Die Ampel-Koalition streitet seit Monaten über den richtigen politischen Kurs. Jetzt ist ein neues Grundsatzpapier von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner bekanntgeworden, in dem er sich in Teilen von der gemeinsamen Politik der vergangenen drei Jahre distanziert.
Lindner: "Schaden vom Standort Deutschland abwenden"
In dem Papier ohne Datum wird eine "Wirtschaftswende" gefordert, mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen", um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.
Die deutsche Wirtschaft ist in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken.
Verschiedene Maßnahmen gefordert
Konkret ist in Lindners jetzigem Papier von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, wo das nicht möglich sei, so ausgestaltet sein, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Als Beispiele nennt er das Lieferkettengesetz, das Tariftreuegesetz und die geplante Familienstartzeit. Als Sofortmaßnahme verlangt Lindner zudem, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen.
Außerdem stellt er die Klimaschutzmaßnahmen der Ampel infrage. Nationale müssten durch europäische Klimaziele ersetzt werden. Deutschland solle auf europäischer Ebene insbesondere die Abschaffung der Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte für Autokonzerne durchsetzen.
Herbst der Entscheidungen
Die FDP fordert seit längerem eine "Wirtschaftswende" und hat den "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen. Auch Forderungen wie eine vollständige Soli-Abschaffung sind grundsätzlich bekannt. Der Zeitpunkt des neuen Papiers ist aber brisant: Erst vor anderthalb Wochen hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Papier erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte auch zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet.
Haushalt wegweisend
Als wegweisend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, die für den 14. November geplant ist. Dort wird über den Haushalt 2025 entschieden.
Spekulationen über eine vorzeitige Auflösung der Ampel-Koalition trat Regierungssprecher Hebestreit am Freitagmittag - vor Bekanntwerden des neuen Lindner-Papiers - entgegen. "Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen", sagte Hebestreit in Berlin. Er machte deutlich, "dass man konstruktiv die nächsten knapp elf Monate bis zum regulären Wahltermin für die nächste Bundestagswahl miteinander zusammenarbeiten wird".
CSU: "Nackte Verzweiflung"
Der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Sebastian Brehm, nannte Lindners Grundsatzpapier "Ausdruck nackter Verzweiflung über eine ausweglose Finanzlage und eine desaströse Lage seiner Partei". Lindner und die FDP seien aber Teil und Mitverursacher der Probleme, die das Land quälten
Mit Informationen von dpa
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