Selbstbestimmungsgesetz (Symbolbild): Menschen mit Regenbogenfahne.
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Selbstbestimmungsgesetz: Mehr als ein bürokratischer Prozess?

Selbstbestimmungsgesetz: Mehr als ein bürokratischer Prozess?

Vorname und Geschlecht können ab diesem Monat mit weniger Hürden im Ausweis geändert werden. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz verbinden viele auch Hoffnung auf Normalität und Anerkennung im Alltag. So auch Karli und Jule.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

"Wenn ich an nächste Woche denke, merke ich: Das wird aufregend!" Jule aus München identifiziert sich als nichtbinär, also weder als weiblich noch als männlich. Jule ist 28 und nutzt für sich weder weibliche noch männliche Pronomen. Im Pass soll künftig der Geschlechtseintrag divers stehen. Am 1. August hat Jule den entsprechenden Antrag gestellt, Anfang November ist der Termin im Standesamt.

Viele warten schon Jahre oder Jahrzehnte auf diesen Tag. Ab November können sie ihren Eintrag im Pass ändern lassen. Anmeldungen waren ab 1. August beim Standesamt möglich - per Post oder persönlich. Danach gilt per Gesetz eine Wartezeit von drei Monaten. Sie soll eine Art Bedenkzeit sein. Bis Ende August hatten nach "Spiegel"-Informationen bereits 15.000 Menschen derartige Änderungen bei den Standesämtern angemeldet.

München: "Wir sind tatsächlich richtig überrannt worden"

In den Münchner Standesämtern haben sich bisher 350 Personen angemeldet, die Hälfte schon am ersten Tag. Alle Termine für diesen Monat sind bereits vergeben. "Wir sind tatsächlich richtig überrannt worden", sagt Dr. Hanna Sammüller-Gradl, Leiterin des Kreisverwaltungsreferats in München.

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Jule hat am 1. August per Post den Antrag gestellt, Anfang November ist der Termin im Standesamt.

Eine Identität, die lange Bestand hat

Für Jule ist die Angleichung des Personenstands über das Selbstbestimmungsgesetz der letzte Schritt, der "alles rund macht": "Weil dann alles zu dem passt, wer ich bin." Auch Karli aus Regensburg identifiziert sich als nichtbinär. Karli ist 24 und trägt den Namen schon seit über zehn Jahren im Alltag. Doch bis jetzt hat Karli noch immer das Gefühl, in manchen Momenten nicht ganz authentisch sein zu können. Für Karli ist der Name ein Teil der eigenen Identität und sollte sich auch in formellen Situationen widerspiegeln.

Ein bedeutender Schritt zur Selbstverwirklichung

Die bevorstehende Namensänderung stellt für Karli nicht nur einen bürokratischen Prozess dar, sondern vielmehr einen bedeutsamen Schritt in Richtung Selbstverwirklichung. "Ich möchte, dass die Menschen mich mit meinem echten Namen ansprechen, und dass dies auch in offiziellen Dokumenten verankert ist." Dieser Schritt soll Karli helfen, sich im eigenen Leben freier und authentischer zu fühlen.

Jule findet das Gesetz "unfassbar wichtig": Auch, weil mit dem neuen Gesetz, keine ärztlichen Untersuchungen, kein richterlicher Beschluss und keine psychologischen Gutachten mehr nötig sind. Für Jule ein wichtiger Punkt: "Nur ich selbst kann Auskunft darüber treffen, was meine Geschlechtsidentität ist, welchen Namen ich tragen möchte oder welchen Personenstand ich in meinen Urkunden haben möchte." Das Gesetz schützt Menschen auch vor einem ständigen Outing, beispielsweise beim Arzt oder im Beruf.

Unterstützung durch die Community

Seit vier Jahren nutzt Jule geschlechtsneutrale Pronomen. Für Jule war es wichtig, anfangs die Pronomen im sicheren Raum der queeren Community zu testen. Auch die Unterstützung von Familie und Freundschaften sei wichtig gewesen.

Karli hat auch die Unterstützung der Universität und der LGBTQ+-Community in Anspruch genommen. "Es ist wichtig zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Viele stehen hinter mir und verstehen, wie wichtig das für mich ist." Diese Solidarität gibt Karli Kraft und Zuversicht auf dem Weg zur Namensänderung und zur Akzeptanz der Identität in der Gesellschaft.

Selbstbestimmungsgesetz nicht unumstritten

Das Selbstbestimmungsgesetz ist in der Politik nicht unumstritten. Die Union kritisierte vor allem den Kinder- und Jugendschutz. Denn auch Minderjährige können unter bestimmten Bedingungen künftig ihren Geschlechtseintrag ändern.

Jule betont, dass es vor der Pubertät nur um soziale, nicht medizinische Maßnahmen gehe. Dabei könne das Gesetz unterstützen. Der Vorwurf vom fehlenden Kinderschutz suggeriere, dass sich Menschen aussuchen trans zu sein, weil "das jetzt gerade irgendwie cool ist."

Auch Sammüller-Gradl zweifelt daran, dass Menschen ihre Einträge leichtfertig ändern. Im Standesamt wurde bewusste alle Mitarbeitenden geschult, schon Monate vorher. Sie spüre eine ganz große Offenheit, in der Belegschaft und in der Gesellschaft. Im Münchner Kreisverwaltungsreferat freu man sich jetzt, den Menschen helfen zu können.

Im Embed: BR24 auf Instagram zum Selbstbestimmungsgesetz

Zum Anhören: Neues Selbstbestimmungsrecht in Kraft - Was nun gilt

(Symbolbild) Eine Bank, deren Latten in Regenbogenfarben lackiert ist.
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(Symbolbild) Mit dem November ist das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten.

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