Aus Hartz IV wird Bürgergeld: Der Bundestag hat in Berlin mit der Mehrheit der Ampel-Koalition für die Einführung eines Bürgergelds gestimmt. Es soll 2023 die Hartz IV-Leistungen ablösen. In namentlicher Abstimmung votierten 385 Abgeordnete für das Gesetz, 261 stimmten dagegen, 33 enthielten sich der Stimme. Zuvor hatten sich Abgeordnete einen heftigen Schlagabtausch geliefert.
Heil: "Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben"
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verteidigte die geplante Änderung. Es handele sich um die "größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren", sagte Heil bei der zweiten und dritten Lesung des Gesetzesentwurfs im Bundestag.
Die Koalition wolle "Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben schaffen", betonte Heil. So setze man zum Beispiel Anreize, einen Berufsabschluss nachzuholen. Jobcenter sollte sich künftig darauf konzentrieren, dass Menschen sich weiterbilden oder ihren Berufsabschluss nachholen könnten. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen hätten keinen Abschluss und würden heute immer wieder in Hilfsjobs vermittelt, ohne eine wirkliche Perspektive zu haben. Arbeit müsse sich lohnen, dafür sorge die Koalition. Es gehe eben nicht nur um eine Erhöhung der Regelsätze. Er hoffe daher auf Vernunft, statt auf Parteitaktik im Bundesrat, betonte Heil. Wenn es bei der Sondersitzung am Montag für die Sozialreform keine Mehrheit geben sollte, will die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen.
Bayern will im Bundesrat am Montag nicht zustimmen
Bayern kündigte bereits an, dass es dem Bürgergeld im Bundesrat nicht zustimmen werde. "Wir können mit erhöhten Vermögenfreistellungen und zu langer Karenzzeit nicht einverstanden sein. Ich war sehr intensiv im Austausch mit den Jobcentern und wir kommen immer wieder bei diesen Musterrechnungen darauf: Arbeit lohnt sich nicht mehr mit diesem neuen Bürgergeld", sagte Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Das Bürgergeld soll nach dem Willen der Ampel-Koalition ab Januar das Hartz-IV-System ersetzen. Vorgesehen ist, dass der Regelsatz von heute 449 auf 502 Euro steigt, dass Arbeitslose vom Jobcenter weniger durch angedrohten Leistungsentzug - also Sanktionen - unter Druck gesetzt und dass Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden. Zudem sollen Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern gelockert werden.
Allerdings ist das Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig - für die nötige Mehrheit braucht die "Ampel" Unterstützung von Ländern mit CDU/CSU-Regierungsbeteiligung.
Scharfe Kritik an Friedrich Merz - FDP wirft Union Fake News vor
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann attackierte die Union und warf CDU-Chef Friedrich Merz vor, sich "in Vorurteilen gegenüber Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind" zu ergehen und "Sozialneid" zu schüren. "Kaum zu ertragen und verantwortungslos" sei das. Jemand, der sich wie er überlegen müsse, "ob er zur Party mit dem Privatjet oder mit dem Auto oder mit dem Zug" komme, könne sich kaum in die Lebenswirklichkeit einer alleinerziehenden Frau versetzen, die sich überlegen müsse, ob sie ein paar Turnschuhe für das Kind kauft, sagte Haßelmann in Richtung Merz. Merz, der in den vergangenen Wochen das Bürgergeld immer wieder scharf kritisiert hatte, ergriff in der Bundestagsdebatte nicht das Wort. Sie erwarte Respekt vor der Lebenslage eines jeden Menschen, so Haßelmann. Das Bürgergeld sei viel mehr als eine Regelsatzerhöhung, es sei eine Reform des Arbeitsmarktes und werde Veränderungen bringen, denn es schaffe Perspektiven für Menschen.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel forderte die Union dazu auf, im Zusammenhang mit dem Bürgergeld keine Unwahrheiten zu verbreiten. "Es macht einen zentralen Unterschied, ob man ein alternatives politisches Urteil fällt oder ob man alternative Fakten erfindet", sagte Vogel. "Es gibt keine sanktionsfreien Zeiten im Bürgergeld", machte Vogel zu dem Regierungsentwurf deutlich. "Wer etwas anderes verbreitet, der verbreitet Fake News."
Opposition kritisiert Erhöhung des Schonvermögens
Die Union wies die Vorwürfe der Ampel zurück. Mit dem neuen Bürgergeld gefährde man die Chancen auf Vermittlung in Arbeit, sagte der Unions-Vizefraktionschef Hermann Gröhe. Die Erhöhung der Zahlungen will die Union mittragen. Sie lehnt aber vor allem die geplante Erhöhung des sogenannten Schonvermögens ab. Diese finanziellen Reserven müssen Bedürftige nicht antasten, wenn sie Bürgergeld bekommen wollen.
Gröhe sprach von einem zentralen Webfehler der Reform. Eine vierköpfige Familie könne 150.000 Euro besitzen und trotzdem Bürgergeld bekommen, sagte Gröhe: "Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann von einem solchen Vermögen nur träumen." Die Koalition wische Kritik am Gesetz etwa von Städtetag und Landkreistag beiseite. "Mit dieser Arroganz bringen Sie den Sozialstaat nicht nach vorne, mit dieser Arroganz werden Sie scheitern", so Gröhe.
AfD-Politiker Kleinwächter: "Beleidigung des Sozialstaats"
Der AfD-Fraktionschef Norbert Kleinwächter kritisierte, dass das Bürgergeld diejenigen unterstütze, die nicht arbeiten wollten, deshalb sei es unsozial. Das Bürgergeld sei eine "Beleidigung des Sozialstaats". Mit dem Bürgergeld verhöhne man diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gingen.
Linke: Regelsätze zu spät und zu wenig erhöht
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte anerkennend, dass die Koalitionsvorlage "Fortschritte" im Vergleich zur aktuellen Situation enthalte - etwa die erhöhten Zuverdienstgrenzen. Scharf kritisierte er allerdings, dass auch das Bürgergeld die Bezieherinnen und Bezieher in Armut halte. "Das Bürgergeld ist nicht im Ansatz armutsfest", sagte er. "Es ist keine Abkehr von Hartz IV. Das System bleibt erhalten. In der Substanz ist es Hartz V."
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) warnte, dass eine rechtzeitige Auszahlung der Erhöhung zum Jahresbeginn nicht gewährleistet sei, wenn sie nicht bis Ende November Klarheit habe, ob auch der Bundesrat zustimmt. Im Oktober hatten laut BA rund 5,33 Millionen Erwachsene und Kinder Anspruch auf Hartz-IV-Zahlungen. Darunter fallen auch Geflüchtete aus der Ukraine.
Mit Informationen von AFP, dpa, epd, Reuters
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