Kindergartenkind malt ein Bild
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Sprachtest-Pflicht für Vierjährige: Kritik und viele Fragen

Ab März 2025 soll es verpflichtende Sprachtests für alle Viereinhalbjährigen in Bayern geben. Damit will die Staatsregierung sicherstellen, dass bei der Einschulung alle gut Deutsch können. Fachverbände wundern sich, wer die Betreuung leisten soll.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Genau 365 Tage lagen zwischen Ankündigung und Beschluss: Am 24. Juli 2023 stellte CSU-Chef Markus Söder eine Sprachtest-Pflicht für Kinder in Aussicht, diese Woche brachte die Staatsregierung "flächendeckende Sprachstandserhebungen" im Freistaat auf den Weg.

"Nur wer gut Deutsch spricht, kann am regulären Unterricht teilnehmen", schrieb Ministerpräsident Söder dazu auf X. "Bei Nachholbedarf gibt es künftig zunächst ein verpflichtendes Vorschuljahr mit einem integrierten Deutsch-Vorkurs." Starten sollen die Tests in weniger als acht Monaten – viele Fragen sind noch offen, aus Berufsverbänden kommt auch Kritik. Ein Überblick.

Wann wird getestet?

Das Konzept sieht vor, dass künftig eineinhalb Jahre vor der Einschulung der Sprachstand aller Kinder in Bayern festgestellt wird. Bei Defiziten ist laut Staatskanzlei "der verpflichtende Besuch einer Kindertagesstätte mit einem Vorkurs Deutsch zur gezielten Förderung des Deutscherwerbs vorgesehen".

Der "Vorkurs Deutsch" ist eine gezielte Sprachförderung für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf im Deutschen. Die Kurse umfassen 240 Stunden – je 120 werden von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen und von Grundschullehrkräften gehalten. Das Sozialministerium spricht von "bereits etablierten Strukturen".

Der Test für Viereinhalb- bis Fünfjährige soll an den öffentlichen Grundschulen vorgenommen werden – erstmals im März 2025 bei Kindern, die im September 2026 eingeschult werden sollen. "Zu Beginn des Jahres 2025 werden die Eltern von der zuständigen Grundschule ein Schreiben mit allen wesentlichen Informationen erhalten", teilt das Kultusministerium auf BR24-Anfrage mit.

Was und wie wird getestet?

Wie der Test konkret aussehen wird, ist unklar. Das Kultusministerium erläutert, das Verfahren werde aktuell konzipiert. Angestrebt werde ein "digitalisiertes Instrument aus Bayern für Bayern", das "wissenschaftsbasiert und standardisiert" sei sowie "pragmatisch und zeitlich gut umsetzbar".

Durchgeführt werde der Test von qualifizierten Beratungslehrkräften: "Als Lehrkräfte mit erfolgreich absolviertem Erweiterungsstudium verfügen diese Expertinnen und Experten bereits über das erforderliche Wissen und Können im Bereich der pädagogischen Diagnostik." In einer ergänzenden Fortbildung könnten sie sich rechtzeitig mit dem bayerischen Sprachscreening vertraut machen.

Hilger Uhlenbrock von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert, dass der Schwierigkeitsgrad des geplanten Tests nicht bekannt sei. Er befürchtet, dass "letztendlich einfach wieder Kinder aussortiert werden", obwohl sich Bayern Inklusion auf die Fahnen geschrieben habe. Durchfallen könnten neben Kindern mit Migrationshintergrund auch Kinder mit psychosozialen Problemen wie ADHS. "Das halten wir für schwierig."

"Was soll ein zusätzlicher Sprachtest?"

Der Bayerische Philologenverband begrüßte die Einführung der Sprachtests umgehend: "Die Sprachförderung muss Fahrt aufnehmen, damit das Langzeitprojekt gelingen kann."

Die GEW dagegen zeigt wenig Verständnis für einen zusätzlichen Test: In Kitas sei es seit Jahren Pflicht, eineinhalb Jahre vor der Einschulung Sprachstanderhebungsbögen für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund anzuwenden. "Diese sind bereits extrem ausführlich und sollen dazu dienen, dass festgestellt wird, ob ein Besuch des vorgeschriebenen Vorkurses erfolgen soll", erläutert Ruth Brenner, Sprecherin der GEW-Landesfachgruppe Grund- und Mittelschulen. "Es stellt sich die Frage: 'Was soll ein zusätzlicher Sprachtest?'"

Zwar müssten bereits jetzt alle staatlich geförderten Kindertageseinrichtungen den Sprachstand der Kinder erheben, heißt es beim Sozialministerium. Durch das neue Konzept solle aber sichergestellt werden, dass das auch bei Kindern geschieht, die keine Einrichtung besuchen. Laut Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) geht es darum, dass "kein Kind durchs Raster" fällt. GEW-Vorschulexperte Uhlenbrock sagt, es gebe nur sehr wenige Kinder, die keine Einrichtung besuchen. Der Nutzen des zusätzlichen Tests sei "verschwindend gering".

"Es gibt nicht genügend Fachkräfte"

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, spricht zwar von einem richtigen Ansatz. "Wir brauchen frühzeitige Diagnostik." Zugleich betont sie, "dass wir uns in keiner Weise vorstellen können, wer dann nach der Diagnose die Förderung übernehmen soll". Sie verweist auf den Lehrermangel, auch in Kindergärten gebe es einen Personalnotstand. "Wenn wir dann niemanden haben, dann pfeifen wir auch auf die Diagnose."

Schon jetzt gebe es immer weniger Vorkurse Deutsch. "Und da unterrichten nicht mehr Lehrerinnen und Lehrer, sondern Menschen, die gar nicht Lehrer sind." Es fehle also an Qualität und Quantität, beklagt Fleischmann. Auch Brenner von der GEW sagt: "Es gibt vor allem nicht genügend Fachkräfte, um die entsprechenden Fördermaßnahmen durchzuführen."

SPD und Grüne im Landtag verweisen darauf, dass das Vorkurs-Angebot über die Jahre deutlich zurückgegangen sei: 2020/2021 seien insgesamt 9.191 Wochenstunden angeboten worden, im darauffolgenden Jahr 8.737 Wochenstunden, und 2022/23 habe es für Bayerns Kindergartenkinder nur 7.771 Wochenstunden gegeben. Das entspreche einem Rückgang von mehr als 15 Prozent in diesem Zeitraum. "Sprachkompetenz kommt nicht von Sprachtests, sondern von Spracherwerb", betont Grünen-Kita-Expertin Julia Post.

Fleischmann: Söder macht es sich einfach

Fleischmann ist noch ein anderer Punkt wichtig. Die Botschaft der Staatsregierung sei: "Wer nicht Deutsch spricht, kommt nicht in die Grundschule." Es gebe aber auch noch andere Defizite bei Viereinhalbjährigen – "sei es im Bereich der psychischen Störungen, sei es im Bereich der motorischen Störungen", sagt die BLLV-Präsidentin. "Die sollten wir auch aufholen und nicht nur die Sprachdefizite." In Hamburg beispielsweise werde das seit Jahren praktiziert.

Dem Ministerpräsidenten wirft Fleischmann vor, es sich einfach zu machen. Söder hole den Applaus ab, dass jeder Deutsch lernen solle. "Und wo ist der nächste Schritt?"

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