"Ich weiß wirklich nicht, was er da zum Schluss gesagt hat, aber wahrscheinlich weiß er es selbst nicht." Es ist wahrscheinlich dieser Satz von Donald Trump, der von dieser Debatte am meisten hängen bleibt und Bidens Misere des ersten TV-Duells zusammenfasst.
Schon bei den ersten Sätzen dürften viele demokratische Unterstützer bestürzt auf ihre Bildschirme geblickt haben: Joe Biden war schwer zu verstehen, musste sich mehrfach räuspern, wirkte fahrig. Bereits früh in der Debatte brachte er Gedanken nicht zu Ende.
Demokrat: "Wir haben ein Problem"
Einen kompletten Ausfall hatte Biden, als er nach rund zehn Minuten über das Gesundheitssystem sprach: "Wir wollen sicherstellen, dass jede einzelne Person ... die berechtigt ist … ich war in der Lage, mit, äh, mit Covid … Entschuldigung … wir kümmern uns um alles, was wir tun müssen … wir haben Medicare (ein Teil des Gesundheitssystems, Anm.d.Red.) besiegt." Dazwischen jeweils Pausen und man sah Biden an, dass er seinen Gedankengang verloren hatte und nach Worten suchte.
"Das ist schmerzhaft zum Angucken", kommentierte Ashley Parker, Politik-Korrespondentin der "Washington Post". "Die demokratische Partei wird morgen richtig ausrasten, wenn nicht schon heute." Der Fernsehsender CNN zitierte da bereits eine Quelle aus der demokratischen Führungsspitze mit den Worten: "Wir haben ein Problem." Jemand anderes aus der Partei teilte dem Sender später mit, dass er sich nur schwer vorstellen könne, Biden als Kandidat zu behalten. "Panik" sei bei den Demokraten ausgebrochen.
Abtreibung: Biden mit Vorlage für Trump
Es war die Art und Weise von Bidens Auftritt, die die erste TV-Debatte zwischen ihm und seinem Vorgänger geprägt hat. Dadurch rückte die inhaltliche Auseinandersetzung in den Hintergrund. Bidens Team erklärte früh, dass der Präsident erkältet und seine Stimme deswegen undeutlich sei.
Beim Thema Wirtschaft und Inflation verteidigte Biden seine Bilanz und verwies auf zahlreiche Probleme und Krisen, die man von Trump übernommen habe. Trump wiederum behauptete, dass es unter ihm die beste wirtschaftliche Lage in der Geschichte der USA gegeben habe – und dass nur die Corona-Pandemie das geändert habe.
Auch bei Themen, bei denen Biden und die Demokraten normalerweise punkten, patzte Biden: Als es um Abtreibung ging – eine Debatte, die viele demokratische Wähler mobilisiert – kam er ohne Not auf die Ermordung einer Frau durch einen illegalen Einwanderer zu sprechen. Eine bessere Vorlage hätte er Trump wohl nicht liefern können, der Biden wiederholt wegen dessen Migrationspolitik attackierte.
Biden: "Alles, was er gerade gesagt hat, ist eine Lüge"
Trump wiederum verteidigte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 2022, die "Roe v. Wade"-Regelung zu kippen, die seit 1973 Schwangerschaftsabbrüche im Land ermöglicht hatte. Jeder Bundesstaat kann nun selbst Gesetze verabschieden - und viele verschärfen die Abtreibungsregelung rigoros. "Jeder Experte befürwortete diese Entscheidung" – eine haltlose Behauptung und es war nicht die einzige von Trump. "Faktenchecker werden noch Tage damit beschäftigt sein", sagte CNNs John King nach der Debatte über Trumps Ausführungen.
Trump antwortete oft nicht auf Fragen der Moderatoren und warf stattdessen teils groteske Thesen in den Raum, beispielsweise, dass andere Länder Insassen von Psychiatrien Richtung US-Grenzen schicken würden. Biden kommentierte das häufig mit "das ist nicht wahr", "Unsinn" oder "alles, was er gerade gesagt hat, ist eine Lüge".
Von Trump waren wiederholt fremdenfeindliche Sätze zu hören, vor allem beim Thema Migration. In der Diskussion um den Nahost-Konflikt nannte er Biden einen "schwachen Palästinenser". Zudem wiederholte er die Lüge, dass es bei der Präsidentschaftswahl vor vier Jahren Betrug gegeben habe. Ob er das Ergebnis der kommenden Wahl im November unabhängig vom Ergebnis akzeptieren werde – da legte er sich nicht fest.
In der Diskussionsrunde bei CNN, bei der Kommentatoren und Politik-Berater das Duell im Nachgang analysierten, war sich ein Großteil einig, dass Trump inhaltlich nicht überzeugt und zahlreiche Unwahrheiten von sich gegeben habe. Aber auch, dass das an diesem Abend nicht die große Rolle gespielt habe. Über Biden sagte beispielsweise David Axelrod, ehemaliger Berater von Barack Obama: "Es wird Diskussionen darüber geben, ob er weitermachen wird."
Und dann ging es um Golf…
Das Thema Alter sprachen zuvor auch die Moderatoren direkt an. Trump, selbst 78 Jahre alt, wischte Bedenken weg, er habe gerade erst ein Golfturnier gewonnen. "Dafür muss man intelligent sein", sagte Trump und tippte sich dabei an die Stirn. Biden konterte, dass auch er ein guter Golf-Spieler sei. "Lass uns nicht wie Kinder benehmen", entgegnete Trump, worauf Biden antwortete: "Du bist das Kind." Damit hatte das Duell auch seinen albernen Moment.
In welchem Maße sich die Kandidaten feindlich gegenüberstehen, wurde nicht nur bei der Sportdiskussion sichtbar. Trump nannte Biden den "schlechtesten Präsidenten in der Geschichte der USA". Biden nannte Trump nicht nur einen "verurteilten Verbrecher", sondern auch "Heulsuse" und erklärte, dass Trump die "Moral eines Straßenköters" habe.
Wie geht es nun weiter?
Die Ausgangslage für den amtierenden Präsidenten war klar: Er musste die Zweifel darüber zerstreuen, dass er dem Amt noch gewachsen ist. Zwei Drittel der Amerikaner halten Biden für zu alt, um Präsident zu sein. Der Demokrat ist 81 Jahre alt, am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit wäre er 86. Zuletzt häuften sich Videos – mal echt, mal extra so zurechtgeschnitten – in denen Biden so wirkt, als wäre er geistig abwesend.
Mit seiner Performance heute dürften die Zweifel an ihm immer größer werden. Die Hoffnungen seiner Anhänger, dass er einen ähnlich starken Auftritt wie bei der Rede an die Nation im März hinlegen kann, dürften enttäuscht worden sein. Ob man Biden noch austauschen kann – das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die dominierende Frage der nächsten Tage und Wochen.
Noch ist Biden nicht offiziell nominiert, das sollte auf dem Parteitag der Demokraten im August in Chicago passieren. Falls Biden einen Rückzieher macht, stünden wohl einige Kandidaten bereit: Als möglicher Ersatz gelten seine Vize-Präsidentin Kamala Harris oder die Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Gretchen Whitmer (Michigan) und Josh Shapiro (Pennsylvania).
So sieht es in den Umfragen aus
Die Umfragen deuten bisher auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Biden und Trump hin. Das Statistik-Portal "FiveThirtyEight" rechnet den Durchschnitt aller nationalen Umfragen aus [externer Link]. Demnach liegt Trump hauchdünn vor Biden: 41,0 zu 40,9 Prozent. In den Swing States – also jenen Staaten, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen und damit häufig wahlentscheidend sind – sieht es allerdings anders aus.
In Georgia liegt Trump im Schnitt mit 5 Prozentpunkten vor seinem demokratischen Herausforderer, in Arizona und Nevada sind es knapp 3, in Pennsylvania 1. Biden liegt dagegen in Wisconsin und Michigan vorn – allerdings mit jeweils unter einem Prozentpunkt. Die Demokraten verweisen gerne darauf: Auch bei den Zwischenwahlen - bei denen unter anderem das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt wird - sah es vor zwei Jahren in Umfragen nicht gut aus. Am Ende holten die Demokraten ein überraschend starkes Ergebnis und konnten die Mehrheit im Senat halten. Doch nach dieser Debatte werden sich die Demokraten fragen, ob das auch mit diesem Kandidaten möglich ist.
Zum Hören: Das Thema Alter und Pannen - Highlights in der Geschichte der US-TV-Duelle
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