Lars Klingbeil (r), SPD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender
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Klingbeil: Vom "Architekt des Misserfolgs" zum Chef-Verhandler

Klingbeil: Vom "Architekt des Misserfolgs" zum Chef-Verhandler

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil ist glühender Fan des FC Bayern. Aufgewachsen in Munster, einem Heer-Standort, in einer Soldatenfamilie. Klingbeil gilt als Außen- und Verteidigungsexperte seiner Partei. Und als Chef-Verhandler für die SPD.

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Machtorientiert. Ein Taktierer. Berechnend. Zielstrebig. Attribute, die Sozialdemokraten mit Lars Klingbeil verbinden. Interessante Attribute. Man kann sich leicht täuschen lassen, von dem meist freundlichen Auftreten dieses niedersächsischen 1,96-Meter-Hünen, seinen verwuschelten Haaren, der teddybärigen Anmutung. Wenn die Chefin der SPD, Saskia Esken, gerne als "hart" beschrieben wird, wählt man für ihren Co-Chef, Lars Klingbeil, gerne das Attribut "weich". Klingbeil nützt das, wenn man ihn unterschätzt.

SPD-Erneuerung hat einen Namen: Klingbeil

So war es auch im Sommer 2021, die SPD verharrte auf einem festbetonierten Umfrage-Sockel von 14, 15 Prozent, und Klingbeil erzählte allen, die es hören wollten, dass Olaf Scholz Kanzler werden würde. Garniert mit einem feinen, wissenden Lächeln. Als Generalsekretär war er für den Wahlkampf zuständig und damit auch für Optimismus. Sein Beharren auf diesem Prinzip Hoffnung zahlte sich aus: Die SPD stellte wider aller Erwartung am Ende den Bundeskanzler. Ein Vater dieses Erfolgs: Lars Klingbeil. Kurze Zeit später wird er Parteichef.

Machtbewusst und Smart

Dass er nun als "Architekt des Misserfolgs" bezeichnet wird, nach dem desaströsen SPD-Ergebnis vom Februar 2025, dürfte ihn geschmerzt haben. Auch wenn die Aussage von Juso-Chef Philipp Türmer kam, der bekanntlich kein Blatt vor den Mund nimmt, nicht einmal, wenn die eigenen Leute betroffen sind. Dennoch hat Klingbeil noch am Wahlabend die Gelegenheit ergriffen, den nächsten Schritt auf seinem Weg zu noch mehr Macht innerhalb der SPD zu gehen: Eine Erneuerung der Partei müsse her. Wen er damit meinte, wurde schnell klar: sich selbst.

Klingbeil kann Klartext

Klingbeil ist gerade 47 Jahre alt geworden, er ist einer der jüngsten in der SPD-Spitze, und nachdem sich Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat, eines der wenigen wirklichen Talente der Partei. Und auch wenn er sich oft auf eine phrasenhafte Sprache zurückzieht, Klingbeil kann Klartext, und er scheut sich auch nicht, Klartext zu sprechen. Der Mann hat von Gerhard Schröder gelernt, der Alt-Kanzler war lange sein Mentor in Niedersachsen, auch wenn sich Klingbeil mittlerweile von Schröder, wegen dessen Putin-Nähe, distanziert hat.

Dass er sich direkt nach der schlimmsten Wahlniederlage in der Geschichte der SPD neben dem Parteivorsitz auch noch den Fraktionsvorsitz gesichert hat, in einer handstreichartigen Aktion, hat ihm nicht nur Anerkennung eingebracht. Vor allem Frauen in der SPD-Fraktion sind nicht einverstanden, dass einer der Architekten der Niederlage sich selbst befördert, während einer anderen Architektin der Niederlage, Co-Chefin Saskia Esken, mehr oder weniger offen der Rücktritt nahegelegt wird.

Sondierungserfolge der SPD: Nicht alles ist Gold

Bei den Sondierungsverhandlungen mit der Union hat sich Klingbeil zusätzliche Unterstützung geholt: Boris Pistorius, lange Jahre Bürgermeister von Osnabrück und Innenminister in Niedersachsen, verhandelt die schwierigen Migrationsfragen. Werden die nicht im Sinne der SPD beantwortet, geht der Misserfolg mit Pistorius nach Hause, gut für Klingbeil, dem eine gewisse Rivalität zum niedersächsischen Parteifreund nachgesagt wird. Gut für Klingbeil ist auch, dass die SPD ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen herausverhandelt hat; bei den Sozialdemokraten reiben sie sich immer noch die Augen, wie so etwas mit der Union möglich war. Die sich in den Wochen vor der Bundestagswahl immer als strikte Sparkommissarin gegeben hatte.

Kritik gibt es dennoch: Bei den Sondierungsergebnissen, monieren Sozialdemokraten hinter vorgehaltener Hand, seien die SPD-Punkte mehrheitlich schwammig formuliert: "Ein Mindestlohn ist erreichbar". "Wir beraten über eine Fortsetzung des Deutschlandtickets". Die Punkte der Union zu Migration hingegen seien klar: "Wir setzen den Familiennachzug aus". Die Unruhe, die diese Beobachtung innerhalb der SPD auslöst, könnte den Ambitionen Klingbeils gefährlich werden. Anders als 2017 gibt es immerhin keine dezidierte "NoGroKo-Stimmung" in der SPD.

Ein Scheitern der schwarz-roten Koalition wäre Klingbeils Aus

Mit seinem All-In für eine Koalition mit der Union geht Klingbeil nämlich auch ein hohes Risiko ein: Vor die Koalition hat die SPD ein Mitgliedervotum gesetzt. Gelingt es Klingbeil nicht, bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union sozialdemokratische Kernthemen fest zu verankern und sozialdemokratische Red Flags vor allem bei der Migration einzuholen, könnte die SPD am Ende ihrem Hoffnungsträger die Tür weisen. Klingbeil ist zum Erfolg verdammt. Er selbst wird am wenigsten daran zweifeln.

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