Teyfik Özcan bei einer Wahlkampfveranstaltung von Dava in Berlin.
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07.06.2024: Teyfik Özcan bei einer Wahlkampfveranstaltung von Dava in Berlin.

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#Faktenfuchs: Kein Mandat für Erdogan-nahe Dava-Partei

Die Dava-Partei, die der türkischen AKP nahestehen soll, kann keinen einzigen Abgeordneten ins EU-Parlament schicken – so wenige Stimmen hat sie bekommen. User teilten dennoch irreführende Zahlen und schürten Angst vor einer Islamisierung.

Darum geht's:

  • Die DAVA, die der Partei des türkischen Präsidenten Erdoğan nahestehen soll, ist bei der Europawahl in Deutschland angetreten. Sie hat aber zu wenige Stimmen erhalten, um einen Abgeordneten ins Europaparlament zu schicken.
  • Auf X posteten User einen Screenshot mit einem Balkendiagramm der Wahlergebnisse aus einem einzelnen Duisburger Wahlbezirk. Dort hat Dava gut abgeschnitten. Wegen der sehr geringen Wahlbeteiligung ist das aber nicht aussagekräftig: Tatsächlich haben in dem Stimmbezirk nur 90 Menschen Dava gewählt.
  • Mit ihren Posts erweckten die User den Eindruck, die Zahlen stünden für eine breitere Entwicklung oder gar eine drohende Islamisierung.

Bei der Europawahl gibt es in Deutschland noch keine Sperrklausel. Deshalb haben es bei der Abstimmung mehrere kleine Parteien wie die Tierschutzpartei, die ÖDP, Familie und die Partei des Fortschritts mit je einem Abgeordneten ins EU-Parlament geschafft. Der Anfang 2024 gegründeten Partei Dava (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch), die Kritiker und Politiker etwa von SPD und Grünen als verlängerten Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP sehen, gelang der Einzug ins EU-Parlament nicht.

Die Partei selbst weist eine Verbindung zur AKP zurück. Beobachter schätzen die Partei jedoch anders ein: "Die Partei kann in ihrem Wahlprogramm schreiben, was sie will. Sie bleibt ein Ableger der AKP, der es vorrangig um Lobbyarbeit für das Erdoğan-Regime in der EU gehen wird", sagte der Politologe und Türkei-Forscher Burak Çopur, Professor an der IU Internationalen Hochschule Essen Anfang des Jahres im Gespräch mit BR24.

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  • Auch wenn es nicht für einen Einzug ins EU-Parlament reichte – gleich mehrere User posteten auf X (ehemals Twitter) ein Balkendiagramm zu Dava und sprachen davon, dass in Duisburg - also ganz Duisburg - "Islamisten mit 41 Prozent gewählt werden". Einer der Posts, verfasst von einer Autorin, die auch für das schon in der Vergangenheit mit Falschbehauptungen im Bereich Migration aufgefallen Blog "Achse des Guten" schreibt, wurde mehr als 450.000 Mal angezeigt. In anderen Posts und Kommentaren äußern User, sie hätten Angst vor einer "Islamisierung" Deutschlands.

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    Auf X posteten User ein Balkendiagramm zu Dava.

    Der #Faktenfuchs klärt, was an den Zahlen und Befürchtungen dran ist:

    Hohe Zustimmungswerte in kleinen Duisburger Bezirken

    Tatsächlich zeigt die gepostete Tabelle ein Abstimmungsergebnis aus Duisburg, und zwar aus dem Stimmbezirk 1001. Der entsprechende Stadtteil heißt Bruckhausen. Dort erzielte Dava, deren Mitglieder überwiegend türkischen Migrationshintergrund haben, 41,1 Prozent.

    Wichtig zur Einordnung: Im Stimmbezirk 1001 gab es nur 881 Wahlberechtigte, die Wahlbeteiligung lag bei 25,31 Prozent. Das heißt: Tatsächlich haben dort nur 90 Menschen Dava ihre Stimme gegeben. Im Duisburger Stimmbezirk 0602 kam Dava gar auf 43,12 Prozent. In dem Bezirk waren 592 Menschen wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung lag bei 18,41 Prozent – das sind 47 Stimmen. Auch in einzelnen anderen Bezirken der Ruhrstadt erreichte Dava zweistellige Prozent-Anteile.

    In ganz Duisburg kam Dava auf 2,5 Prozent

    Blickt man allerdings auf ganz Duisburg, fallen die Zustimmungswerte deutlich niedriger aus: Insgesamt bekam Dava in der Stadt 4.276 Stimmen, das entspricht einem Anteil von 2,5 Prozent. Bundesweit ist das der höchste prozentuale Wert, den Dava erzielen konnte.

    In Bayern stimmten 12.896 Menschen für Dava

    In Bayern erhielt Dava vergleichsweise wenige Stimmen, nämlich 0,2 Prozent (12.896 Stimmen). Prozentual am höchsten war die Zustimmung im Freistaat in der Stadt Schweinfurt in Unterfranken. Dort machten 197 Menschen ihr Kreuz bei Dava (1,0 Prozent). Bundesweit erhielt Dava 148.724 Stimmen (0,4 Prozent).

    Dies zeigt: Auch wenn der prozentuale Stimmanteil in einzelnen Duisburger Stimmbezirken mit geringer Wahlbeteiligung hoch war, bundesweit war die Zustimmung für Dava gering – so gering, dass die Partei keinen Abgeordneten ins Europaparlament entsenden kann.

    Wer stimmt für Parteien wie Dava?

    Die Gründe, aus denen Menschen für die Dava stimmen, sind nach Ansicht von Experten vielfältig. Zum einen hätten viele Menschen in den relevanten Duisburger Stimmbezirken einen Bezug zur Türkei. In Bruckhausen etwa haben mehr als 80 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund, die meisten davon seien türkischer Herkunft. Und: "Der Anteil der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger liegt deutlich über dem der Gesamtstadt", heißt es auf der Webseite der Geschäftsstelle des Städtenetzes Soziale Stadt NRW über den Stadtteil Bruckhausen.

    Valide Zahlen zum Wahlverhalten potenzieller Dava-Wähler oder ähnlicher Parteien gibt es nicht. Dafür gebe es zu wenige Daten, sagt der Politologe Jonas Elis von der Universität Duisburg Essen. Der Wissenschaftler war an der 2021 durchgeführten Immigrant German Election Study II beteiligt, die sich mit dem Wahlverhalten von Migranten und Migrantinnen in Duisburg bei der Bundestagswahl 2021 befasste.

    Elis weist aber darauf hin, dass in der Vergangenheit viele türkeistämmige Wähler, die in der Industrie tätig waren und über Gewerkschaften sozialisiert gewesen seien, der SPD nahestanden. Diese Parteibindungen lösten sich aber langsam auf. Elis: "Dadurch entsteht eine Versorgungslücke seitens des Parteiensystems für diese Menschen." Diese Lücke versuche Dava offenbar zu füllen.

    Ähnlich argumentiert der Politologe Caner Aver von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen: Bei vergleichbaren Parteien wie BIG, dem Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit, das ebenfalls als deutscher Ableger der AKP gilt, habe man in der Vergangenheit beobachtet, dass die Wählerschaft "konservativ-religiös, zum Teil nationalistisch orientiert" sei und in den größeren Parteien keine politische Heimat gefunden habe, so Aver.

    Zudem weist er darauf hin, dass in Duisburg auch "der Zuspruch für die AKP" relativ hoch sei. Dort lebten viele Menschen, die in den 1960er-Jahren aus den ländlichen Gebieten der Türkei ausgewandert seien. Auch in der zweiten und dritten Generation würden diese konservative politische und religiöse Werte teilweise weitergeben, so Aver.

    Rassismus und Nahost-Politik könnten für Dava-Wähler eine Rolle spielen

    Auch der zunehmende Rassismus und der Nahost-Konflikt dürften nach Einschätzung von Caner Aver durchaus eine Rolle für Dava-Wähler gespielt haben. Dava-Spitzenkandidat Fatih Zingal warf der Bundesregierung in Interviews in Bezug auf Gaza eine "Doppelmoral" vor und trat bei pro-palästinensischen Veranstaltungen auf. Er erklärte zudem, Dava sei die "Stimme der Ungehörten".

    Nur eine Minderheit der Türkeistämmigen gab Dava ihre Stimme

    Doch die meisten türkeistämmigen Wählerinnen und Wähler haben die Dava nicht gewählt. "Außer des Nahosts-Konflikts und Rassismus spielen auch viele andere Themen für Migranten eine wichtige Rolle", sagt Aver und verweist auf Bildung, Steuern und Arbeitsplätze, die für alle Wähler gleichermaßen wichtig seien. Und, sagt Aver: Gerade für Liberal-Konservative sei die Dava wegen ihrer AKP-Nähe nicht attraktiv.

    Dennoch hält der Politologe es für möglich, dass Dava künftig "mindestens in einigen Kommunalwahlkreisen in Deutschland in den Rat einziehen" könnte. Allerdings gebe es auch auf kommunaler Ebene viele Initiativen und Bündnisse, die von Migranten getragen werden. Insofern werden sie dort mit anderen lokal verankerten Parteistrukturen konkurrieren. "Das wird nicht einfach für Dava werden."

    Wahlergebnisse belegen keine Islamisierung

    Auf X äußerten Menschen nach der Europawahl und den irreführenden Posts zu Dava Angst vor einer Islamisierung Deutschlands. Derzeit liegt der Anteil von Muslimen und Musliminnen an der Gesamtbevölkerung laut einer Studie der Deutschen Islam Konferenz (DIK) bei knapp sieben Prozent. Das sind gut fünf Millionen Menschen.

    Caner Aver sagte, dass der Anteil der Muslime in Deutschland zwar steige. Es gebe zudem in Großstädten teilweise Viertel, in denen der Anteil von Migranten insgesamt - also nicht nur der Muslime - über 50 Prozent liege. In manchen Schulklassen liege der Migrationsanteil über 90 Prozent. "Allerdings sind die Herausforderungen nicht der Migrationshintergrund per se, sondern der Sozialstatus", betonte der Wissenschaftler.

    "Die Tatsache, dass der Anteil der Menschen muslimischen Glaubens steigt, bedeutet nicht, dass wir eine Islamisierung haben, weil nicht jeder Mensch muslimischen Glaubens auch religiös ist und entsprechend die Religion praktiziert", so Aver. Posts, die Angst vor einer drohenden Islamisierung schürten, seien ein typisches "populistisches Angstbild". "Das haben wir an rechten Rändern immer wieder."

    Auch der Politologe Elis betonte, dass die Wahlergebnisse in Duisburg lokal beschränkt seien. Die Wahlergebnisse seien auf den entsprechenden Webseiten sehr transparent dargestellt. "Daraus eine Islamisierung der Politik zu sehen, ist ziemlich absurd. Wer dies dennoch tut, macht das mindestens aus fahrlässigen oder böswilligen Gründen."

    Fazit:

    Eine viel gepostete Grafik zum Dava-Wahlergebnis aus einem Duisburger Stadtbezirk ist korrekt. Die Posts dazu sind aber irreführend, weil sie suggerieren, das Ergebnis würde ganz Duisburg repräsentieren. Sowohl in ganz Duisburg als auch bundesweit sind die Ergebnisse von Dava, die Kritiker und Politiker als verlängerten Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP sehen, deutlich niedriger. In ganz Deutschland stimmten 148.724 Menschen für Dava (0,4 Prozent). Die Partei kann mit diesem Ergebnis keinen Abgeordneten ins EU-Parlament entsenden.

    Unsere Quellen

    Hier listen wir die Quellen auf, die wir für die Recherche verwendet haben. Neben den im Artikel verlinkten Quellen wurden im Zuge der Recherche weitere verwendet.

    Interviews:

    Caner Aver, Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, Essen

    Jonas Elis, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Duisburg Essen

    Links, Artikel, Publikationen:

    Die Bundeswahlleiterin - Europawahl 2024

    Städtenetz Soziale Stadt NRW

    Ergebnisse der türkischen Präsidentenwahl in Deutschland

    Immigrant German Election Study II

    Bundesministerium des Innern und Heimat - Islam in Deutschland

    Bundesministerium des Innern und Heimat - Muslimisches Leben in Deutschland 2020

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