Analyse: Zerstören die USA unsere Demokratie?
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Analyse: Zerstören die USA unsere Demokratie?

Analyse: Zerstören die USA unsere Demokratie?

Die USA haben die Wertegemeinschaft mit Europa aufgekündigt. Welche Gefahren erwachsen daraus für unsere Sicherheit – und für unsere Demokratie? Wie muss sich Deutschland, wie Europa nun verhalten? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Die Zukunft der Ukraine – und damit die zentraleuropäische Sicherheitsarchitektur – wird derzeit über die Köpfe Europas und der Ukraine hinweg verhandelt, obwohl lange genau das als Tabu unter den Nato-Mitgliedsstaaten galt.

Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik, macht im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) deutlich: Wenngleich Meinungsverschiedenheiten zwischen Europa und den USA nicht neu sind und auch nicht zwingend das Ende des Nato-Bündnisses nach sich ziehen, ist der Ausschluss von Friedensverhandlungen ein "enormer Vertrauensbruch"

Neuer Sheriff, neues Demokratieverständnis

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende hat US-Vize J.D. Vance neue Spielregeln für die US-Außenpolitik und die Zusammenarbeit verkündet. Auf den Punkt gebracht: Wenn Deutschland und Europa nicht spuren, würden sie nicht mehr mitspielen. "There's a new sheriff in town", sagte Vance und meinte Trump. Der "Sheriff" lobte die Worte seines Vizes, nicht etwa Russland oder China seien das größte Risiko für Deutschland und Europa. Stattdessen ist dort laut Vance Meinungsfreiheit und Demokratie von innen heraus in Gefahr.

Im Video: USA vs. Europa – Zerstört Amerika unsere Demokratie? Possoch klärt!

Missverständnis oder Kalkül?

Einen Beleg dafür sieht er darin, dass etwa populistische Parteien, wie die AfD und das BSW, nicht zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen worden sind und innenpolitisch durch Brandmauern isoliert werden.

Dahinter steckt Kalkül, sagt Populismusforscher Philipp Adorf: "Deutschland sticht ein Stück weit heraus mit der fortbestehenden klaren Isolierung der Rechtspopulisten. In vielen anderen europäischen Staaten sind die Brandmauern, wenn es sie überhaupt gab, schon vor geraumer Zeit eingerissen worden. Das heißt, das Verständnis fehlt da ein Stück weit. Aber man muss auch sagen: Es ist halt eine klare Verfolgung der eigenen Agenda."

Zum bundesdeutschen Verfassungskonsens gehört auch, sich gegen Extremisten zu verteidigen. Und Extremisten hat Vance nicht als Feinde der Demokratie genannt.

Unser Freund muss auch euer Freund sein

Vance stellt nicht nur die deutsche Demokratie und Verfassung infrage, sondern macht gleichzeitig Bedingungen für die weitere außenpolitische Zusammenarbeit auf. Was auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom amerikanischen Vizepräsidenten gesagt worden sei, "war ja nichts anderes als eine Wahlempfehlung für die AfD. Und es war eine Koalitionsempfehlung für die nächste Bundesregierung. Wenn ihr einen Freund in Washington haben wollt, dann macht mit der AfD zusammen eine Koalition", resümiert Jäger. Das Ziel dahinter laut Populismusforscher Philipp Adorf: "die Brandmauer einzureißen, die AfD zu normalisieren und zu legitimieren".

"USA fahren langfristige außenpolitische Strategie"

Doch warum? Für Philipp Adorf steckt eine langfristige politische Strategie dahinter: "Man blickt da vielleicht schon auf die Situation in vier Jahren, in zehn Jahren, und sagt: Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem eine bestimmte Politik, die wir gemeinhin als 'rechtspopulistische Politik' beschreiben würden – also migrationskritisch, gegen die Globalisierung, gegen Freihandel, gegen die vermeintliche Weltelite – diese Bewegungen wollen wir stärken."

Zwar bedeute das nicht, dass in einigen Jahren "AfD und Le Pen und andere Personen" an der Macht seien. Aber man versuche für rechtspopulistische Parteien und Akteure ein fruchtbares Umfeld zu schaffen: "Und das beinhaltet immer ganz klar die Legitimierung, die Normalisierung dieser Parteien."

"Das Ruder herumzureißen, dauert zehn bis 15 Jahre"

Neu ist laut dem Populismusforscher allerdings die Intensität, in der US-amerikanische Politiker und Regierungsberater ihre Agenda auch in Europa verfolgten, "dass man in den USA einen Präsidenten hat, der die Demokratie in vielerlei Hinsicht attackiert und diese Politik eben über den Atlantik auch nach Europa bringen möchte", sagt Adorf. Das wiederum – da sind sich Thomas Jäger und Philipp Adorf einig – stellt Deutschland und auch andere europäische Regierungen vor große Herausforderungen.

Denn das gemeinsame Selbstverständnis als "der Westen" stand nicht zur Disposition. Das bisherige Abhängigkeitsverhältnis von den USA droht nun zum Problem für Deutschland und Europa zu werden, wenn die USA tatsächlich die gemeinsame Wertebasis verlassen werden und ihren Ankündigungen Taten folgen lassen. Mit Blick auf die militärische Handlungsfähigkeit etwa dauert es nach Schätzungen von Jäger "zehn, 15 Jahre ist das Mindeste, was man braucht, um das Ruder wirklich rumreißen zu können".

Droht der EU ohne USA der Zerfall?

Erschwerend kommt laut Jäger hinzu, dass Europa in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Konstante hatte, nämlich "die amerikanische Anlehnungsmacht". Sollte diese Konstante nun wegfallen, bestehe die Gefahr, "dass dann eben nicht in der Europäischen Union gemeinsamer Wille ausgebildet wird, ein gemeinsamer Zweck gefunden wird, eine gemeinsame Strategie entwickelt wird, sondern dass alle nationalen Regierungen meinen: 'Rette sich, wer kann'".

Die Lösung – sowohl aus einem Abhängigkeitsverhältnis mit den USA als auch aus der Gefahr, gemeinsame Grundlagen für die Europäische Union zu verlieren – und für die Verteidigung europäischer Diplomatie und Souveränität ist für Politikwissenschaftler Thomas Jäger nur möglich, wenn Europa schnellstmöglich "militärische Fähigkeiten, ökonomische Fähigkeiten, technologische Fähigkeiten" ausbaut: "Denn nur Stärke im Bereich von Militär, Ökonomie, Technologie lässt sich letztlich in politische Macht übersetzen."

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