"Desaster", "Katastrophe", "Schmerzhaft" – die Reaktionen auf den Auftritt von Joe Biden im TV-Duell gegen Donald Trump sind deutlich. Biden musste liefern – und er tat es nicht. Die Zweifel, dass er dem Amt noch gewachsen ist, werden immer größer. Und die Diskussion darüber, ob die Partei ihn noch ersetzen kann, immer lauter. Wie das gehen könnte und wer als Ersatz infrage käme - ein Überblick.
Wie die Demokraten Biden noch austauschen könnten
Könnte die Partei den Kandidaten noch austauschen? Ja, es gibt zwei Szenarien. Beim ersten würde Biden nicht freiwillig zurückziehen. Rund 4.000 demokratische Delegierte werden Mitte August in Chicago zusammenkommen, um den Präsidentschaftskandidaten zu wählen.
Biden hat die Vorwahlen mit großem Vorsprung abgeschlossen. Jeder Staat entsendet eine entsprechende Anzahl von Abgeordneten zum Parteitag. Biden hat rund 95 Prozent dieser Delegierten gewonnen. Ihr Votum wird dem jeweiligen Kandidaten zugesichert, aber die Delegierten sind an diese Zusage nicht gebunden.
Auf dem Parteitag könnte ein Herausforderer eine offene Abstimmung fordern und mindestens die Hälfte der Wähler, die für Biden stimmen sollte, müsste jemand anderen wählen. Allerdings spielt das Präsidenten-Team häufig eine Rolle bei der Auswahl der Delegierten. Zudem würde sich die Partei dem Vorwurf aussetzen, das Votum der Basis zu ignorieren. Der Image-Schaden könnte enorm sein. Dieses Szenario ist deswegen unwahrscheinlich.
Szenario 2: Biden zieht sich freiwillig zurück
Das wahrscheinlichere Szenario ist ein freiwilliger Rückzug Bidens. Das könnte so ablaufen: Die Partei lässt das TV-Duell etwas sacken. Barack Obama und andere Granden der Partei wie Senatsführer Chuck Schumer und die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, setzten sich mit Biden zusammen und versuchen ihn zu überzeugen, dass seine Mission erfüllt und es nun Zeit für jemand anderes sei.
Biden könnte anschließend argumentieren, dass er ja ursprünglich sowieso nur ein "Übergangspräsident" sein wollte, dass er seine wesentlichen Ziele erreicht habe, er aber nun spüre, dass sein Gesundheitszustand weitere vier Jahre nicht möglich machen. Und dass er beispielsweise seine Energie in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft fortan auf die Bewältigung der internationalen Krisen – Kriege in der Ukraine und in Gaza – lenken wolle.
Biden könnte sich bei der Suche nach einem Nachfolger zurückziehen. Oder er könnte versuchen, selbst einen Kandidaten ins Schaufenster zu stellen und die Partei überzeugen, dass sie einheitlich ihn oder sie unterstützen solle.
Kampf um die besten Ideen oder schriller Wahlkampf?
Sollte er sich bei der Kandidaten-Suche raushalten, dürfte es aufgrund der wenigen Zeit bis zum Parteitag zu einem Hochgeschwindigkeits-Wahlkampf kommen. Die Kandidaten würden in aller Schnelle Kampagnen auf Social Media starten und versuchen, in Gesprächen und auf Veranstaltungen Delegierte für sich zu gewinnen.
"Kandidaten und ihre Unterstützer werden von Hotel zu Hotel eilen, um mit Delegierten zu reden und um ihre Unterstützung zu werben", sagte Elaine Kamarck, Direktorin des "Center for Effective Public Management" in Washington und Autorin eines Buches über die US-Vorwahlen, im Februar in der "Ezra Klein Show" (externer Link), einem Podcast der New York Times. Das Ganze würde "ziemlich wild" werden, so Kamarck. Sie geht davon aus, dass es mindestens zwei Wahlgänge geben wird. Im ersten würde lediglich geschaut werden, "wo überhaupt alle stehen".
Im besten Fall würde die Partei für ein politisches Event sorgen: Ein offener Parteitag, den die Partei seit 1968 nicht mehr hatte (seiner Zeit endete der Parteitag im Chaos, weswegen die Demokraten auf ein bindendes Vorwahl-System umgestiegen sind). Auf dem Parteitag würde es einen Kampf um die besten Ideen geben. Das Interesse der Medien und der Wähler dürfte enorm sein, eben weil es dieses Format so lange nicht mehr gab.
Im schlimmsten Fall würden die Kandidaten wegen der geringen Zeit versuchen, mit möglichst lauten und schrillen Äußerungen im Ringen um Aufmerksamkeit einen Vorsprung zu bekommen. Der Parteitag könnte – zumindest in der ersten Runde – ein unklares Votum haben, viele Stimmen für viele Kandidaten. Der Eindruck könnte entstehen, dass die Partei nur in Teilen hinter dem eigenen Kandidaten steht.
Dass die Kandidaten sich zerfleischen, wird nicht passieren, glaubt Elaine Kamarck, die selbst Delegierte bei den Demokraten war. "Es wäre keine gute Idee, toxisch zu sein, da viele einen zum ersten Mal wahrnehmen werden". Dann mit negativen Äußerungen über Konkurrenten aufzufallen, sei keine intelligente Sache, so Kamarck.
Die Rolle der "Super-Delegates"
Ob die Biden-Delegierten in ihrem Votum komplett frei wären, ist auch nicht sicher. Innerhalb der Partei gibt es starke Blöcke. So könnten die Delegierten aus Kalifornien beispielsweise geschlossen für einen Kandidaten aus ihrem Bundesstaat stimmen. Oder die Gewerkschaftsmitglieder wählen geschlossen einen Kandidaten, der ihnen für ihre Anliegen am besten erscheint.
Eine besondere Rolle hätten auch die sogenannten "Super-Delegates". Das sind gewählte Amtsträger und Personen aus der Parteispitze, ungefähr 700 gibt es von ihnen. Sie könnten beispielsweise nach einem ersten Wahlgang mit ihren Stimmen einem Kandidaten zum Sieg verhelfen.
Weil es dieses Format so lange nicht mehr gegeben hat, ist aber bei vielen Themen unklar, wie es tatsächlich ablaufen könnte.
Das Problem mit Ohio
Der Parteitag der Demokraten, die Convention, ist für den 19. bis 22. August in Chicago geplant. Problematisch ist dieses Datum wegen des Bundesstaats Ohio. Dort muss eine Partei bis zum 7. August mitteilen, wen sie als Kandidaten aufstellt. Die Demokraten hatten deswegen geplant, bereits vor dem 7. August einen sogenannten Virtual Roll Call zu veranstalten, also eine Art digitale Abstimmung, bei der Biden bereits formal als Kandidat festgelegt werden soll und der Parteitag in erster Linie das Zeremonielle liefert.
Sollte Biden zurückziehen und der Partei Raum für einen parteiinternen Wahlkampf geben wollen, müsste sie sich hier eine Lösung überlegen. In Ohio keinen Kandidaten aufzustellen, dürfte keine Option sein, auch wenn der Staat in den letzten beiden Wahlen an Trump ging.
Doch bevor Joe Biden nicht von sich aus sagt, dass er zurückzieht, dürfte das alles keine Rolle spielen. Falls er es doch tut, wären das mögliche Kandidaten:
Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA
Sie wäre die natürliche Nachfolgerin, war bereits die vergangenen vier Jahre an Bidens Seite und bräuchte kaum Einarbeitung. Würde sie gegen Trump gewinnen, wäre sie die erste Präsidentin in der Geschichte der USA. Das Problem: Sie ist noch unbeliebter als Joe Biden. Biden gab ihr den Auftrag, die Krise an der mexikanischen Grenze zu lösen. Es sollten weniger Migranten in die USA kommen, gleichzeitig wollte man eine humanere Einwanderungspolitik als Trump präsentieren - eine fast unlösbare Aufgabe, die ihrem Image geschadet hat. Zudem warfen zahlreiche Personalwechsel in ihrem Büro Fragen nach ihrem Führungsstil auf.
Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien
Jung, dynamisch und eloquent: Gavin Newsom hatte sich bereits etwas als Schatten-Kandidat positioniert. So gab es Ende vergangenen Jahres ein TV-Duell zwischen ihm und Ron DeSantis, der gegen Trump in den republikanischen Vorwahlen angetreten, aber früh ausgeschieden war. Als Gouverneur von Kalifornien hat er den Vorteil, dass sein Bundesstaat die meisten Delegierten auf dem Parteitag stellen wird. Doch Kalifornien ist auch sein Problem: Der Küstenstaat im Westen gilt vielen im Land als 'Failed State', als Staat, in dem die Probleme mit Drogensucht extrem und Gesetze nichts mehr wert sind. Kaum eine Stadt steht so sehr für dieses Image wie San Francisco - in der Newsom einst Bürgermeister war. Progressive Menschen würden seine Kandidatur begrüßen, ob das auch für die Swing States gilt - also jene Staaten, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen und damit häufig wahlentscheidend sind - ist unklar.
Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan
Whitmer wurde 2020 bereits als Kandidatin für den Vize-Posten unter Joe Biden gehandelt. Die 52-Jährige holte vor zwei Jahren bei ihrer Wiederwahl ein starkes Ergebnis, gilt als sehr beliebte Politikerin. Sie setzt sich für strengere Waffengesetze und das Recht auf Abtreibung ein. Weiterer Vorteil für Whitmer: Michigan ist ein Swing State und ihre Kandidatur dürfte die Siegchancen der Partei in diesem Bundesstaat erhöhen. Nationale Bekanntheit erlangte Whitmer auch, als bekannt wurde, dass eine Gruppe Rechtsextremer einen Plan erarbeitet hatte, um sie entführen und zu töten. Das FBI nahm die 13 Männer rechtzeitig fest.
Josh Shapiro, Gouverneur von Pennsylvania
"Get shit done", zu deutsch etwa: Stürzen wir uns verdammt noch mal in die Arbeit. Shapiro nutzt zur Not auch mal eine deutliche Sprache, wie bei einem seiner Slogans im letzten Wahlkampf. Als Gouverneurs-Kandidat in Pennsylvania setzte er sich ebenfalls für das Recht auf Abtreibung ein sowie gegen Bestrebungen der Republikaner, höhere Hürden beim Wahlrecht einzuführen. Shapiro hat mit seinen 50 Jahren noch den Ruf des Newcomers und gilt als jemand, der die Parteiflügel vereinen kann. Und: Auch Pennsylvania ist ein Swing State.
Pete Buttigieg, Verkehrsminister der USA
In den Vorwahlen vor vier Jahren trat er bereits als Kandidat an, musste sich aber Joe Biden geschlagen geben. Er wurde im Biden-Kabinett Verkehrsminister. Als Kandidat macht er sich als "Mayor Pete" einen Namen, er war bis Ende 2019 Bürgermeister seiner Heimatstadt South Bend in Indiana. Er gilt vielen als politisches Wunderkind, überzeugt durch seine Eloquenz. Zudem soll er insgesamt acht Sprachen beherrschen, darunter norwegisch und arabisch. Bei ihm steht allerdings auch die Frage im Raum, ob die USA bereit für einen homosexuellen Präsidenten sind.
Michelle Obama, ehemalige First Lady
Könnten sich die Demokraten jemanden frei heraussuchen, dann würde die Wahl wohl auf sie fallen: Michelle Obama, Frau des ehemaligen Präsidenten Barack Obama. Kaum eine Persönlichkeit ist derart beliebt in den USA wie sie. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Hut in den Ring wirft, ist gleich null. Mehrfach hatte sie erklärt, kein Interesse an dem Präsidenten-Job zu haben. Acht Jahre als First Lady haben ihr anscheinend gereicht.
Im Video: Politologe Prof. Stephan Bierling zum US-Wahlkampf
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