Ein Taurus Marschflugkörper vor der Westküste Südkoreas
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Uncredited

Taurus-Marschflugkörper

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Geht nicht, gibt's nicht? Was über Taurus bekannt ist

Soll Deutschland der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefern? Das Nein von Kanzler Olaf Scholz dazu ist umstritten. Tatsächlich gilt die Taurus-Technik als besonders anspruchsvoll. Doch viele Experten meinen, dass die Ukrainer damit umgehen könnten.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Kanzler Scholz führt als Grund für seine ablehnende Haltung zur Lieferung des Taurus-Waffensystems an, dass die Gefahr einer deutschen Kriegsbeteiligung bestehe und Bundeswehr-Soldaten beim Einsatz der Marschflugkörper beteiligt wären. Dieses Argument ist unter Rüstungsexperten umstritten, die sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz in vertraulichen Gesprächen dazu äußerten.

Die ukrainische Armee hat in den letzten zwei Jahren bewiesen, dass sie auch ungewöhnliche technische Lösungen findet im Einsatz von westlichen Rüstungslieferungen nach dem Motto: Geht nicht, gibt´s nicht. Dahinter steckt die Idee: "Was nicht passt, wird passend gemacht" – dass sich also für kreative Bastler immer eine Lösung findet. Genau das gilt als besondere Stärke der ukrainischen Streitkräfte.

Hobby-Drohnen und E-Bikes im Kampfeinsatz

Da die ukrainische Armee den russischen Invasoren zahlenmäßig weit unterlegen ist und zudem über deutlich weniger klassische Waffensysteme verfügt, kommt auch improvisiertes Gerät zum Einsatz: Hobby-Drohnen zum Beispiel, die in fliegende Bomber umgewandelt werden. Oder Elektro-Bikes von zivilen Outdoor-Fans, mit denen ukrainische Spezialkräfte nahezu lautlos an der Front unterwegs sind.

Amerikanische Militärwissenschaftler sprachen schon von der "MacGyverisierung" des Militärs, angelehnt an die US-Fernsehserie "MacGyver", deren Held sich immer wieder durch höchst kreative Tüfteleien und Improvisation aus Gefahrensituationen rettet.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Auf ein ähnliches Prinzip setzen seit inzwischen zwei Jahren auch ukrainische Entwickler. Sie stehen vor der Herausforderung, dass ein Großteil ihres militärischen Inventars noch aus sowjetischer Zeit stammt und eigentlich nicht mit westlichen Waffensystemen kompatibel ist. Das fängt beim Kaliber der Munition für Gewehre und Artillerie an und zieht sich durch eigentlich alle Facetten moderner Rüstungsgüter.

Besonders deutlich sind die Unterschiede, wenn es um Elektronik geht, also zum Beispiel die Integration westlicher Sensorik, aber auch Raketen und Bomben in die veralteten Kampfjets der ukrainischen Luftwaffe.

Taurus-Technik: Nicht ohne die Bundeswehr?

Die fehlende Kompatibilität der westlichen Technik mit den Waffensystemen der Ukraine ist ein Argument von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Debatte um eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Tenor: Deren Technologie sei so komplex, dass es für die Ukraine unmöglich wäre, diese anspruchsvollen Waffen ohne die Hilfe von Bundeswehr-Soldaten einzusetzen.

In vertraulichen Runden bei der Münchner Sicherheitskonferenz wurde diese Frage heiß diskutiert. Die meisten Militärexperten widersprachen dabei dem Kanzler. Die Ukraine habe es immer wieder geschafft, selbst komplexe westliche Waffen an ihre Bedürfnisse anzupassen.

Hoch motivierte IT-Spezialisten im Einsatz

In Militärkreisen wird zudem darauf hingewiesen, dass die Ukraine schon vor dem Krieg eine hoch entwickelte IT-Industrie gehabt habe, deren Elektronikspezialisten hoch motiviert seien. So habe man es geschafft, binnen kürzester Zeit moderne amerikanische Anti-Radar-Raketen und Bomben an uralte Mig-29-Kampfjets anzupassen und die entsprechenden Schnittstellen zu entwickeln.

Ähnliches gilt für französische und britische Marschflugkörper. Die deutschen Taurus-Marschflugkörper an die Flieger vor Ort anzupassen, wäre deswegen im Prinzip sicher möglich, hieß es nahezu unisono bei der Sicherheitskonferenz.

Ohnehin dürfte diese technische Herausforderung in den kommenden Monaten kleiner werden, da die Ukraine mit Jets vom Typ F-16 inzwischen Kampfflugzeuge amerikanischer Bauart erhalten hat, für die es wesentlich einfacher wäre, Schnittstellen mit den Taurus-Systemen zu entwickeln.

Was über die Taurus-Technologie bekannt ist

Technologisch wären die deutschen Marschflugkörper bisher gelieferten ähnlichen Waffen deutlich überlegen. Das liegt nicht nur an ihrer Reichweite von knapp 500 Kilometern. Sie sind auch mit einem mehrfach redundanten Zielsuchsystem ausgestattet. Deshalb müssen sie sich bei der Navigation nicht auf GPS- oder Funkdaten verlassen, die potenziell gestört werden können.

Die Taurus-Systeme verfügen auch über eine Sensorik, mit der sie – laienhaft gesagt – den Weg selbst suchen, wenn sie sich an zuvor einprogrammierten Landkarten orientieren und so zum Beispiel Berge, Täler oder Flüsse erkennen. Da sie sehr tief fliegen und dem Verlauf des Geländes folgen, sind sie für eine gegnerische Luftabwehr kaum zu erkennen oder zu bekämpfen.

Spekulationen über Beweggründe des Kanzlers

Gerade diese technologische Überlegenheit bereitet offenbar dem Bundeskanzler Sorge. Er scheint dem Versprechen der Ukraine nicht zu trauen, vom Westen gelieferte Waffen nicht gegen Ziele im russischen Kernland einzusetzen.

In Sicherheits- und Militärkreisen kursieren aber noch weitere Spekulationen rund um die ablehnende Haltung der Bundesregierung. Besonders häufig wird in Hintergrundgesprächen die Vermutung geäußert, dass die Bundeswehr selbst nur über sehr wenige einsatzfähige Taurus-Marschflugkörper verfüge.

So hatte es in nicht bestätigten Medienberichten geheißen, von einst 600 Systemen seien maximal 150 in einem entsprechend guten Zustand. Mit einer Lieferung aus diesen knappen Beständen würde sich Deutschland zu stark schwächen, so die These.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!