Hund in verdrecktem Zwinger
Bildrechte: Aktion Tier - Menschen für Tiere e.V./Ursula Bauer

Zu viele Tiere – Phänomen Animal Hoarding

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Leid durch zu viele Tiere – Phänomen Animal Hoarding

Es beginnt mit Liebe und endet im Leid: "Animal Hoarding" ist eine krankhafte Tiersammelsucht, die häufig nach Lebenskrisen zutage tritt. Die Schattenseite menschlicher Tierliebe ist ein zunehmendes Problem für Behörden, Tierschutz und Gesellschaft.

Über dieses Thema berichtet: BR Story am .

Hunde und Katzen in Käfige eingesperrt, sichtlich verwahrloste Tiere, trächtige Hündinnen und Welpen unterernährt, teilmumifizierte Katzenleichen in verborgenen Verschlägen: Insgesamt 139 Katzen und Hunde wurden auf einem Anwesen im oberbayerischen Landkreis Miesbach während mehreren Vor-Ort-Kontrollen durch das Veterinäramt der Halterin weggenommen. Drei Jahre ist das her. Und doch hält der Fall derzeit immer noch die Gerichte in Atem. Denn die Frau ist uneinsichtig, wehrt sich gegen das verhängte Tierhalteverbot und geht gegen das Urteil im Strafgerichtsprozess – zehn Monate auf Bewährung wegen Tierschutzverstößen - in Berufung. Noch gibt es also kein rechtskräftiges Urteil.

Es war der Tipp einer Hundekäuferin, die den Tierschutz und schließlich auch das Veterinäramt im Juli 2021 auf den Plan rief. Die Vizepräsidentin des Tierschutz-Landesverbandes Bayern, Johanna Ecker-Schotte, war selbst vor Ort am Hof, als die Tiere in Gewahrsam genommen wurden. Fälle von Animal Hoarding entdeckt man aber nicht nur im ländlichen Raum. Oft finden die Behörden mit Tieren völlig überfüllte Wohnungen vor. Für die Biologin Ursula Bauer ist jeder Fall, den sie für die Tierschutzorganisation "aktion tier" in Berlin begleitet, tragisch. Denn menschliches und tierisches Leid seien dabei oft eng verbunden, sagt sie.

Zwangsstörung "Tiere sammeln"

Doch was versteht man unter Animal Hoarding? Es bezeichnet das Verhalten von Menschen, die eine große Anzahl von Tieren halten - und sie nicht angemessen versorgen können. Die Motivation dahinter ist nicht immer dieselbe. "Es gibt natürlich Leute, die sammeln, weil sie verschiedene Tierarten haben wollen. Es gibt Leute, denen ist es schlicht über den Kopf gewachsen. Und es gibt natürlich Leute, die aus Gewinnmaximierung möglichst viel züchten möchten", erklärt Thomas Stegmanns von der Veterinärbehörde Stuttgart.

Profit ist also das eine. Doch kann die Tiersammelsucht auch eine Form von psychischer Krankheit sein? In Deutschland wird sie bis jetzt noch nicht so klassifiziert. Die Forschung steckt noch in den Anfängen. International wird Animal Hoarding als Unterform pathologischen Hortens eingeordnet - eine Zwangsstörung mit hoher Rückfallquote.

Schicksalsschläge und Misstrauen gegen Menschen

"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei Animal Hoardern meistens irgendetwas in der Vergangenheit, was Schreckliches passiert ist", sagt Ursula Bauer. Schwere Schicksalsschläge, Bezugspersonen oder Kinder, die gestorben sind, Arbeitslosigkeit, Schulden - all das hat sie bei den Tierhaltern angetroffen.

Um an die Wurzel des Problems zu gelangen, wollen die Forschenden zunächst verstehen, wie Animal Hoarding entsteht. Wie ist der Mensch aufgewachsen? Wie sind seine Bindungen im Leben? Vielen ist eines gemeinsam: Menschen werden von den Tiersammlern nicht als hilfreich erlebt - Tiere dagegen schon. Sie sollen das Selbstwertgefühl steigern.

Lebenskrise lässt Situation kippen

Aber was anfangs funktioniert, kippt spätestens dann, wenn eine Lebenskrise hinzukommt. "Dann gibt es oft diesen Fehlschluss: Mehr Tier gibt mir mehr zurück, weil sie nichts anderes gelernt haben, es gibt keine andere Bewältigungsstrategie, die jetzt greifen kann", betont Birgit U. Stetina von der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität.

Dort gibt es bereits eine Mensch-Tier-Ambulanz - eine Anlaufstelle für oft ratlose Angehörige. Spätestens wenn dann die ersten Tiere krank werden, nicht kastrierte Tiere sich unkontrolliert vermehren und die finanziellen Ressourcen ausgeschöpft sind, gerät alles aus dem Ruder. Viele Betroffene verschließen die Augen vor dem entstandenen Problem.

Enorm gestiegene Fallzahlen - und hohe Dunkelziffer

Die Tiersammelsucht gibt es zwar schon lange, doch nun gerät sie mehr in den Fokus. Denn die Fallzahlen sind enorm gestiegen. Der Deutsche Tierschutzbund erfasst seit 2012 systematisch die Meldungen der ihm angeschlossenen Tierheime.

Die Zahlen zeigen einen Anstieg um 250 Prozent in zehn Jahren - insgesamt betreuten diese Tierheime rund 42.000 gehortete Tiere. Doch das sind längst nicht alle Fälle, denn nur gut ein Drittel aller deutschen Tierheime sind dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossen.

Keine offizielle Statistik also für ganz Deutschland, doch für Bayern gibt es verlässliche Daten: Nach einer kleinen Anfrage der Grünen im Landtag wertete das Umweltministerium die Angaben aller Veterinärämter im Freistaat aus. Das Ergebnis: In gut drei Jahren gab es allein in Bayern 153 Fälle. Derzeit sind es im Schnitt 62 Tiere pro erfassten Fall deutschlandweit - in 15 Prozent der Fälle mussten über hundert Tiere beschlagnahmt werden - Tendenz steigend. Darüber hinaus geht man von einer großen Dunkelziffer aus. Insgesamt alarmierende Zahlen.

Überlastete Tierheime und Auffangstationen

Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen – vor allem für die Tierheime und Auffangstationen: Dort müssen die verängstigten und geschundenen Tiere aufgepäppelt, kastriert und - wenn möglich - weitervermittelt werden. Manchmal bleibt aber nur das Einschläfern. Doch die Einrichtungen sind bereits voll: Schnellkäufe im Internet, krasse Unkenntnis von Tierbedürfnissen und natürlich die vielen Tierkäufe während der Corona-Pandemie haben hier ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Extra-Budgets für Animal Hoarding gibt es nicht.

Sachkundenachweis und Fortbildungen - ein Lösungsansatz?

Wie kann man den Tieren helfen - und den Menschen? In der Schweiz gibt es den obligatorischen Sachkundenachweis für Hundehalter. Hierzulande bleibt es den Ländern überlassen, Auflagen wie zum Beispiel Fortbildungen zu erteilen.

Ob Sachkundenachweise wie ein Hundeführerschein die Tiersammelsucht eindämmen könnten? Eine Art Tierhalte-Führerschein von behördlicher Seite wäre laut Expertenmeinung durchaus sinnvoll, denn viele Menschen, die Animal Hoarding betreiben, seien sich ihres Problems nicht bewusst. "Das ist halt immer der Unterschied zwischen Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung", sagt Carolin Debuschewitz, Amtsveterinärin der Stadt Köln. Viele seien fest davon überzeugt, die Tiere art- und tierschutzgerecht zu halten und ihnen etwas Gutes zu tun.

Auch die seit 2023 installierte Bundestierschutzbeauftragte, Tierärztin Ariane Kari, hält es für notwendig, die Sachkunde von Tierhaltenden zu erhöhen - und beispielsweise einen Sachkundenachweis verpflichtend zu machen. Ein "sehr, sehr dickes Brett", das hier zu bohren ist, dessen ist sich Kari bewusst. Denn viele seien davon überzeugt, dass man weiß, wie man die gängigen Tierarten wie Hund oder Katze hält. Zudem schwinge schon die Gefahr mit, ein "Bürokratiemonster" zu erschaffen, doch die Anordnung müsse eben gut gemacht werden.

Bundesländer für Vollzug des Tierschutzes zuständig

Die Ist-Situation sieht so aus: Für den Vollzug der tierschutzrechtlichen Vorgaben sind die Bundesländer zuständig. Bevor diese einen aufwändigen Strafprozess anstreben, wird versucht, mit Auflagen weiterzukommen. So spricht das Veterinäramt ein sogenanntes Tierhaltungs- und Betreuungsverbot aus. Heißt: Der Tierhorter darf keine Tiere mehr halten. Sollte er doch noch mal Tiere haben, muss ein Zwangsgeld gezahlt werden.

Bevor es jedoch so weit kommt, erhält der Tierhalter die Chance, nachzubessern. Die Veterinärin Debuschewitz sieht ihren schwierigen Job als Spagat an, "auf der einen Seite sich an das Tierschutzgesetz halten und andererseits die Rechte der Bürger nicht aus dem Auge verlieren". Die Bundestierschutzbeauftragte Kari weiß, dass behördliche Auflagen nur beschränkt abschreckend sind: "Nur weil man jemandem sagt, jetzt darfst Du es nicht mehr machen, heißt es ja noch lange nicht, dass derjenige es nicht mehr macht."

Die Strafe umgehen – und weitermachen

Denn es gibt eine Reihe von Tierhortern, die sich möglichen Strafen schlichtweg entziehen. Sie ziehen in ein anderes Bundesland und können so die Auflagen umgehen, denn die Vorschriften der Veterinärämter werden nicht weitergereicht. Ein "Tierquäler-Zentralregister" wäre laut Ursula Bauer die Lösung. Seit Jahren wird es von Tierschützern eingefordert.

Hoffnungsschimmer für Tierschützer

Die Regierungsparteien wollen laut Koalitionsvertrag ein Register zur Überwachung von Tierhaltungsverboten einführen. Auch der Bundesrat hat ein solches Register eingefordert - ein Hoffnungsschimmer für Tierschützer. Doch um Animal Hoarding einzudämmen, braucht es neben höheren Bußgeldern und einem Zentralregister für straffällig gewordene Tierhalter auch die weitere Erforschung der menschlichen Beweggründe für das Horten von Tieren.

"Es ist natürlich ein gesellschaftliches Problem, weil wir zu einer Wegwerfgesellschaft mutiert haben, also eigentlich habe ich die Forderung an den Menschen, dass man sich selbst ein bisschen an die Kandare nimmt. Ansonsten trägt man das alles auf dem Rückgrat von so einem kleinen Geschöpf aus. Und das ist nicht fair", so Petra Veiel, Sprecherin des Tierheims Stuttgart.

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