Wütende Demonstranten in Istanbul halten türkische Flaggen und ein Bild des festgenommenen Politikers Ekrem Imamoglu hoch.
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Wütende Demonstranten in Istanbul halten türkische Flaggen und ein Bild des festgenommenen Politikers Ekrem Imamoglu hoch.

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Nach Festnahme von Erdogan-Rivalen: Demos und neue Verhaftungen

Nach Festnahme von Erdogan-Rivalen: Demos und neue Verhaftungen

Die Behörden in der Türkei gehen weiter gegen den wichtigsten Rivalen von Präsident Erdogan vor. Gestern wurde der Istanbuler Bürgermeister festgenommen, nun wurde auch seine Firma beschlagnahmt. Trotz eines Verbots gingen Tausende auf die Straßen.

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Trotz eines Versammlungsverbots haben sich am Abend rund 10.000 Menschen vor dem Istanbuler Rathaus versammelt, um gegen die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu zu protestieren. Die Behörden der Provinz, die der Zentralregierung von Recep Tayyip Erdogan unterstehen, hatten zuvor ein viertägiges Demonstrations- und Versammlungsverbot verhängt.

Proteste auch in Ankara

Auch in Ankara gab es dem Sender Halk TV zufolge Proteste. An der dortigen ODTÜ-Universität kam es demnach zu Zusammenstößen zwischen Studierenden und der Polizei. Dabei sollen auch Menschen in Gewahrsam genommen worden sein. Die Demonstranten forderten Erdogan zum Rücktritt auf und warfen ihm vor, durch die Festnahme seinen größten Rivalen ausschalten zu wollen. Aus Protest öffneten viele Menschen auch ihre Fenster und schlugen auf Töpfe oder hupten auf den Straßen. Am Donnerstag demonstrierten Studenten mehrerer Universitäten in Istanbul und Ankara.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte derweil die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters. Dies sei ein "sehr, sehr schlechtes Zeichen", sagte Scholz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Der Vorfall sei "bedrückend für die Demokratie in der Türkei, aber ganz bestimmt auch bedrückend für das Verhältnis zwischen Europa und der Türkei".

CHP spricht von Putschversuch

Der 53 Jahre alte Imamoglu gilt als aussichtsreichster Herausforderer von Erdogan bei der für 2028 angesetzten Präsidentenwahl. Die CHP will ihn am Sonntag zu ihrem Kandidaten wählen. Die CHP rief alle Menschen in der Türkei dazu auf, am Sonntag über seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten abzustimmen. Neben jeder der rund 4.000 landesweit aufgestellten Wahlboxen für die 1,7 Millionen Parteimitglieder würden zusätzlich symbolisch "Solidaritätswahlboxen" aufgestellt, hieß es.

CHP-Chef Özgür Özel sagte am Mittwoch, die Türkei erlebe "einen Putschversuch gegen den nächsten potenziellen Präsidenten". Er warf Erdogan vor, nur deshalb gegen Imamoglu vorzugehen, weil der ihn in einer freien Wahl besiegen werde.

Justizminister nennt Putsch-Rhetorik "inakzeptabel"

Erdogan äußerte sich bisher nicht. Justizminister Yilmaz Tunc nannte Aufrufe zu Protesten sowie die Putsch-Rhetorik "inakzeptabel". Erdogan darf laut geltender Verfassung 2028 kein weiteres Mal als Präsident antreten – es sei denn, das Parlament stimmt für vorgezogene Neuwahlen. Erdogans Partei AKP und ihre Verbündeten brauchen dafür aber auch Stimmen der Opposition.

Erst war Ekrem Imamoglu sein Uni-Abschluss aberkannt worden – die Voraussetzung für eine Präsidentschafts-Kandidatur. Am Mittwoch wurde er dann festgenommen. Die Ermittlungsbehörden werfen ihm Korruption und Terror-Unterstützung vor. Mit Imamoglu wurden laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mindestens 87 weitere Personen festgenommen, gegen 106 werde insgesamt ermittelt.

Bauunternehmen von Imamoglu beschlagnahmt

Inzwischen wurde auch das Bauunternehmen von Imamoglu beschlagnahmt. Die Kontrolle über Imamoglu Construction sei basierend auf Untersuchungsberichten zu Finanzkriminalität von einem Strafgericht übernommen worden, so die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul.

Festnahmen wegen Posts

Die Polizei ermittelt auch gegen Social-Media-Nutzer wegen Posts. 37 Personen seien bereits "gefasst" worden, schrieb Innenminister Ali Yerlikaya auf X. Insgesamt seien 261 Accountinhaber wegen "provokativer Beiträge" ermittelt worden, 62 davon im Ausland. Gegen die verbliebenen werde noch vorgegangen.

Den Nutzern werde etwa "Aufstachelung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" und "Anstiftung zur Begehung einer Straftat" vorgeworfen. Soziale Medien sind in der Türkei weiter nur eingeschränkt verfügbar. Das Auswärtige Amt empfiehlt in seinen Reisehinweisen (externer Link) für die Türkei, Demonstrationen und größere Menschenansammlungen zu meiden.

Der beliebte Istanbuler Bürgermeister Imamoglu äußerte sich vor wenigen Stunden auf X (externer Link, türkischer Post) kämpferisch: "Keine Macht kann der Solidarität und Hoffnung im Wege stehen. Unser Kampf gilt unseren Kindern, unseren Rechten, unserem Gesetz, unserer Gerechtigkeit und einer besseren Zukunft."

Mit Informationen von dpa und Reuters

Zum Nachhören: Proteste in der Türkei gegen Festnahme Imamoglus

Proteste in der Türkei gegen die Festnahme des Oppositions-Politikers Ekrem Imamoglu.
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Proteste in der Türkei gegen die Festnahme des Oppositions-Politikers Ekrem Imamoglu.

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