zahl der Kirchenaustritte (380.000) über jener der Sterbefälle (340.000). Die Austrittsrate stieg erneut leicht auf 1,98 Prozent – ein neuer Rekordwert. Taufen und Wiedereintritte konnten den Trend nicht stoppen: 140.000 Menschen wurden den Angaben zufolge im Jahr 2023 getauft, 20.000 Menschen traten in die evangelische Kirche ein.
Fast sechs Milliarden Euro Kirchensteuer
Auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer sanken im Jahr 2023 – und zwar um 5,3 Prozent auf gut 5,91 Milliarden Euro. Im Jahr 2022 hatte es bei der Kirchensteuer noch einen Anstieg von 4,1 Prozent gegeben.
EKD-Ratsvorsitzende: "Nach wie vor hohe Erwartungen an die Kirchen"
"Wir werden eine kleinere und ärmere Kirche", erklärte die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs. "Auch mit weniger Mitgliedern bleibt es aber unsere Aufgabe, uns für Nächstenliebe, Menschlichkeit und die Weitergabe des christlichen Glaubens einzusetzen."
Viele Menschen hätten nach wie vor hohe Erwartungen an die Kirchen, betonte Fehrs. "Sie wünschen sich von uns den Einsatz für sozial benachteiligte Menschen, für Bildung und für den Zusammenhalt der Gesellschaft." Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, müsse die Kirche immer wieder Handeln und Strukturen auf den Prüfstand stellen. "Das ist auch wichtig im Blick auf die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie."
Bayerische Landeskirche: Knapp drei Prozent weniger Mitglieder
Wie die bayerische Landeskirche zeitgleich mitteilte, gehörten ihren bayernweit 1.530 Kirchengemeinden zum 31. Dezember 2023 noch rund 2.084.000 Kirchenmitglieder an – das sind rund 58.800 Menschen beziehungsweise 2,8 Prozent weniger als Ende 2022. Einen Rückgang verzeichnet die evangelische Landeskirche auch bei der Zahl der Eintritte: Im Jahr 2023 sind 2.172 Personen in die Kirche eingetreten – bei noch 2.785 Eintritten im Jahr zuvor.
Laut der Mitteilung will sich der bayerische Landesbischof Christian Kopp davon nicht beirren lassen. In diesen unsicheren Zeiten mit Klimawandel und Kriegen sei der christliche Glaube eine starke Quelle der Hoffnung, so der bayerische Landesbischof. Er betonte, wie wichtig es gerade in diesen Zeiten sei, dass Kirche aktiv sei und den Menschen zeige, dass sie nicht allein seien.
Im Gespräch mit dem BR sagte Kopp, die Landeskirche versuche, bei möglichst vielen Themen "sehr, sehr nah dran zu sein" an ihren Mitgliedern. "Wir begleiten Kinder und Jugendliche, wir begleiten Menschen in Krisensituationen ihres Lebens. Wir kümmern uns ganz intensiv im Religionsunterricht darum, dass das ganze Thema: was hält dich im Leben, die Werte, für die diese Demokratie auch steht, dass die vermittelt werden."
Kontakt verloren, Kritik an der Institution Kirche, kein Interesse
Eine der fast 60.000 Menschen, die im vergangenen Jahr aus der evangelischen Landeskirche ausgetreten sind, ist die 45-jährige Vera aus Regensburg. Bei anderen habe sie gesehen, wie unkompliziert der Kirchenaustritt war, erzählt sie im Gespräch mit dem BR. Da tat sie es auch.
Dabei sei sie als Kind eigentlich gerne in die Kirche gegangen, erinnert sich Vera. "Das war tatsächlich damals auch sehr wichtig und sehr schön für mich, weil das einfach eine Zeit war, wo auch viel Krankheit in meiner Familie war und mir das eben einen Halt gegeben hat, den ich gebraucht habe."
Heute als Erwachsene sieht Vera die Kirche mit anderen Augen und sie hat viele kritische Anfragen. "Auseinandersetzung mit der Rolle im Dritten Reich, Auseinandersetzung mit den Missbrauchsvorfällen da finde ich sehr Vieles noch eher halbherzig", sagt sie. Vor allem aber habe sie letztlich ein Grund zum Austritt bewogen, so Vera: Sie glaubt nicht an Gott.
Religionssoziologe: Kirchen können Säkularisierung nicht aufhalten
Das sei typisch, so der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. "Wir haben also in den letzten Jahren nicht nur einen Rückgang in im Vertrauen in die Kirche, sondern wir haben auch einen sehr starken Rückgang im Glauben an Gott." Dieser Trend falle sogar noch dramatischer aus als der Rückgang bei der Kirchenbindung.
Auch wenn die Kirchen in den vergangenen Jahren "viel dialogischer, viel menschenfreundlicher" geworden seien, könnten sie diesen allgemeinen Trend zur Säkularisierung nicht aufhalten, so der Religionssoziologe im Gespräch mit dem BR. "Das ist tragisch, weil man sieht, dass Kirchenmitgliedschaft und auch Glaube an Gott nicht allein vom Handeln der Kirchen abhängt."
Mit Informationen von epd und KNA
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