Russland werde den Krieg in der Ukraine fortsetzen, bis alle Ziele erreicht seien. Mit dieser Erklärung reagierte Kreml-Sprecher Dmitry Peskow heute Vormittag auf die eiligst anberaumte Zusammenkunft am Sonntag in London, zu der der britische Premierminister Keir Stahmer nach dem Eklat zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj europäische Staats- und Regierungschefs sowie den kanadischen Premier Trudeau und den türkischen Außenminister Fidan geladen hatte. Die Finanzierungszusagen für die Ukraine hätten "eindeutig nichts mit einem Friedensplan zu tun." Vielmehr würde die weitere Unterstützung "die Fortsetzung der Feindseligkeiten" ermöglichen. Es gebe noch keinen koordinierten oder initiierten Plan.
Kreml und Weißes Haus im Gleichklang
Wie ein "konstruktiver" Plan aussehen könnte, formulierte der Kreml-Sprecher in bewusster Verdrehung der Täter-Opfer-Rolle so: Jemand müsse Selenskyj zwingen, seine Position zu ändern. Der ukrainische Präsident wolle keinen Frieden. Damit echote Peskow die zornige Abschiedsbotschaft Trumps wieder. Der US-Präsident hatte Selenskyj nach dem verhängnisvollen Krach im Oval Office via Truth Social hinterhergeschickt: Der ukrainische Präsident solle erst dann wieder nach Washington kommen, "wenn er Frieden will".
Putins erstes Ziel: Den Westen spalten
Durch die außenpolitische Kehrtwende des US-Präsidenten um 180 Grad und den offenkundigen Bruch des Verhältnisses zwischen Trump und Selenskyj sowie dessen europäischen Verbündeten hat der Kreml binnen kürzester Zeit mehr erreicht als selbst unter optimistischen Annahmen Moskaus zu erwarten war. Es gehört zu den langfristigen strategischen Zielen des russischen Präsidenten, die USA aus Europa zu verdrängen, die Europäische Union zu spalten und die NATO substanziell zu schwächen.
"Der kollektive Westen hat begonnen, weniger kollektiv zu sein", kommentierte denn auch Kreml-Sprecher Peskow heute Vormittag und formulierte zugleich, dass Putin seinem Ziel nähergekommen zu sein scheint: Die Zersplitterung des Westens habe eingesetzt, "die Positionen der verschiedenen Länder und Staatengruppen werden nuancierter." Um dieses Szenario einer Spaltung zwischen den USA und Europa zu verhindern, setzen die europäischen Staats- und Regierungschefs jetzt alles daran, das äußerst belastete Verhältnis Washingtons zur Ukraine wieder zu reparieren.
Putins zweites Ziel: Die westliche Ukraine-Hilfe beenden
"Sie haben keine guten Karten" hielt Donald Trump dem ukrainischen Präsidenten am vergangenen Freitag im Weißen Haus vor. Ohne amerikanische Unterstützung würde die Ukraine allein kämpfen müssen - "und das wird nicht schön" fügte Trump hinzu. Die Frage, ob Russland guten Karten habe, stellte der US-Präsident nicht.
Ein Blick auf die Analyse des Instituts For the Study of War (ISW) des vergangenen Kriegsjahres 2024 lässt allerdings erkennen, dass die Situation für den Kremlchef ebenfalls alles andere als entspannt ist: Russland habe im Jahr 2024 "alles daran gesetzt, die Ukraine zu zerschlagen" und sei damit gescheitert. Die ukrainischen Streitkräfte hätten den russischen Angriffen standgehalten, "die unter schockierender Missachtung der Verluste an Menschen und Ausrüstung und trotz der Engpässe, die durch die Verzögerungen bei der Bereitstellung westlicher Ausrüstung entstanden, durchgeführt wurden."
Die Frontlinie bleibe brüchig, und die russischen Streitkräfte könnten ihre Angriffe noch viele Monate lang fortsetzen. Falls es, so die Analyse des ISW, zu einem Ende der amerikanischen und westlichen Unterstützung kommen sollte, könnte zu einem relativ schnellen Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung führen.
Moskau hat noch nicht gewonnen
Künftige Verhandlungen über ein Kriegsende sollten daher vom Westen auf den Erkenntnissen des Jahres 2024 basieren: Die Ukraine habe dem enormen russischen Druck standhalten können. Und: Der Kreml habe noch nicht herausgefunden, wie er seine zahlenmäßige Überlegenheit in "entscheidende Gewinne auf dem Schlachtfeld umwandeln kann."
Zum Hören: Analyse - Der Eklat in Washington
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) mit dem US-Präsidenten Donald Trump im Weißen Haus
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