Ein Mann scheint mit seinen Fingern einen Hitlerbart anzudeuten, mehrere junge Menschen um ihn herum grölen "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen": Dieser auf Sylt gedrehte Videoclip ist auf Entsetzen gestoßen. Im Hintergrund der wenige Sekunden langen Aufnahme, die seit Donnerstag in den sozialen Medien kursiert, ist der Party-Hit "L’Amour Toujours" von Gigi D'Agostino zu hören.
- Zum Artikel: "Wie 'L'Amour Toujours' zur rechten Chiffre wurde
Eine an dem Gegröle beteiligte junge Frau mit Sonnenbrille im Haar und weißer Bluse scheint die Szene gefilmt zu haben. Die Umstehenden singen und wippen, haben Gläser mit Getränken in den Händen. An den Parolen scheint sich niemand zu stören. Das Video soll im Lokal "Pony" in Kampen entstanden sein, wie auch ein Instagram-Post der Betreiber zum Vorfall zeigt: In der Nacht zu Freitag distanzierten sie sich von den Gästen und kündigten Konsequenzen an.
Polizei äußert sich – Staatsschutz ermittelt
Das Fachkommissariat für Staatsschutz nahm wegen des Videos Ermittlungen wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen auf. Das teilte die Polizei mit. Am späten Donnerstagabend sei der Polizei auf Sylt das Video zugespielt worden. "Auf dem Video ist zu sehen, wie mindestens Teile der abgebildeten Personen rechtsextreme Liedtexte ("Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!") singen. Zudem liegt der Verdacht vor, dass durch eine Person der sogenannte Hitlergruß gezeigt wird", so die Polizei.
Der Vorfall ereignete sich Berichten zufolge bereits am Pfingstsamstag. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Flensburg und der Polizei richten sich nach eigenen Angaben zunächst gegen die Personen, "die auf dem Video offensichtlich die oben genannten Äußerungen mitsingen beziehungsweise Kennzeichen tätigen". Es sei aber nicht auszuschließen, dass weitere Tatverdächtige hinzukommen, die auf diesem Video nicht zu sehen seien. Ersten Hinweisen auf beteiligte Personen werde nachgegangen.
Zuvor hatte die Landespolizei Schleswig-Holstein zu dem Video Stellung genommen: "Zurzeit kursiert in den sozialen Medien ein Video von Feiernden auf #Sylt. Dieses Video ist uns bekannt und wird hinsichtlich strafrechtlich relevanter Inhalte geprüft", schreibt sie auf der Plattform X. "Wir bedanken uns für die zahlreichen Hinweise, die wir an die zuständige Stelle weitergeleitet haben."
Anzeige und Hausverbot: Lokalbetreiber ziehen Konsequenzen
Die Betreiber des "Pony"-Lokals erklärten, sie seien "tief schockiert". "Wir distanzieren uns von jeder Art von Rassismus und Diskriminierung."
"Hätten wir von dem Vorfall gewusst, hätten wir die betreffenden Gäste selbstverständlich des Hauses verwiesen. Es gibt keinen Platz für Rassismus!!!", schrieben sie. Jeder Gast unabhängig von der Ethnie sei herzlich willkommen. "Alle diejenigen, die sich auf diesem Video singend wieder erkennen... Ihr habt Hausverbot bei uns!", hieß es in der sogenannten Instagram-Story.
In einem weiteren Beitrag schrieben die Betreiber, sie hätten nun die Namen "dieser Nazis zugespielt" bekommen. "Wir werden dieses widerliche Verhalten anzeigen und alle strafrechtlichen Möglichkeiten nutzen!!!"
Inhaber Tim Becker sagte der dpa, die Überwachungsaufnahme sei der Polizei übermittelt worden, ebenso die Namen von fünf Beteiligten. Der Vorfall belaste die ganze Insel. "Alle sind traurig, dass das passiert ist", sagte Becker. "So etwas darf nicht sein."
Eine Instagram-Story ist im Regelfall nur 24 Stunden abrufbar, sofern der Verfasser sie nicht in einer Art öffentlichem Archiv auf dem Profil abspeichert.
Faeser: "Schande für Deutschland"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte, wer Nazi-Parolen gröle, "ist eine Schande für Deutschland". Es stelle sich die Frage, "ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt", sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Frage sei auch, welches hasserfüllte Klima solche Leute dazu ermutige, sich so abgrundtief rassistisch in aller Öffentlichkeit zu äußern. Es dürfe "keinerlei schleichende Normalisierung geben".
Rechtsradikale Parolen auf Sylt: Empörung auf Social Media
Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Diese unverhohlene 'Ausländer-raus-Stimmung' erleben wir auch in unserer Beratung, Menschen werden diskriminiert und herabgewürdigt." Rassismus dürfe nie wieder zum Normalfall werden.
"Das ist kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes Nazi-Gegröle erwachsener Leute auf offener Bühne. Widerwärtig und ekelhaft", sagte die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Bildungsministerin Karin Prien (CDU) begrüßte die Konsequenzen, in Schleswig-Holstein sei kein Platz für Ausländerfeindlichkeit.
Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, zeigte sich schockiert: "Gäste eines Sylter Promi-Clubs zeigen hemmungslos offen und ohne Scham rechtsextreme und rassistische Parolen gegen Eingewanderte und ihre Nachkommen. Das ist widerlich und unerträglich." Es mache fassungslos, dass keiner der Gäste einschreite und die Aussagen ächte, betonte Alabali-Radovan. "Es zeigt deutlich, dass Rechtsextremismus und Rassismus sich durch alle gesellschaftlichen Gruppen ziehen und eben kein sogenanntes Randphänomen sind – sie reichen bis tief ins bürgerliche Milieu."
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai reagierte bestürzt: "Das ist schockierend, so etwas zu sehen". Das gelte gerade auch mit Blick auf die aktuelle Diskussion, wie sich die Demokratie in Deutschland besser schützen lasse.
Auch in den sozialen Netzwerken äußern sich etliche User entsetzt, darunter Politiker und Medienschaffende. Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli schrieb in der Nacht auf Freitag auf der Plattform X: "'Deutschland den Deutschen. Ausländer raus. Ausländer raus.' Ort: Sylt. Und sie fühlen sich so sicher." Der TV-Moderator Jan Böhmermann fragte: "Wer und wo sind diese Leute?" Und die Moderatorin Dunja Hayali twitterte: "Mit Hitlerbärtchen und Schampus, aber ohne 'Ausländer'. #Sylt. 2024."
Kanzler Scholz äußert sich
Ebenso hat Bundeskanzler Olaf Scholz das in dem Video festgehaltene rassistische Gegröle scharf verurteilt. "Ganz klar: Solche Parolen sind ekelig, sie sind nicht akzeptabel", sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin. "Und darüber darf es kein Vertun geben. Und deshalb ist es auch richtig, dass all unsere Aktivitäten darauf gerichtet sind, genau zu verhindern, dass das eine Sache ist, die sich verbreitet."
Rassistische Parolen zu "L‘Amour Toujours": Auch Fälle in Bayern
In den vergangenen Monaten hatte es auch immer wieder ähnliche Berichte und Videos aus Bayern gegeben. Auch in diesen Fällen sollen rechtsradikale Parolen zu "L‘Amour Toujours" skandiert worden sein – etwa im Maibaumstüberl im oberbayerischen Aßling, in einer Diskothek in Ebern im Landkreis Haßberge, bei mehreren Faschingsveranstaltungen sowie bei einer Feier, die nach dem AfD-Parteitag im mittelfränkischen Greding stattgefunden hatte. Auch beim bayerischen FDP-Nachwuchs fielen im April bei einer Party rechtsextreme Parolen.
Mit Informationen von dpa
Im Video: Radikale Parolen nach AfD-Parteitag (Januar 2024)
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