Menschen sitzen in München um einen Tisch auf dem die Steckbriefe der verurteilten jungen Russen liegen.
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Der Verein "Free Russians" aus München schreibt Briefe an junge Russen, die in ihrer Heimat wegen ihres Anti-Kriegs-Einsatzes verhaftet wurden.

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Jeder Brief zählt: Exilrussen als Brieffreunde von Kriegsgegnern

Immer häufiger erhalten junge Menschen in Russland lange Haftstrafen, wenn sie gegen den Krieg in der Ukraine Stellung beziehen. Russinnen und Russen treffen sich im Münchner Exil, um Briefe an diese jungen Gefängnis-Insassen zu schreiben.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

22 Steckbriefe liegen verteilt auf den Tischen im Münchner Verein "Free Russians". Darauf zu sehen sind Fotos von jungen Menschen in Russland, ihre Namen sowie ihre Haftstrafen und Vergehen. Etwa der 20-jährige Ilja Podkamenni - zu seinen Vergehen zählt das Verteilen von Antikriegs-Flugblättern, zwölf Jahre Haft. Der Jüngste ist Arsenii Turbin, erst 16 Jahre alt, er wurde zu sechs Jahren in einer Erziehungskolonie verurteilt, ihm wird Extremismus und Terrorismus vorgeworfen.

Zensoren lesen mit

Der Verein "Free Russians" hat eingeladen, all diesen politischen Gefangenen in Russland, die 20 Jahre oder noch jünger sind, Briefe ins Gefängnis zu schreiben. Ganz einfach ist das nicht, denn die Briefe würden von Zensoren gelesen, erklärt Natalija Korotkova, Vorstand des Vereins. "Wir raten stark davon ab, über den konkreten Fall zu sprechen, weil das für diesen Häftling gefährlich sein kann, eine weitere Verurteilung nach sich ziehen kann."

Fall Daria Kozyreva: Wegen Anti-Kriegs-Botschaften im Gefängnis

Daria Kuprina ist Studentin und selbst erst 20 Jahre alt. Deshalb war es ihr besonders wichtig, zum Verein zu kommen und einen Brief zu schreiben. Sie wusste auch sofort, an wen sie schreiben wird: an ihre 18 Jahre alte Namensvetterin Daria Kozyreva, seit Februar in Haft. Für Daria Kuprina ist sie eine Heldin, weil sie mehrmals in Russland gegen den Krieg Stellung bezog, indem sie Zettel mit kritischen Worten an öffentlichen Plätzen angebracht hat. Im Februar 2024, am zweiten Jahrestag des Krieges, wurde Daria kurz nach einer Aktion festgenommen. Sie hatte Zettel an die Statue eines ukrainischen Dichters geklebt.

"Im Gefängnis könnte auch ich sein"

Wegen Diskreditierung der Armee drohen Daria nun bis zu fünf Jahre Haft. Das alles nimmt die Münchnerin Daria Kuprina richtig mit: "Als ich noch in Russland lebte, war ich auch politisch aktiv und ich kann nur daran denken, dass ich so wie Daria jetzt auch im Gefängnis sein könnte. Und das erschreckt mich natürlich."

Mit dem Brief könne sie Daria Kozyreva zwar nicht direkt helfen, aber: "Vielleicht kann ich sie ein bisschen glücklicher machen, weil sie sich dann nicht so alleine und isoliert von der ganzen Welt fühlt."

Menschenrechtler kritisieren die Verfahren gegen junge Menschen

Laut Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Memorial sind in Russland derzeit mehr als 30 Personen im Alter von 20 Jahren oder jünger aus politisch motivierten Gründen in Haft. Dazu laufen aktuell mehr als 70 Untersuchungen.

Im März 2022, wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine, wurden im Eilverfahren neue Straftatbestände in das russische Gesetz aufgenommen, darunter die "öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte". Dieses Vergehen kann nun mit hohen Geldstrafen, aber auch mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden. Wer sich kritisch äußert, geht ein hohes Risiko ein.

Fälle in Russland oft kaum bekannt

Was für Natalija Korotkova, Initiatorin des Briefeschreibens, erschwerend hinzukommt, ist, dass vielen Russen diese Fälle von sehr jungen Inhaftierten gar nicht bekannt seien, weil die Massenmedien in Russland darüber kaum berichteten. So säßen die jungen Leute fast vergessen in den Gefängnissen.

Deshalb zähle jeder Brief, mein Natalija. "Es sollten mehr Menschen Briefe schreiben und so den politischen Gefangenen ein Stückchen Aufmerksamkeit und ein Stückchen von der normalen Welt schenken."

Im Video: Ukraine-Krieg - Verwundete schnell versorgen

In der Ukraine selbst spitzt sich die Lage für die Verteidiger zu.
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