Die Aussichten auf eine Verlängerung der Feuerpause im Gaza-Krieg scheinen mit Blick auf jüngsten Aussagen beider Seiten nicht schlecht zu stehen. Die im Gazastreifen herrschende Hamas bekräftigte am Sonntagabend, sie sei zu einer Verlängerung und weiteren Geisel-Freilassungen bereit. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, die Vereinbarung sehe bereits die Möglichkeit einer Verlängerung vor, wenn an jedem Tag jeweils zehn weitere Geiseln freikommen.
Option auf Verlängerung ist Teil der Vereinbarung
Israel und die Hamas hatten sich nach langwierigen Verhandlungen unter Vermittlung von Katar, den USA und Ägypten auf eine viertägige Feuerpause geeinigt, die nach derzeitigem Stand in der Nacht zum Dienstag endet. Die Vereinbarung sieht unter anderem vor, dass insgesamt 50 israelische Geiseln sowie 150 palästinensische Gefangene freigelassen werden. Sie beinhaltet aber auch die Möglichkeit einer Verlängerung, wenn an jedem zusätzlichen Tag jeweils zehn weitere Geiseln freikommen.
Vorerst sollen am Montag zehn oder elf weitere Geiseln der islamistischen Hamas freigelassen werden – das hofft man zumindest in Israel. Rund 60 Menschen haben die Terroristen mittlerweile freigelassen. Etwa 180 sind aber noch in der Gewalt der Islamisten, weshalb eine Verlängerung der Waffenruhe auch für die Regierung Netanjahu attraktiv wäre.
Hamas: Bis zu vier weitere Tage möglich
Wie aus dem Hamas-Umfeld verlautete, sind die Hamas und weitere bewaffnete Palästinensergruppen, die im Gazastreifen unter hohem militärischen Druck Israels stehen, zu einer Verlängerung um "zwei bis vier Tage" und zur "Freilassung von zusätzlichen 20 bis 40 israelischen Gefangenen" bereit. Das sei den Vermittlern aus Katar und Ägypten bereits mitgeteilt worden.
Wie viele Geiseln am vorerst letzten Tag der vereinbarten viertägigen Feuerpause im Gazastreifen freikommen könnten, wurde aber nicht mitgeteilt. Am frühen Montagmorgen teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten mit, dass es eine Liste mit den Namen weiterer Geiseln erhalten habe, die demnach noch an diesem Montag freikommen sollen.
Medien: Israel und Hamas unzufrieden mit Listen
Israel und die Hamas sind laut Medienberichten allerdings unzufrieden mit den Namenslisten für die am Montag geplante Freilassung von israelischen Geiseln und palästinensischen Häftlingen. Ein israelischer Regierungssprecher wollte sich zu den Medienberichten nicht äußern. Ein Vertreter der Hamas im libanesischen Beirut teilte mit, dass Anmerkungen an die katarischen und ägyptischen Vermittler weitergeleitet worden seien.
Es wäre die vierte Gruppe an Geiseln, die seit Beginn der Feuerpause am Freitag im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen freikommen würde. Im Gegenzug für die freigelassenen Geiseln wurden 177 Palästinenser aus der Haft entlassen.
Der Sprecher der israelischen Regierung, Eilon Levi, sagte am Montag, es würden noch 184 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Davon seien 14 Ausländer sowie 80 Israelis mit einem Zweitpass.
Am Sonntag wurden 17 Geiseln freigelassen
Zuletzt hatte die Hamas am Sonntag 17 Geiseln freigelassen. Die israelische Armee nahm nach eigenen Angaben 13 israelische Geiseln in Israel in Empfang. Vier weitere Geiseln mit thailändischer und israelisch-russischer Staatsangehörigkeit blieben in Ägypten. Im Gegenzug ließ Israel – wie bereits bei den Geiselfreilassungen am Freitag und Samstag – 39 palästinensische Gefangene frei.
Zwölf der israelischen Geiseln wurden zunächst zu einem Militärstützpunkt nahe der südlichen Stadt Beerscheba gebracht, wie die israelische Armee erklärte. Eine Geisel wurde direkt in ein Krankenhaus geflogen. Die 84-jährige Elma Avraham liegt nun auf der Intensivstation des Soroka-Krankenhauses in Beerscheba. "Ihr Leben ist in Gefahr", sagte Klinikdirektor Schlomi Codisch.
Vierjähriges Mädchen kehrt nach Israel zurück
Laut einer von Netanjahus Büro herausgegebenen Liste handelt es sich bei den am Sonntag freigelassenen Israelis um neun Kinder und vier Frauen. Erstmals wurde auch eine US-Geisel freigelassen: Die vierjährige Abigail, die neben der israelischen auch die US-Staatsbürgerschaft hat und nach den Worten von US-Präsident Biden "ein schreckliches Trauma erlitten" hatte.
Das Kind war am 7. Oktober wie die anderen Geiseln von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden. Bei dem brutalen Überfall der Islamisten musste das Mädchen laut dem Nationalen Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, "mit ansehen, wie seine Eltern vor seinen Augen getötet wurden".
Waffenruhe ermöglicht auch humanitäre Hilfe
Nach dem Überfall, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und 240 verschleppt wurden, hatte Israel damit begonnen, Ziele im Gazastreifen aus der Luft und vom Boden aus massiv anzugreifen. Angaben der Hamas zufolge, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seitdem fast 15.000 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet.
Die Feuerpause seit vergangenem Freitag wird auch für die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen genutzt. Nach UN-Angaben erreichten bisher 248 Lastwagen mit Hilfsgütern das abgeriegelte Palästinensergebiet. Präsident Biden sagte am Sonntag, es sei sein Ziel, "dass diese Pause über den morgigen Tag hinaus anhält", damit weitere Geiseln freigelassen werden könnten und mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelange.
Borrell: Verlängerte Feuerpause Chance für politische Lösung
Unterdessen sagte US-Präsident Joe Biden sagte, die Waffenruhe müsse so lange andauern, bis alle Geisel freigelassen seien. Auch die Europäische Union äußerte sich entsprechend. Eine Verlängerung der Feuerpause birgt nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell eine Chance für die internationale Gemeinschaft, an einer politischen Lösung des Konfliktes zu arbeiten. Die Palästinensische Autonomiebehörde müsse die Kontrolle über den Gazastreifen von der Hamas zurückgewinnen und eine "bessere und praktikablere" Alternative anbieten, sagte Borrell. In den Palästinensergebieten solle so schnell wie möglich gewählt werde – und Israel solle dabei kooperieren.
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte eine Verlängerung der Waffenruhe. Den Iran forderte Stoltenberg auf, seine "Stellvertreter" in der Region zu zügeln. Er spielte damit darauf an, dass der Iran als der wichtigste Unterstützer der Hamas gilt. Die Hamas ist Teil eines regionalen Bündnisses, zu dem der Iran, Syrien und die radikal-islamische Hisbollah-Miliz im Libanon gehören, die das Existenzrecht Israels leugnen. Jordanien sprach sich für eine umfassende Friedenslösung für die Region aus. Es könne nicht nur für den Gazastreifen ein Nachkriegs-Konzept gesucht werden, sagte Außenminister Ayman Safadi in Barcelona. Erforderlich sei vielmehr eine Zwei-Staaten-Lösung.
Mit Informationen von AFP, Reuters und dpa
Im Video: Hoffen auf längere Feuerpause in Nahost
Karte: Die militärische Lage im Gazastreifen
Hinweis: Diese Informationen sind nicht vollständig unabhängig überprüfbar. Sie werden vom ISW, einem gemeinnützigen, überparteilichen Politikforschungsinstitut mit Sitz in den USA, einmal pro Tag zur Verfügung gestellt. Dadurch kann es zu Verzögerungen im Vergleich zum aktuellen Geschehen kommen.
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