Deutlich mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr, ein "nachhaltiger" Vorschlag für die Nachfolge des 9-Euro-Tickets ab September: Das fordern die Verkehrsminister der Bundesländer von der Bundesregierung. In diesem und im kommenden Jahr müssten die ÖPNV-Mittel jeweils um 3,15 Milliarden Euro jährlich steigen, erklärten die Ressortchefs nach einer gemeinsamen Videokonferenz. Danach sollen es 1,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr sein.
Die aktuelle Finanzierung des ÖPNV durch den Bund sei unzureichend, teilten die Verkehrsminister mit. Sie begründeten ihre Forderung mit stark steigenden Betriebskosten wegen höherer Energiepreise - und mit den anhaltenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie, weshalb nach wie vor Einnahmen im Nah- und Regionalverkehr fehlten. Nur durch eine "kurzfristige Zahlung des Bundes" könnten Bundesländer und Verkehrsunternehmen wirtschaftliche Notlagen und massive Ticketpreiserhöhungen vermeiden, heißt es im Beschluss.
9-Euro-Ticket: Minister fordern tragfähigen Vorschlag
Die Verkehrsministerkonferenz will von der Bundesregierung außerdem "zeitnah einen tragfähigen und nachhaltigen Vorschlag zur Nachfolge des 9-Euro-Tickets". Der Bund müsse sich hier "zu seiner vollständigen Finanzierungsverantwortung" bekennen und sie auch dauerhaft absichern. Heißt also: Auch hier erwarten die Bundesländer mehr Ausgaben von der Bundesregierung.
Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) fordert von der Politik, sich möglichst schnell auf ein Nachfolgeangebot des 9-Euro-Tickets zu einigen. "Das Reden muss nun enden, nachdem über Dekaden nicht richtig investiert worden ist", sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff dem "Spiegel". Der Kunde wolle "einfach keine Kopfschmerzen am Fahrscheinautomaten und ÖPNV überall nutzen".
Bernreiter: "Da muss man kein Mathematiker sein"
"Alle Länder sagen: Eine Fortführung des 9-Euro-Tickets muss zu hundert Prozent vom Bund finanziert werden", sagte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) nach der Sitzung. Die Bundesländer könnten das nicht stemmen, "da muss man kein Mathematiker sein".
Laut Bernreiter steht der ÖPNV vor "exorbitanten" Schwierigkeiten. Von der aktuellen Verkehrsminister-Sitzung gehe ein Hilferuf aus. "Die Energiepreise galoppieren davon, die Tarifsteigerung durch die Inflation galoppiert davon." Wenn es nicht mehr Geld vom Bund gebe, müsse man Züge und Busse abbestellen. "Das ist Realität."
Wissing verärgert: Länder verschieben Verantwortung
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) war nicht bei der Videoschalte der Länder-Ressortchefs dabei. Er reagierte verärgert – und bezeichnete die Ergebnisse des Treffens als enttäuschend. Sie gäben für die Bürgerinnen und Bürger keine Antwort auf die Frage, wie es mit dem ÖPNV weitergehe, sagte Wissing. "Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass Politik Lösungen präsentiert und nicht Verantwortungen verschiebt."
Er stehe zu Gesprächen bereit, wie der Öffentliche Personennahverkehr attraktiver und digitaler werden könne, sagte der Minister. Dessen Organisation sei aber Aufgabe der Bundesländer, es brauche strukturelle Veränderungen. Im Herbst werde eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern Ergebnisse vorstellen.
365-Euro-Ticket für alle? "Kein Wunschkonzert"
Einem 365-Euro-Ticket für alle in Bayerns größeren Städten erteilte Bernreiter unterdessen auf absehbare Zeit eine Absage. Im bayerischen Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern aus dem Jahr 2018 steht, ohne konkreten Zeitplan: "Für die großen Städte München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt und Würzburg wollen wir auf Dauer ein 365-Euro-Jahresticket einführen."
In jeder Erklärung dazu habe es geheißen, dass der Bund entsprechend mitfinanzieren müsse, sagte Bernreiter. Zudem habe man jetzt eine "ganz neue Situation" mit Inflation und gestiegenen Mehrkosten. Man müsse sich den Realitäten stellen, das sei kein Wunschkonzert.
Siekmann: "Schwarz auf weiß versprochen"
Florian Siekmann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Landtags-Grünen, übte daran scharfe Kritik. "Schwarz auf weiß hat die Söder-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, dass es für alle in Bayerns Ballungszentren ein 365-Euro-Ticket geben soll", sagte Siekmann. "Darin war aber von einer Mitfinanzierung des Bundes nie die Rede!"
Siekmanns Fazit: Die Staatsregierung interessierte sich "wenig bis gar nicht für den öffentlichen Nahverkehr in Bayern". Dabei sei es "Aufgabe des Freistaats, das Angebot an Bus und Bahn massiv auszuweiten".
(mit Informationen von dpa und AFP)
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