Ist Donald Trump etwa der neue Bismarck? So jedenfalls sieht es der russische Militärblogger Juri Podoljak (3,14 Millionen Fans), und das ist keineswegs als Lob zu verstehen. Nachdem die USA und die Ukraine dem Kreml einen 30-tägigen Waffenstillstand vorschlagen wollen, fühlt sich Podoljak an den "Berliner Kongress" von 1878 erinnert: "Im Großen und Ganzen läuft alles genauso ab wie damals."
"Auch Deutschland hat ganz schön profitiert"
Russland hatte die Türkei 1877/78 fast besiegt und stand kurz vor der Eroberung von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Doch Europas Großmächte, allen voran Großbritannien, befürchteten nach dem Triumph des Zaren ein gefährliches politisches Ungleichgewicht und organisierten in Berlin kurzerhand ein Spitzentreffen zur Beilegung des Konflikts. Russland musste im "Berliner Vertrag" bereits besetzte Gebiete wieder räumen.
Der deutsche Reichskanzler Bismarck gab sich damals als "ehrlicher Makler", wofür er viel Anerkennung bekam, doch Juri Podoljak schimpft: "Seine Vermittlung führte letztlich dazu, dass Russland und Bulgarien um viele Vorteile ihrer militärischen Siege gebracht wurden. Großbritannien beharrte auf seiner Sicht der Dinge, weshalb die Türkei viele ihrer bereits verlorenen Gebiete zurückbekam. Auch Deutschland hat davon ganz schön profitiert." Daran erinnere die derzeitige Lage im Ukrainekrieg, auch Trump gebe sich als "Makler".
"Klassischer Schwindel"
Derweil fühlt sich Kriegsblogger Boris Roschin (866.000 Fans) angesichts der amerikanisch-ukrainischen Vorschläge an den Ersten Tschetschenienkrieg von 1994/96 erinnert, der ebenfalls mit dem (als schmählich erlebten) Abzug russischer Truppen und dem Abkommen von Chassawjurt endete: "Ein klassischer Schwindel. Erst nehmen wir es hin, dann beschweren wir uns, dass wir hintergangen wurden."
"Im Kreml werden Anrufe eingehen"
Kreml-Propagandist Sergei Markow ist weniger pessimistisch: Er kann sich einen Waffenstillstand vorstellen, aber nur, wenn alle Unterstützer der Ukraine in dieser Zeit auf Waffenlieferungen verzichten. Putin werde so oder so unter Druck der internationalen Staatengemeinschaft geraten: "Morgen werden im Kreml Anrufe aus aller Welt eingehen. Jeder wird anklingeln und höflich fragen: Sind Sie bereit für einen Waffenstillstand?"
Im Wesentlichen solle nur der Vormarsch der russischen Armee aufgehalten und der Ukraine eine Atempause verschafft werden, mutmaßt Markow, der auf einen "geheimen Teil" eines etwaigen Waffenstillstandsabkommens hofft, der Putin möglicherweise entgegenkomme: "Doch diese Hoffnungen widersprechen der politischen Erfahrung: Es gibt nichts wirklich Wichtiges, was nicht jedem zu Ohren kommt."
BR24
Polit-Blogger Anatoli Nesmijan erwartet eine "Explosion der Empörung" in russischen Kommentarspalten: "Besonders lautstarke Äußerungen dürften von jenen kommen, die vom Krieg profitieren. Tatsächlich dürfte es von ihnen nicht wenige geben, denn der Konflikt hat sich bereits zu einem stabilen System entwickelt, um das herum sich eine Vielzahl unterschiedlicher Futtertröge bildete - von Geldsammlungen und der anschließenden Unterschlagung humanitärer Hilfe über Einladungen zu Talkshows aller Art bis hin zu Rüstungsaufträgen in Milliardenhöhe."
"Abscheulichster Verrat am eigenen Volk"
Der Ultranationalist Igor Skurlatow (524.000 Fans) scheint einer dieser "Profiteure" zu sein: "Unsere Feinde haben gezeigt, dass sie einem ehrlichen Kampf an der Front nicht gewachsen sind und deshalb ihre Bereitschaft erklärt, das Feuer einzustellen, um ihre Kräfte neu zu formieren und uns in Zukunft mit der gesamten NATO-Maschinerie anzugreifen, was nur der größte Dummkopf verstehen kann." Sollte es so kommen, werde ein Waffenstillstand als "abscheulichster Verrat am eigenen Volk" in die russische Geschichte eingehen.
"Wenn es sich dabei bloß um einen Waffenstillstand handelt, dann glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass der Kreml diesen vorbehaltlos akzeptieren wird", so der gemäßigte Politologe Georgi Bovt. Dagegen meinte ein Leser der St. Petersburger Zeitung "Fontanka" ironisch: "Es wäre gut, wenn es in Russland ein Gesetz gäbe, das jeden, der militärische Aktionen befürwortet, innerhalb von 24 Stunden an die Front schickt. Dann wüssten wir genau, wie viel Prozent der Befragten für den Waffenstillstand sind."
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