Wenn am Donnerstagmorgen die Flieger am Boden und die Bahnen auf dem Gleis stehen, ist der Bundesverkehrsminister maximal weit vom deutschen Stillstand entfernt. Rund 8.000 Kilometer, in Ulan Bator. Volker Wissing (FDP) geht es in der Mongolei um die Vertiefung von Wirtschaftsbeziehungen.
Aber die neuen Streiks der Lokführergewerkschaft GDL, die am Mittwochabend beginnen, holen ihn auch dort ein. Der Tarifkonflikt nehme Züge an, die nicht mehr nachvollziehbar sind, sagt Wissing im exklusiven Interview mit BR24. "Hier entsteht der Eindruck, dass Gründe zum Streiken gesucht werden anstatt Lösungen im Tarifkonflikt." Für den kühlen Juristen Wissing ist dieser Satz mindestens ungewöhnlich. Er richtet sich direkt gegen GDL-Chef Claus Weselsky.
Streik trotz "Denkfehler"
Wissing sagt, er könne den Ärger der Menschen über die neuen Streiks verstehen. Weselskys Eingeständnis via "Süddeutscher Zeitung", dagegen gar nicht. Der hatte eingeräumt, er habe auf der Pressekonferenz, auf der er das Scheitern der Verhandlungsrunde mit der Bahn erklärte, einen "Denkfehler" gehabt. Es lag zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kompromissvorschlag vor. Weselsky hatte ihn bei 37 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich für Schichtarbeiter verortet. Was ihm nicht reichte. Für den GDL-Chef war es die Begründung den aktuellen 35-Stunden-Streik zu verkünden.
Die Politiker, die den Vorschlag erarbeitet haben, sahen sich daraufhin genötigt, ihn zu veröffentlichen. Der Vorschlag sieht 36 Stunden in zwei Stufen vor. Die Bahn hatte ihn angenommen. Allerdings bleibt Weselsky auch mit Denkfehler dabei: Es wird gestreikt.
Wissing fordert seriöse Verhandlungen und keine weiteren Streiks
Das kritisiert der Bundesverkehrsminister. Wie Herr Weselsky den Vorschlag habe falsch verstehen können, sei nicht nachvollziehbar, sagt Wissing im Interview. Der Vorschlag sei nicht missverständlich formuliert gewesen.
Und in Richtung GDL: "Ich muss schon einfordern, dass hier professionell und verantwortungsbewusst verhandelt wird." Es müsse jetzt seriös, professionell auf der Grundlage des Schlichtervorschlags eine Lösung gefunden werden, sagt Wissing. Und zwar, ohne dass es zu weiteren Streiks kommt. Viel mehr Ermahnung ist dem Minister kaum möglich.
Tarifautonomie bleibt unangetastet
Wissing weiß, dass er auf dünnem Eis unterwegs ist. Weselsky hatte Wissings Äußerungen in der Vergangenheit bereits als Einmischung in die Tarifautonomie bezeichnet. Dem Juristen Wissing ist klar, dass das Streikrecht im Grundgesetz festgeschrieben ist.
Deutschland hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kein Streikgesetz, das der Regierung Einflussnahme auf Streiks sichern könnte. Muss das geändert werden? Wissing will keine juristischen Fragen beantworten. "Unser Auftrag ist es, die verfassungsrechtliche gewährten Rechte zu schützen und daran halte ich mich." Klar sei aber auch, dass Freiheitsrechte immer auch mit Verantwortung einhergehen müssten.
Kann Wissing als Bahn-Eigner Einfluss nehmen?
Die Bahn ist im Alleinbesitz des Bundes. Könnte Wissing, aus dessen Etat die Bahn finanziert wird, als Verkehrsminister dem Bahnvorstand diktieren, dass die 35-Stunden-Wochen-Forderung angenommen wird? Auch das schließt Wissing aus.
"Es ist der Vorstand der Bahn, der die Personalfragen und auch die Tarifergebnisse verantworten muss. Hier ist nicht der Bundesverkehrsminister Tarifpartei." Man dürfe diese Dinge nicht vermischen, warnt Wissing. "Die Bahn ist Tarifpartei, nicht der Bundesverkehrsminister."
Wissing fürchtet Streikfolgen
Der Bundesverkehrsminister warnt im Gespräch vor den wirtschaftlichen Folgen der Streiks, die Deutschland in einer Phase der wirtschaftlichen Schwäche träfen. Gerade da sei es wichtig zusammenzustehen. Auch um die Erfolge, die das Deutschland in Sachen Umstieg auf den Öffentlichen Personennahverkehr gebracht hat, fürchtet der Verkehrsminister. Es ist ein Kernbestandteil seiner Strategie für eine klimafreundliche Mobilität, die im Bereich Verkehr weit hinter anderen Bereichen herhinkt.
Die Befürchtung ist, dass Menschen, die bereit waren umzusteigen, sich wieder dem Auto zuwenden könnten. "Das können wir nicht gebrauchen in einer Zeit, in der wir alle uns anstrengen müssen, klimaneutrale Mobilität und bezahlbare Mobilität für jede und jeden zu gewährleisten." Auch das sei Teil der Verantwortung, die die beiden Tarifparteien übernehmen müssen.
Video: Streiks bei Bahn und Lufthansa
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