Die Krankenkassen haben beschlossen, die Festbeträge für bestimmte Medikamente ab 1. Februar für drei Monate komplett auszusetzen. Das teilte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit. Zuvor hatte das ARD-Hauptstadtstudio darüber berichtet.
Der Schritt soll den Engpässen bei Kindermedikamenten entgegenwirken. Der Beschluss bezieht sich auf insgesamt 180 Fertigarzneimittel, darunter Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpfchen und Antibiotika-Suspensionen. Mit der Aussetzung "schaffen wir die Voraussetzungen, dass einer weiteren Verschärfung der angespannten Versorgungslage mit Kinder-Arzneimitteln kurzfristig entgegengewirkt werden kann", heißt es von der GKV.
Kindermedikamente: Wohl keine höheren Kosten für Eltern
Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist der Festbetrag eines Arzneimittels der maximale Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen dafür bezahlen. "Ist sein Verkaufspreis höher als der Festbetrag, tragen Patienten in der Regel die Differenz zum Festbetrag entweder selbst oder erhalten ein anderes – therapeutisch gleichwertiges – Arzneimittel ohne Aufzahlung."
Im Fall der Kindermedikamente müssen Eltern den Angaben zufolge aber keine Zusatzkosten befürchten, auch wenn den Kassen dafür nun höhere Kosten entstehen.
GKV: Aussetzung der Festbeträge keine langfristige Lösung
Der GKV-Verband betont jedoch, dass die Versicherten mit ihren Krankenkassenbeiträgen die höheren Medikamentenpreise bezahlen müssten. "Kurzfristig der Pharmaindustrie höhere Preise zu ermöglichen, stellt keine nachhaltige Lösung dar", gibt der Verband zu bedenken. Der Gesetzgeber müsse gesetzliche Vorgaben schaffen, um die bestehenden Lieferprobleme bei der Arzneimittelversorgung strukturell anzugehen.
Das Vorgehen ist laut GKV mit dem Bundesgesundheitsministerium abgestimmt. "Damit verschaffen wir allen Beteiligten Zeit", heißt es vom Verband. Die Pharmaindustrie erhalte durch die Aussetzung drei Monate, um "die bestehenden Produktions- und Lieferprobleme in den Griff zu bekommen". Jedoch sei das "kein Freifahrtschein für Gewinnmaximierung". Man werde "genau hinschauen", wie dies wirke.
Pharmaverband: "Woher sollen die Fiebersäfte kommen?"
Der Geschäftsführer des Pharmaverbands Pro Generika, Bork Bretthauer, zeigte sich skeptisch: Die Aussetzung der Festbeträge sei eine Geste, werde aber das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen. "Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?". Die Unternehmen produzierten rund um die Uhr. Es gebe keine Ware, die kurzfristig auf den Markt kommen könne, nur weil sich der Preis für drei Monate erhöhe, erklärte Bretthauer im "Handelsblatt".
Nach Angaben der Apotheken ist die Lage aktuell immer noch angespannt. "Die Lieferengpässe bei Kinderfiebersäften, Antibiotika und anderen Arzneimitteln halten weiterhin an", sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening. Ob sich die Liefersituation durch die geplante Preislockerung spürbar entspanne, sei fraglich, da es oft nur wenige Hersteller gebe. Overwiening forderte kurzfristig mehr Entscheidungsspielräume für die Apotheken etwa bei der eigenen Herstellung von Medikamenten.
Holetschek: "Schritt reicht nicht aus"
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nannte die jetzt beschlossene Maßnahme grundsätzlich richtig, sie komme aber etwas spät. "Es ist zwar eine gute Nachricht, dass die Krankenkassen die Festbeträge für bestimmte Arzneimittel für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika für drei Monate aussetzen wollen", teilte Holetschek mit. "Aber dieser Schritt reicht nicht aus."
Laut Holetschek muss die Bundesregierung jetzt "gemeinsam mit den Verbänden und den Pharma-Unternehmen Lösungen finden, wie die sich immer weiter zuspitzende Lage insbesondere bei lebenswichtigen Krebsmedikamenten gemeistert werden kann". Es könne doch nicht sein, "dass in einem Land wie Deutschland Arzneimittel zur Behandlung von Brust-, Bauchspeicheldrüsen- und Lungenkrebs sowie Karzinome im Magen-Darm-Trakt knapp werden."
Lauterbach hatte Neuregelung angekündigt
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Dezember angekündigt, dass die Krankenkassen bei fehlenden Kindermedikamenten vorübergehend mehr als den Festbetrag zahlen sollen. In einem Eckpunktepapier schlug er zudem vor, dass bei Verträgen zu wichtigen Medikamenten künftig nicht nur der billigste Anbieter weltweit zum Zuge kommt, sondern auch der günstigste Anbieter aus der Europäischen Union (EU). Daneben sollen für wichtige Medikamente Vorräte für mehrere Monate angelegt werden.
- Zum Artikel: "Lieferengpässe bei Medikamenten: Lauterbach will Regeln ändern"
CDU- und CSU-Politiker fordern "Kinder-Gesundheits-Gipfel"
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und der Chef der Bundestags-CSU, Alexander Dobrindt, forderten vor wenigen Tagen einen "Gipfel" von Bund, Ländern und Pharmaindustrie.
"Es kann nicht sein, dass in Deutschland Kinder nicht die Möglichkeit haben, an Hustensaft und andere Medikamente zu gelangen", sagte Rhein am Sonntag auf der CSU-Landesgruppenklausur im oberbayerischen Kloster Seeon. Bundesgesundheitsminister Lauterbach müsse deshalb einen "Kinder-Gesundheits-Gipfel", einberufen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Dobrindt sagte: "Kinder statt Cannabis" – das sei der Auftrag für den Gesundheitsminister, darum müsse sich Lauterbach nun kümmern.
Mit Informationen von dpa und AFP
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