5,9 Zentimeter lang, 1,5 Zentimeter hoch, 0,5 Zentimeter breit und nur wenige Gramm leicht: Es ist ein unscheinbares Objekt, das Wissenschaftler der Universität Tübingen heute vorgestellt haben. Für die Forschung ist das Stück, das kaum größer als ein kleiner Finger ist, von unschätzbarem Wert: Bei dem Fund aus Baden-Württemberg handelt es sich nämlich um eine eiszeitliche Kunstfigur aus Mammutelfenbein.
Wissenschaftler interpretieren das Kunstobjekt als Otter
Die bei Ausgrabungen entdeckte und fast 40.000 Jahre alte Figur wurde am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren nahe Ulm erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Forscher hatten die kleine eiszeitliche Figur in der als Welterbe anerkannten Höhle "Hohle Fels" am Rand der Schwäbischen Alb gefunden. Nicholas Conard von der Abteilung Ältere Urgeschichte der Universität Tübingen sagte, diese und die bereits früher in der Höhle entdeckten Figuren seien "einmalig weltweit". Er sprach vom "Fund des Jahres".
Auch wenn die kleine Figur ohne Kopf gefunden wurde, weise ihre Form eindeutig auf einen Otter hin, erklärte seine Kollegin Ria Litzenberg. Das Objekt hat eine längliche, aber gedrungene Form und einen kurzen, spitz zulaufenden Schwanz. Die Beine des Tiers sind sehr kurz, der Hals dagegen sehr lang. Der Kopf ist abgebrochen und fehlt. Wegen der geschwungenen Rückenlinie habe sie zunächst getippt, dass es auch eine Art Marder sein könnte, so Litzenberg.
Fund lässt weitere Rückschlüsse auf Leben vor 40.000 Jahren zu
Diese weltweit einmalige Figur eines Otters lasse neue Rückschlüsse auf das Leben der Menschen in der Eiszeit zu, betont Conard. Denn bisher sei die Forschung davon ausgegangen, dass nur gefährliche und große Tiere wie Höhlenbär und Löwe oder Mammut, Wisent und Wildpferd von den eiszeitlichen Menschen künstlerisch dargestellt wurden. Die neuentdeckte Figur sowie Darstellungen von Fischen und Wasservögeln zeigten jedoch, dass die Eiszeitkunst wesentlich vielfältiger gewesen sei, glaubt der Archäologe.
Auch belege die uralte Entdeckung, dass sich die Menschen damals viel stärker mit Wassertieren auseinandergesetzt hätten als bisher gedacht. Schließlich erfordere das Schnitzen eines solchen Stückes aus Elfenbein - das wohl mehrere Tage in Anspruch genommen habe - detaillierte Kenntnisse des Aussehens und der Eigenschaften des dargestellten Tieres, so Conard. Die Figur gehöre zu den ältesten von Menschen geschaffenen Kunstwerken.
Schwäbische Alb als kultureller Hotspot der Eiszeit
Conard unterstreicht, die Otter-Figur sei entstanden "in einer Zeit, als die ersten anatomisch modernen Menschen in Europa ankamen". Sie stamme aus dem gleichen Zeithorizont wie die berühmte Venus-Figur aus dem "Hohle Fels" nahe Schelklingen. Die kleine Venus gilt weltweit als bisher älteste Frauendarstellung ihrer Art. Auch die Darstellung einer Flöte wurde dort bereits gefunden. Möglicherweise sei "hier auf der Alb" der moderne, kulturell begabte Mensch auf dem Planeten Erde entstanden, sagte Conard. Denn man habe "hier die besten Belege gefunden" - im Vergleich zu ähnlichen Ausgrabungen auf dem Globus.
Otter als mögliches Symbol des Schamanismus
"Wir wissen heute nicht, was die Menschen damals an einem Otter fasziniert haben könnte. Aber mit Sicherheit haben sie beobachtet, wie wendig er sich im Wasser bewegt, wie fürsorglich er seinen Nachwuchs aufzieht und welch ein raffinierter Fischjäger er ist", sagte Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des Museums. Die erstaunlichen Fähigkeiten des Otters unter Wasser - also in einer für die damaligen Menschen "anderen Welt" - könnten vielleicht sogar eine Verbindung zu Schamanismus gewesen sein, ergänzte Conard.
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Die Otter-Figur wird nun zuerst für einige Monate in einer eigenen Vitrine des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren ausgestellt und dann in die Dauerausstellung integriert.
Mit Informationen von KNA und epd.
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