Ein Mann geht durch einen langen Gefängnisflur.
Bildrechte: Daniel Karmann/dpa
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Extremismusbekämpfung ist auch in der JVA-Nürnberg ein Thema.

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Radikalisierung im Gefängnis: Was man in Bayern dagegen tut

Radikalisierung im Gefängnis: Was man in Bayern dagegen tut

Paris, Berlin, Wien: Immer wieder verüben entlassene Straftäter Terroranschläge. Zuvor haben sie sich im Gefängnis radikalisiert - oder ihre Deradikalisierung ist gescheitert. Eine Fürther Politikwissenschaftlerin will das in Bayern verhindern.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Wien am Abend des 2. November 2020. Kurz vor dem teilweisen Lockdown in Österreich schießt ein Anhänger der Terrormiliz IS in der Wiener Innenstadt um sich. Er tötet vier Menschen und verletzt sieben weitere zum Teil schwer, bevor er von der Polizei erschossen wird. Das Fatale: Der 20-Jährige war erst kurz zuvor auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verbüßte. Er habe die Behörden über den Misserfolg seiner Deradikalisierung getäuscht, erklärte Innenminister Karl Nehammer damals.

Wien ist kein Einzelfall. 2004 in Madrid, 2012 in Toulouse, 2015 in Paris oder 2016 der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt – immer wieder begehen entlassene Straftäter Terroranschläge. Im Gefängnis haben sie sich entweder radikalisiert oder ihre politischen oder religiösen radikalen Ansichten nicht abgelegt.

Kampf gegen Radikalisierung in Haft

Die Politik- und Islamwissenschaftlerin Gülden Hennemann aus Fürth will diese Gefahr in Bayern abwehren. Die 43-Jährige ist die Leiterin der Zentralen Koordinierungsstelle für Maßnahmen gegen Extremismus (ZKE) und der deutschlandweit ersten Operativen Einheit Extremismusbekämpfung im Justizvollzug (OpEEx). Die Fürtherin arbeitet von der JVA Nürnberg aus in allen 36 bayerischen Haftanstalten. Ihr Schwerpunkt: politischer und religiöser Extremismus. Ihr Ziel: Radikalisierung in der Haft verhindern.

Die Politik- und Islamwissenschaftlerin kennt sich aus und weiß, wie es zu einer Radikalisierung kommen kann. "Es geht immer darum, den Menschen zu sehen", erklärt Gülden Hennemann. "Wer in Haft kommt, ist dort nicht ohne Grund, das muss ganz klar herausgestellt werden. Aber die Straftäter haben oder hatten einen Bruch in ihrem Leben, sehen sich einer gewissen Perspektivlosigkeit ausgesetzt." Das sei ein guter Nährboden und könne empfänglich machen für Ideologien, die plötzlich wieder Sinn stiften.

In allen bayerischen JVA künftig Anti-Extremismus-Beauftragte

Als Leiterin der Koordinierungsstelle braucht Gülden Hennemann Augen und Ohren in allen bayerischen JVAs. Das sind neben ihr die Beamten, die tagtäglich mit den Häftlingen zu tun haben. In jeder JVA in Bayern soll es künftig einen Beauftragten zur Bekämpfung von Extremismus geben. Das sind speziell geschulte und sensibilisierte Beamte, die auf den Haftstationen arbeiten und auch für die Sicherheit im Gefängnis sorgen. Wichtige Ansprechpartner sind auch Juristen, Sozialarbeiter und Psychologen.

In der JVA Nürnberg hat Leiter Thomas Vogt eine Task Force Extremismusbekämpfung aus genau diesen Fachleuten zusammengestellt. Sie soll einerseits Gespräche mit den betroffenen Gefangenen führen. Andererseits sollen gleichzeitig auch die Sicherheitsbehörden wie Staatsschutz und Verfassungsschutz bei den ersten Radikalisierungsanzeichen informiert werden.

Tattoos geben ersten Hinweis auf Gesinnung

Wer ins Gefängnis geht, muss raus aus der privaten Kleidung; alle gefährlichen Gegenstände kommen weg. In der sogenannten Kammer geben die Justizvollzugsbeamten die Anstaltskleidung aus und nehmen den Häftling, seinen Besitz und dessen Haut ganz genau unter die Lupe. "Der Gefangene steht in einer abgetrennten Kabine vor den Bediensteten komplett entkleidet", schildert der Extremismusbekämpfungsbeauftragte in der JVA Nürnberg, Manuel Koch, BR24. Die versteckten Tätowierungen seien wichtig, denn nicht jeder Tätowiere trage seine politische Gesinnung auf den Handrücken oder sichtbar im Gesicht, sondern verdeckt auf der Brust oder am Oberarm.

Hinweise von Polizei und Verfassungsschutz

Zu einigen Straftätern gebe es vorab schon Hinweise von Polizei oder Verfassungsschutz an die JVA, sagt Koch. Bei Erstinsassen sei das aber eher selten der Fall. "Das sind dann bekannte Rechtsextremisten, auch aus anderen Nationen, oder etwa Mitglieder von kriminellen Banden, wie den Hell Angels oder der russischen Mafia." Deren Erkennungsmerkmale, vom Hakenkreuz über Sterne bis hin zu für die jeweilige Szene eindeutigen Zahlen- und Buchstabencodes, kennt der Justizvollzugsbeamte genau. Bei manchen arabischen Schriftzeichen, etwa den Symbolen des sogenannten Islamischen Staats, fragt er bei Gülden Hennemann nach. Sie ist Expertin für islamistischen Extremismus. Alles wird fotografiert, dokumentiert und auch dem Verfassungsschutz gemeldet.

Bei Gebetsgruppen wird Expertin hellhörig

Religiösen Extremismus auszumachen, bedeutet also genau hinzuschauen, so Gülden Hennemann. Die Expertin wird hellhörig, wenn sich zum Beispiel Gebetsgruppen unter den gut 130 muslimischen Häftlingen in der JVA Nürnberg bilden und einer den anderen seine möglicherweise radikale Haltung aufdrängt. "Wir haben schon erlebt, dass ein 'Vorbeter' den Mithäftlingen erklärt, wie 'richtiges Beten' geht", schildert Hennemann. Da schrillten dann bei allen die Alarmglocken, und es werde zügig das Gespräch mit dem selbsternannten Vorbeter gesucht.

In diesen Gesprächen gehe es nicht nur darum, dass plötzlich installierte Machtstrukturen unter den Häftlingen zu einem Sicherheitsproblem werden könnten. "Die Fachleute vor Ort haken nach, wir wollen wissen, mit welcher religiösen Strömung wir es zu tun haben", führt Hennemann aus. Salafisten, Anhänger von Al-Quaida oder dem IS stünden beim religiösen Extremismus besonders im Fokus.

Zellenfund: Koran-Ausgabe verherrlichte den Dschihad

Auch Zellendurchsuchungen gehören zum Alltag im Gefängnis. "Wir inspizieren die Hafteinrichtungen auf gefährliche Gegenstände, eingeschleuste Drogen und auch auf extremistische Hinweise, also Bilder, Symbole, Musik und Bücher", erklärt der Justizvollzugsbeamte Manuel Koch und nennt ein Beispiel: Ein Häftling in der JVA Nürnberg habe einen Koran in seiner Zelle gehabt. Diese Ausgabe habe den Dschihad, also das Töten von Ungläubigen, thematisiert. Die bekommt der Häftling nicht zurück, entschied Extremismus-Expertin Hennemann. Die Koran-Ausgabe stammte von der seit 2017 verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion", initiiert von der islamistischen Aktion "Lies!". Die Koran-Verteilaktion in deutschen Innenstädten war die größte und aufwändigste Werbeaktion von Salafisten in Deutschland.

Natürlich dürfe der Häftling religiöse Gegenstände und Schriften haben, sagt Gülden Hennemann. Die Ausübung der Religion sei auch im Gefängnis gewährleistet. Dafür gebe es aber entsprechende Ansprechpartner, Seelsorger etwa aus der islamischen Begegnungsstube Medina in Nürnberg. "Die unterstützen uns dabei, dass eine vernünftige Koranausgabe ausgeteilt wird und nicht eine, die von Salafisten herausgegeben wurde."

Schlimmstes noch in der Haft verhindern

Den Leiter der JVA Nürnberg, Thomas Vogt, treibt der Kampf gegen Extremisten oder solche, die es in der Haft werden könnten, um. Seit den Anschlägen 2004 in Madrid, bei denen 193 Menschen starben und mehr als 2.050 verletzt wurden, sei das Justizministerium in Bayern alarmiert, schildert Vogt. Unter den zehn islamistischen Terroristen waren auch in Haft radikalisierte Täter. Der Gefängnisleiter hat sein persönliches Horror-Szenario: Gefangene aus dem religiös-extremistischen Bereich, die über eine Gebetsgruppe oder einen Solidaritätskreis in seiner Haftanstalt zusammenfinden – um etwa eine Bombenattacke auf einen Weihnachtsmarkt vorzubereiten. "Dass es irgendetwas geben könnte, was hier in der Anstalt seinen Ursprung hatte, das ist das, was ich mir als Schlimmstes vorstellen könnte."

Beides wichtig: Sanktionen und Perspektiven

"Verdacht", "Zugehörig zu einer Szene", "Terrorist" – in diesen Kategorien werden sich radikalisierende Insassen auch in der Haft eingestuft. JVA-Leiter Thomas Vogt und die Leiterin der Operativen Einheit Extremismusbekämpfung im Justizvollzug, Gülden Hennemann, stehen im ständigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden. Bleiben Gespräche fruchtlos, werden auch Sanktionen und Überwachung durch den Staatsschutz und den Verfassungsschutz eingeleitet. Alle gewonnenen Erkenntnisse werden bei einer Verlegung des Häftlings in eine andere Anstalt weitergegeben.

Vor allem aber, das betont die Extremismus-Expertin Hennemann nachdrücklich, soll den Häftlingen, die möglicherweise bereits auf dem Weg der Radikalisierung sind, eine Perspektive geboten werden. Dazu gehören auch Aussteigerprogramme, die schon in der Haft beginnen.

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