Darum geht's:
- Deutschland ist der größte Nettozahler für den Haushalt der Europäischen Union.
- Das liegt daran, dass Deutschland das wirtschaftsstärkste EU-Land ist und andere EU-Länder mehr Zahlungen erhalten.
- Trotzdem ist die EU-Mitgliedschaft für Deutschland von wirtschaftlichem Vorteil, sagen Experten und wird in Studien berechnet.
Die EU besteht aus 27 Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher Größe, Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft. Momentan wählen die Bürger dieser 27 Länder das Europäische Parlament. Auch im EU-Wahlkampf wurden die Lebensumstände in diesen Ländern miteinander verglichen.
Wer zahlt wie viel Geld? Das interessiert viele auch beim EU-Haushalt. Zwei Wörter sind dabei Deutschlands ständige Begleiter: "Größter Nettozahler". Das bedeutet, dass Deutschland mehr an die EU zahlt, als zurückfließt. Häufig schwingt mit: Das rentiere sich nicht.
Es ist korrekt, dass Deutschland der größte Nettozahler im EU-Haushalt ist. Das liegt daran, dass in Deutschland mehr erwirtschaftet wird als in allen anderen EU-Ländern. Die Differenz zwischen den Beiträgen zum EU-Haushalt und den Rückflüssen wird als "Haushaltssaldo" bezeichnet. Bis 2020 veröffentlichte die EU-Kommission selbst den Haushaltssaldo, seitdem nicht mehr.
So berechnen sich die Zahlungen
Allerdings rechnet zum Beispiel das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ebenfalls jedes Jahr den Saldo aus. Dabei benutzt es die Formel, die die EU-Kommission in der Vergangenheit verwendete. Vereinfacht gesagt werden die Ausgaben der EU, die in die Mitgliedsländer fließen, als Plus gutgeschrieben.
Dazu gehören zum Beispiel das Geld für die gemeinsame europäische Agrarpolitik, das an die Landwirte fließt. Verwaltungsausgaben der EU, die zum Beispiel in Luxemburg und Belgien anfallen, fallen nicht darunter. Die EU-Kommission argumentiert, dass die Verwaltungsausgaben allen Mitgliedstaaten nützen. Von diesem Plus werden die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt abgezogen.
Deutschland ist größter Nettozahler
Nach der aktuellen Berechnung des IW Köln zahlte Deutschland 2022 insgesamt 19,7 Milliarden Euro mehr in den EU-Haushalt ein, als es erhielt. Es ist der höchste Wert aller EU-Länder. Von 2014 bis 2020 hatte Deutschland im Schnitt einen Haushaltssaldo von minus 13,5 Milliarden Euro, so das IW. Nachdem das Vereinigte Königreich ausgetreten war, musste Deutschland aber mehr bezahlen. Für die nächsten Jahre erwartet das IW Entlastungen bei den deutschen Nettozahlungen, wenn sich die Konjunktur weiterhin schwächer entwickelt als in anderen Mitgliedstaaten.
Auch wenn man die Pro-Kopf-Zahlen heranzieht, liegt Deutschland an der Spitze. Auf jeden Deutschen kommen in dieser veranschaulichenden Rechnung 237,05 Euro pro Kopf. Irland, Schweden und die Niederlande liegen jeweils knapp unter 200 Euro pro Kopf.
Warum zahlt Deutschland besonders viel?
Der Beitrag zum EU-Haushalt wird folgendermaßen festgesetzt: Zuerst rechnet jedes Land nach einem vorgegebenen, für alle gleichen System sein sogenanntes Bruttonationaleinkommen (BNE) aus. Das BNE erfasst das Einkommen aller in Deutschland lebenden Personen und der Unternehmen, die in Deutschland sitzen.
Die EU hat eigene Einnahmen, zum Beispiel Zölle oder Strafzahlungen. Für den danach noch ungedeckten Großteil des Haushalts kommen die Mitglieder auf. Dafür wird ein einheitlicher Prozentsatz von der EU-Kommission festgelegt, den jedes Land von seinem BNE in den EU-Haushalt einzahlt. Diese sogenannten BNE-Eigenmittel sind der größte Anteil, den die Länder für den EU-Haushalt aufbringen.
Der #Faktenfuchs erhielt von der EU-Kommission die zugrunde liegenden BNE der Mitgliedstaaten. Deutschland liegt 2022 mit rund 3,7 Billionen Euro mit Abstand auf dem ersten Platz. Frankreich auf Platz zwei folgt mit 2,8 Billionen Euro.
Ärmere Länder erhalten mehr Geld aus dem EU-Haushalt
Das hohe BNE sei der erste Grund für den deutschen Haushaltssaldo, sagt Berthold Busch. Der Volkswirtschaftler war an der Berechnung des IW beteiligt. Ein weiterer Grund ist, dass die EU-Staaten unterschiedlich viel aus dem gemeinsamen Haushalt bekommen. Busch sagt: "Und da profitieren natürlich vor allem Länder, in denen die Landwirtschaft einen großen Stellenwert hat."
Die größten Netto-Profiteure des Agrar-Haushalts sind laut IW zum Beispiel Griechenland, Bulgarien und Litauen. Deutschland ist im Bereich Agrar Nettozahler. Ein anderer großer Teil der EU-Ausgaben betrifft die sogenannte Kohäsionspolitik. Dabei investiert die EU in ärmeren Ländern, um Ungleichheiten innerhalb der EU abzubauen.
Experten und Studien: Deutschlands Wirtschaft profitiert von der EU
Aus einem negativen Haushaltssaldo lässt sich aber nicht ableiten, dass die EU-Mitgliedschaft Deutschland nur koste, sagt Berthold Busch vom IW: "Das wäre ja viel zu kurz gesprungen." Im EU-Binnenmarkt gibt es den freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr. Die meisten EU-Länder haben den Euro als gemeinsame Währung. Busch sagt: "Wir haben also diese vier Freiheiten, die ja für die Unternehmen und für die Verbraucher erhebliche Vorteile bringen, auch wirtschaftliche Vorteile. Insofern muss man dann schon das Gesamtbild sehen."
Auf #Faktenfuchs-Anfrage schreibt die EU-Kommission: "Mit dem Konzept des Saldenausgleichs lassen sich nicht die Vorteile erfassen, die den EU-Mitgliedstaaten aus ihrer Zugehörigkeit zum Binnenmarkt, aus den Maßnahmen zur Bewältigung der Migration und aus der Bekämpfung des Terrorismus und des Klimawandels erwachsen."
Deutsche Unternehmen profitierten laut EU-Kommission ebenfalls davon, wenn andere EU-Länder Geld bekommen: "So fließt ein erheblicher Teil der Regionalfördermittel in die deutsche Industrie – in die Bau-, Baugeräte- und Baustoffindustrie, den Maschinen- und Fahrzeugbau, Ingenieurbüros – sie alle verdienen an den Aufträgen, die aus den Ländern kommen, die von der EU-Kohäsionspolitik finanziell unterstützt werden."
Studien zum wirtschaftlichen Vorteil durch die EU
Es gibt auch wissenschaftliche Studien, die versuchen, den wirtschaftlichen Wert der EU für Deutschland zu bestimmen. Deutschland profitiert laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2019 von allen europäischen Staaten am meisten vom EU-Binnenmarkt. Pro Kopf gebe es durch die ökonomischen Effekte 1.046 Euro Mehreinkommen pro Jahr. Regionen mit starker Industrie und einem starken Dienstleistungssektor sowie viel Export seien die größten Profiteure. Innerhalb Deutschlands profitiere deswegen die Region Oberbayern am meisten vom EU-Binnenmarkt.
Forscher des Münchner ifo-Instituts modellierten in einer Studie, was für Auswirkungen eine Auflösung der EU hätte. Das Bruttoinlandsprodukt würde laut Studie in Deutschland um 5,2 Prozent zurückgehen. "Die Vorteile, die die Nettozahler aus einem Ende der Transferzahlungen ziehen könnten, wären jedoch viel kleiner als die Verluste, die durch eine Auflösung der EU entstehen würden", sagte ifo-Forscherin Jasmin Gröschl bei Veröffentlichung der Studie.
Nach einer IW-Studie hätte Deutschland in den fünf Jahren nach einem hypothetischen "Dexit" im Jahr 2016 insgesamt 5,6 Prozent seines BIPs verloren. "Aufsummiert über die gesamten fünf Jahre hätte der volkswirtschaftliche Verlust rund 690 Milliarden Euro betragen", schreiben die Autoren. Das wären pro Jahr 138 Milliarden Euro Verlust. Die geringere Wirtschaftsleistung entspräche dem Verlust von gut 2,5 Millionen Arbeitsplätzen.
Fazit
Es ist korrekt, dass Deutschland unter den EU-Mitgliedsländern den größten Beitrag zum EU-Haushalt leistet. Der Grund ist, dass hierzulande besonders viel Wert erwirtschaftet wird und Länder mit viel Landwirtschaft und weniger starken Volkswirtschaften mehr Geld von der EU erhalten.
Experten sagen und Studien zeigen, dass Deutschland andererseits sehr viele wirtschaftliche Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft hat. Als Land mit viel Export profitiert Deutschland besonders vom EU-Binnenmarkt.
Unsere Quellen
Hier listen wir die Quellen auf, die wir für die Recherche verwendet haben. Neben den im Artikel verlinkten Quellen wurden im Zuge der Recherche weitere verwendet.
Interviews/Presseanfragen
Interview mit Bertold Busch, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln
Presseanfrage bei der EU-Kommission
Studien
Bardt, Hubertus u.a. (2024): Brexit – Kein Vorbild für Deutschland.
Felbermayr, Gabriel u.a. (2023): Complex Europe: Quantifying the Cost of Disintegration.
Artikel/Veröffentlichungen
Bundeszentrale für politische Bildung: Nettozahler und Nettoempfänger in der EU.
Europäische Kommission: EU-Haushalt 2013 - Finanzbericht.
Europäische Kommission: European Agricultural Guarantee Fund.
Europäische Kommission: European Regional Development Fund.
Europäische Kommission: Nationale Beiträge.
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