Noch im Sommer hat FIFA-Präsident Gianni Infantino das Versprechen bekräftigt: Das Turnier in Katar soll die erste klimaneutrale Fußball-Weltmeisterschaft der Geschichte werden. Nach Angaben der FIFA werden 3,6 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Sie entstehen unter anderem durch den Bau von Stadien, Infrastruktur und Flugreisen der Fans. Diese Emissionen wollen die FIFA und die katarischen Gastgeber kompensieren. Dazu kaufen sie Emissionsgutschriften von Projekten, die CO2 einsparen. Bislang ist bekannt, dass Zertifikate zum Ausgleich von über 1,8 Millionen Tonnen CO2 über eine in Katar gegründete Organisation namens Global Carbon Council (GCC) erworben werden sollen.
Der groß geplante CO2-Handel funktioniert so: Die Gastgeber möchten Zertifikate erwerben, die bescheinigen, dass mit einem Klimaschutzprojekt anderswo CO2 eingespart wird. Bisher haben die katarischen WM-Organisatoren über den GCC allerdings nur Zertifikate von drei Klimaschutzprojekten gekauft.
Bei einem Projekt handelt es sich um einen Windpark in Serbien, den ein österreichisches Unternehmen eingereicht und ein Gutachter aus Bayern geprüft hat. BR-Recherchen zeigen, dass dieser Windpark offenbar nicht die selbst gesetzten Kriterien des GCC erfüllt. Und: Sowohl der österreichische Projektentwickler als auch der bayerische Gutachter sitzen im Lenkungssauschuss des Global Carbon Council (GCC) - ein eindeutiger Interessenkonflikt.
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Katar setzt eigenes Kompensationsprogramm auf
Der Global Carbon Council ist eine neue Organisation zur CO2-Kompensation, die 2016 mit Hilfe von katarischen Regierungsorganisationen gegründet wurde. Unternehmen können dort ihre Klimaschutzprojekte einreichen. Der GCC prüft deren Qualität und stellt Zertifikate zur freiwilligen Kompensation aus. Aktuell warten fast 600 Projekte beim GCC auf eine Zulassung. Meist handelt es sich dabei um Solar- oder Windparks, vorwiegend in Indien, der Türkei und China.
Projekte mit erneuerbaren Energien aus diesen Ländern sind bei der CO2-Kompensation umstritten, weil solche Maßnahmen dort längst rentabel sind und keine Förderung durch Emissionsgutschriften brauchen. Der US-amerikanische Marktführer im Bereich der freiwilligen CO2-Kompensation Verra und der Schweizer Anbieter Gold Standard lassen deshalb solche Projekte aus Indien, der Türkei und China nicht mehr zu.
Deutlich wird die Problematik bei zwei Projekten, von denen die WM-Gastgeber bislang Zertifikate gekauft haben: ein Windpark und ein Wasserkraftwerk in der Türkei. Windenergie macht rund zehn Prozent, Wasserkraft etwa 25 Prozent der installierten Leistung zur Stromproduktion in der Türkei aus.
Dass Geld in diese Projekte investiert wird, kritisiert Axel Michaelowa, Leiter der Forschungsgruppe Internationale Klimapolitik an der Universität Zürich, als "Mitnahmeeffekte". In diesen Ländern seien "kostengünstige Anlagen angekommen und die Projekte von vornherein finanziell attraktiv." Marcel Kruse vom Umweltbundesamt sieht sogar negative Effekte: "Wenn solche Projekte sowieso umgesetzt worden wären und gleichzeitig die Zertifikate genutzt werden zur Kompensation, dann ist das eigentlich schlecht fürs Klima." Denn dann wird am Ende mehr CO2 ausgestoßen.
Zweifelhafte Doppelrolle
Im Juni hat der GCC eine Anlage mit 20 Windrädern in Serbien, an der Grenze zu Rumänien, als drittes Projekt zur Kompensation genehmigt. Eingereicht hat den Windpark "Kosava" die österreichische Firma Energy Changes. Mittlerweile hat sie Zertifikate für die Emission von 200.000 Tonnen CO2 an die katarischen WM-Organisatoren verkauft. Einen weiteren großen Windpark in Serbien, den Energy Changes eingereicht hat, hat der GCC Ende Oktober genehmigt. Auffällig ist: Damit sind zwei von bisher sechs zugelassenen Projekten Windparks in Serbien von der Firma Energy Changes.
BR-Recherchen zeigen: Der Geschäftsführer von Energy Changes, Clemens Plöchl, sitzt im Lenkungsausschuss des GCC. Zu den Aufgaben der Gremiumsmitglieder gehört laut GCC-Statuten auch die "endgültige Empfehlung" der eingereichten Projekte.
Einen möglichen Interessenkonflikt streitet Plöchl im Interview mit dem BR nicht ab. Er betont aber, dass er sich bei der Abstimmung im Ausschuss zu seinen Projekten enthalte.
Serbischer Windpark: Fragwürdige Zulassung beim GCC
Fraglich ist, ob der Windpark "Kosova" nach den Kriterien des GCC überhaupt zum Emissionshandel zugelassen werden durfte. Nach BR-Recherchen hat Energy Changes bei der Projekteinreichung veraltete Daten serbischer Behörden herangezogen. Hätte Energy Changes aktuelle Daten genutzt, wäre der Anteil der Windkraft in Serbien zu hoch gewesen für eine Zulassung.
Außerdem hat Energy Changes mit Daten gearbeitet, die nur einen Teil der installierten Windenergie berücksichtigen. Auch dadurch erscheint der Anteil der Windkraft in Serbien geringer, als er damals tatsächlich war. Energy Changes-Geschäftsführer Clemens Plöchl betont im BR-Interview, er habe bei der Berechnung nicht getrickst, sondern ein reines Gewissen "wie ein Baby".
Auf BR-Nachfrage legt GCC andere Daten vor. Auch mit diesen erscheint der Anteil der Windenenergie geringer, als er nach offiziellen Daten der serbischen Regierung und der serbischen Energieagentur tatsächlich ist. CO2-Experte Axel Michaelowa kritisiert: Auch auf dieser Basis hätte der serbische Windpark nicht zugelassen werden dürfen. Er sieht bei der Zulassung des Windparks "einen klaren Widerspruch gegen die Regeln des Standards".
Interessenskonflikte auch bei einem deutschen Gutachter
Ein Gutachter des Windparks in Serbien war Werner Betzenbichler, Vorstandsvorsitzender von Verico SCE, einem genossenschaftlichen Expertennetzwerk. Die Frage, ob er die nach BR-Recherchen fragwürdigen Daten geprüft hätte, verneint Betzenbichler im Interview. Er sei nur Zweitgutachter und dies nicht seine Aufgabe. So stehe es auch in den GCC-Richtlinien. Die hat Betzenbichler selbst mitentwickelt.
Denn: Betzenbichler ist ebenfalls Mitglied des GCC-Lenkungsausschusses. Im Sommer hat der Kompensationsexperte aus der Nähe von München den Windpark "Kosava" von Energy Changes im Auftrag des GCC vor Ort überprüft.
CO2-Experte Michaelowa sieht eine "unzulässige Verquickung von Interessen", wenn Mitglieder des Lenkungsausschusses wie Betzenbichler und Plöchl gleichzeitig als Gutachter und Projektentwickler tätig sind. Michaelowa fordert: "Es sollte in einem Aufsichtsgremium eines Standards niemand sitzen, der an dem Verkauf von Zertifikaten des Standards Geld verdient."
Verico SCE ist nach Aussage von Betzenbichler mit der Prüfung von rund 20 GCC-Projekten beauftragt. Für ein Gutachten bekommen Verico-Prüfer einen knapp fünfstelligen Betrag, sagt er. Clemens Plöchl äußert sich zu finanziellen Fragen nicht: Wie viel Geld Energy Changes mit dem Verkauf der Emissionsrechte an die katarischen WM-Organisatoren verdient, sei "vertraulich", sagt Plöchl im BR-Interview.
Kaufen sich Katar und FIFA billig frei?
Preisexperten der Londoner Firma Quantum Commodity Intelligence gehen davon aus, dass eine Emissionsgutschrift des katarischen Standards GCC zwischen zwei und vier US-Dollar pro Tonne CO2 kosten könnte. Insgesamt wollen die WM-Gastgeber mit Zertifikaten vom GCC 1,8 Millionen Tonnen CO2 ausgleichen. Dafür müssten sie folglich bis zu 7,2 Millionen US-Dollar bezahlen - nicht viel angesichts rund 200 Milliarden US-Dollar Gesamtkosten für die Fußball-WM.
Ein Sprecher der katarischen WM-Organisatoren antwortet auf BR-Anfrage, die Entscheidung, CO2-Emissionen "transparent und proaktiv auf verantwortungsvolle Weise auszugleichen, sollte anerkannt und nicht kritisiert werden."
Die FIFA erklärt auf Anfrage, dass sie keine Emissionsgutschriften beim GCC kaufe. Stattdessen wolle der Verband bei anderen Standards CO2-Zertifikate erwerben. Tatsächlich ist geplant, dass die FIFA zusammen mit der Veranstalterorganisation Q22 nur zehn Prozent der notwendigen CO2-Gutschriften erwirbt. Die restlichen 90 Prozent sollen die katarischen Gastgeber kaufen. Gleichwohl wirbt die FIFA damit, die Fußball-Weltmeisterschaft in dem Wüstenstaat sei klimaneutral. Ein Versprechen, das nach bisherigem Stand nicht eingelöst wird.
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