Er gilt als pointiert, provokativ und polarisierend: Mit dem Rückzug von Jürgen Trittin aus der Politik verlieren die Grünen einen ihrer profiliertesten Kämpfer für Umwelt- und Klimaschutz, für Menschenrechte, Abrüstung und gegen Atomenergie. Er war oft unpopulär, ging keinem Streit aus dem Weg - gilt aber auch als erfolgreich. "Jetzt, zur Mitte der Legislaturperiode, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um selbstbestimmt zu gehen", sagte der 69-Jährige dem "Spiegel". Anfang Januar werde er das Bundestagsmandat niederlegen.
Er habe bereits zur letzten Bundestagswahl beschlossen, dass dies seine letzte Kandidatur sein würde. "Im vergangenen Sommer stellte ich dann fest, dass ich im Herbst 25 Jahre Mitglied des Bundestags sein würde", sagte der in Bremen geborene Trittin. "25 - das ist doch ein schönes Jubiläum, um davon Abschied zu nehmen."
Am Dienstagnachmittag teilte er demnach seinen Entschluss der Grünen-Bundestagsfraktion mit. Diese bedankte sich im Online-Dienst X (vormals Twitter) "von Herzen" für Trittins Arbeit und wünschte ihm alles Gute für die Zukunft. "Wir werden dich vermissen", hieß es weiter. Trittin ist Vertreter des linken Parteiflügels und prägte über Jahrzehnte den Kurs der Grünen maßgeblich mit.
Trittin eckte auch innerhalb der Koalition an
Der 1954 in Bremen geborene Trittin studierte in Göttingen Sozialwissenschaften. Der Stadt im Süden Niedersachsens blieb er bis heute verbunden. Seit 1998 vertritt Trittin den Wahlkreis Göttingen im Bundestag. Bei den Grünen trat er 1980 ein. Fünf Jahre später zog er in den Niedersächsischen Landtag ein, wo er zeitweise Fraktionschef war. Erste Regierungserfahrung sammelte Trittin von 1990 bis 1994 als Niedersächsischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD).
Als Schröder 1998 für die SPD die Bundestagswahl gewann, war Trittin erste Wahl als Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Bis zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005, die das Ende von Rot-Grün im Bund besiegelte, blieb er auf diesem Posten. Trittin war zwar ein überzeugter Rot-Grüner, doch er eckte auch innerhalb der Koalition an - sei es bei der Pfandpflicht, bei der Windenergie, die damals ein noch größeres Reizthema als heute war, beim Atomausstieg, bei der Ökosteuer oder beim Emissionshandel.
"Mentalität eines Skinheads": Trittin wusste zu provozieren
Dabei verband Trittin in der ersten Amtszeit bis 2002 bei allen Interessengegensätzen ein persönlich herzliches Verhältnis mit dem damaligen Wirtschaftsminister Werner Müller (SPD). Mit dessen Nachfolger Wolfgang Clement (SPD) war das nicht mehr der Fall.
Zu seinen Provokationen zählte beispielsweise, dass er im Frühjahr 2001 dem damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer "die Mentalität eines Skinheads" bescheinigte. Drei Jahre später revanchierte sich CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, indem er Trittin einen "Ökostalinisten" nannte. Er spielte damit auf die linke Vergangenheit des Ministers an. Dabei war Trittin längst vom fundamentalistischen Flügel der Grünen ins Lager der Realpolitiker gerückt.
"Unsinn": Trittin blieb auch in der Ampel-Koalition unbequem
Von 2009 bis 2013 stand er an der Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion. Später wechselte er von der Umwelt- zur Außenpolitik, gehörte von 2017 bis 2021 dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags an. Dessen Vorsitzender Michael Roth (SPD) schrieb auf X: "Er hatte stets was zu sagen. Nicht nur zur großen Politik, sondern auch zum guten Leben. Chapeau, Jürgen." Zuletzt war Trittin außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Im Ukraine-Krieg befürwortete er früher als andere Panzerlieferungen an das von Russland überfallene Land.
Unbequem blieb der 69-Jährige auch in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Als im vergangenen Jahr die Laufzeit für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke wegen der unsicheren Energieversorgung um einige Monate verlängert wurden, stimmte Trittin im Bundestag dagegen. Und Pläne seines Parteifreundes Robert Habeck für einen Industriestrompreis nannte er "Unsinn". Zu seinem Abschied zeigte er sich versöhnlich. "Diese Partei, diese Fraktion hat mir doch ermöglicht, alles zu werden, was man als Grüner werden kann", sagte er dem "Spiegel". "Ich gehe in Frieden und Dankbarkeit."
Mit Informationen von dpa und AFP
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