Vor einem halben Jahr hat die Europäische Union nach langem Streit eine Asylreform beschlossen. Aber damit ist die Diskussion keineswegs beendet. Vor dem Hintergrund zwischenzeitlich steigender Flüchtlingszahlen und des Erstarkens rechter und rechspopulistischer Parteien in den Mitgliedsstaaten und im EU-Parlament verlangen viele Regierungen schärfere Maßnahmen: Ihnen geht die Umsetzung des Asylpaktes nicht schnell genug, einige wollen über die gerade erst beschlossenen Regelungen hinausgehen – oder sie gar nicht anwenden.
Alleingänge und Grenzkontrollen
So möchte Polens Regierung das Asylrecht vorübergehend aussetzen und verweist dabei auf Belarus und Russland, die nach Warschaus Angaben gezielt Migranten ins Land schleusen. Die niederländische Rechtsaußen-Regierung hat beantragt, ganz aus den gemeinsamen EU-Asylregeln auszusteigen. Dahinter steht die Ankündigung des rechtspopulistischen Wahlsiegers Geert Wilders, in seinem Land die schärfste Asylpolitik aller Zeiten einzuführen.
Die ungarische Regierung verlangt in Brüssel ebenfalls ein sogenanntes Opt-out. Die Bundesregierung erhöht den Druck auf Italien und Griechenland, Menschen zurückzunehmen, die dort erstmals in die EU eingereist, dann aber nach Deutschland weitergezogen sind. Nach dem islamistischen Messer-Anschlag von Solingen vor acht Wochen hat Berlin Kontrollen an den Grenzen zu den EU-Nachbarn eingeführt, was einige von ihnen kritisieren.
Italien hat nach eigenen Angaben die ersten zwei Aufnahmezentren für Migranten in Albanien in Betrieb genommen. Dort sollen Menschen unterkommen, die italienische Behörden auf dem Weg übers zentrale Mittelmeer aufgegriffen haben.
Strengere Abschieberegeln
Es herrscht also viel Bewegung in der EU-Migrationspolitik, die nicht immer in eine Richtung zielt. Eine gemeinsame Linie zeichnet sich ab, wenn es um strengere Abschieberegeln geht. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten verlangt von der EU-Kommission, die Rückführungsrichtlinie von 2008 zu überarbeiten und mehr Druck auf Regierungen ausüben, die ihre Landsleute nicht zurücknehmen wollen. Auch Deutschland hat sich angeschlossen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagiert: In ihrem Brief an die 27 EU-Staats- und Regierungschefs und –chefinnen vor dem Gipfel am Donnerstag betont sie, die EU brauche einen neuen Rechtsrahmen, um ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern. Nur etwa ein Fünftel der zur Ausreise verpflichteten Drittstaatsangehörigen sei tatsächlich zurückgekehrt.
Verfahren angleichen
Das liegt nach von der Leyens Darstellung unter anderem daran, dass sich Verfahren und politische Praxis der Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden. Das müsse angeglichen werden, damit Migranten ohne Bleiberecht keine Lücken im System ausnutzen könnten. Von der Leyen kündigt ein neues Gesetz an, das mehr Digitalisierung und engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Anerkennung von der Entscheidungen vorsieht.
Vorherige Versuche, die EU-Rückführungsregeln zu verschärfen, sind im EU-Parlament gescheitert. Aber nach der Europawahl vom Juni haben sich dort die Mehrheiten geändert: Die Fraktionen rechts der Mitte, die Änderungen aufgeschlossen gegenüberstehen, sind stärker geworden.
Vorbild Italien?
Nach Ansicht der Kommissionschefin sollte die Gemeinschaft die Einrichtung von Rückführungszentren außerhalb der EU prüfen. Dabei verweist von der Leyen auf die Zusammenarbeit zwischen Italien und Albanien. Es geht also darum, abgelehnte Asylbewerber in Abschiebelagern außerhalb der EU festzuhalten, bis sie von ihren Herkunftsländern aufgenommen werden.
Auch das "Ruanda-Modell" wird diskutiert, also die Auslagerung von Asylverfahren nach Afrika. Wie beide Modelle praktisch funktionieren könnten und auf welcher rechtlichen Grundlage, ist offen. Auch sind keine Partnerstaaten für solche Modelle in Sicht.
Einigung beim Gipfel ungewiss
Von der Leyen verweist auf Erfolge der bestehenden Vereinbarungen der EU mit Tunesien und Libyen: Demnach sind im laufenden Jahr zwei Drittel weniger Menschen über die zentrale Mittelmeerroute in die EU gelangt. Außerdem werden nach ihren Angaben mit Unterstützung der EU knapp 18 000 Personen aus Nordafrika in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Die EU strebe auch mit Senegal und Mali eine engere Zusammenarbeit an, obwohl "die Beziehungen im Allgemeinen sehr komplex" seien.
Angesichts des eskalierenden Konfliktes im Nahen Osten ruft die Kommissionschefin dazu auf, Notfallpläne für die EU und ihre internationalen Partner auszuarbeiten. Beim EU-Gipfel am Donnerstag ist die Migration nach den Worten eines führenden EU-Beamten "das wohl heikelste Thema“" bei dem die Ansichten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer teilweise weit auseinandergehen. Es ist deshalb nicht sicher, ob sie sich dazu auf gemeinsame Schlussfolgerungen in der Abschlusserklärung einigen können.
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