Nachdem die Europäische Rabbinerkonferenz Papst Franziskus jüngst wegen seiner Äußerungen zum Krieg im Gazastreifen kritisiert hatte, gibt es nun zahlreiche Reaktionen darauf. Der vatikanische "Ministerpräsident", Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, rechtfertigte Franziskus' Vorschlag, den Genozid-Vorwurf gegenüber Israel zu überprüfen. Die zwei katholischen Hochschullehrer René Dausner und Christian Frevel sowie der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff werfen dem Papst dagegen eine einseitige Sicht auf den Nahost-Konflikt vor.
Papst für Überprüfung eines Völkermords in Gaza
Papst Franziskus hatte sich dafür ausgesprochen, die aktuellen Ereignisse im Gazastreifen eingehend zu untersuchen. "Nach Ansicht einiger Experten weist das Geschehen in Gaza die Merkmale eines Völkermords auf", schreibt Franziskus in einem neuen Buch. "Wir sollten sorgfältig prüfen, ob es in die von Juristen und internationalen Gremien formulierte technische Definition passt." Israel, dessen Kriegsführung gegen die Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen manche Kritiker als Genozid bezeichnen, erwähnt der Papst nicht direkt.
Die Europäische Rabbinerkonferenz zeigte sich angesichts dessen äußerst beunruhigt. Aus Sicht der Rabbiner könne Israel für "seine militärischen Maßnahmen zur Selbstverteidigung" nicht des Völkermords bezichtigt werden.
Parolin: Vatikan für baldiges Kriegsende in Nahost
"Der Papst hat gesagt, was die Position des Heiligen Stuhls ist, und das ist, dass wir diese Dinge untersuchen müssen, weil es technische Kriterien gibt, um das Konzept des Völkermords zu definieren", sagte Kardinalstaatssekretär Parolin vor Journalisten in Rom. Anliegen und Interesse des Vatikans sei, dass der Krieg im Nahen Osten bald beendet werde.
Auf die Frage nach möglichem Antisemitismus beim Genozid-Vorwurf sagte Parolin laut "Vatican News", dass die Position des Heiligen Stuhls zu diesem Phänomen klar sei: "Wir haben ihn immer verurteilt und werden ihn auch weiterhin verurteilen, und wir werden uns bemühen, genau die Bedingungen zu schaffen, damit es wirklich eine ernsthafte Verurteilung und einen ernsthaften Kampf gegen dieses Phänomen geben kann."
Kritik: Papst nimmt nur eine Seite des Leidens in den Blick
Als Belastung für den jüdisch-christlichen Dialog bewerten die zwei katholischen Hochschullehrer Dausner und Frevel die Aussage von Papst Franziskus. "Der Brief nimmt nur die eine Seite des Leidens in den Blick und macht implizit die Gegenseite zu den Verursachern", argumentieren Dausner und Frevel in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift "Publik Forum".
In dem Papst-Schreiben sei nur das Leid der palästinensischen Bevölkerung erwähnt. Das Leiden der israelischen Bevölkerung tauche in dem Brief nicht auf. "Es gibt also einen blinden Fleck im Denken des Argentiniers", sagen die beiden Theologen über den argentinischen Papst. Der Brief lasse zu viel Raum für Interpretationen, die zu einer Täter-Opfer-Umkehr führten, lautet der Vorwurf von Dausner und Frevel. Die beiden Autoren kritisieren, Papst Franziskus nutze antijüdischen Klischees. Das widerspreche der gesamtkirchlichen Haltung gegenüber dem Judentum nach der Schoa.
Papst unterstützte aufflammenden Antisemitismus
Auch der Salzburger Theologe Hoff kritisiert den Papst für dessen Äußerung. Damit habe er sich in einem internationalen Konflikt zur Partei gemacht, schreibt der Hoff in einem Beitrag für "Communio". "Die jüngsten Äußerungen von Franziskus zur Untersuchung des Genozid-Vorwurfs gegenüber Israel überschreiten eine Grenze: die der Neutralität, denn offensichtlich hält Franziskus den Vorwurf für diskutabel. Mehr noch: Der Papst rückt das Verhalten Israels in die Nähe zu einem Völkermord", argumentiert der Fundamentaltheologe.
Der Papst unterstütze mit seiner Äußerung den weltweit verstärkt aufflammenden Antisemitismus. "Das will er selbstverständlich nicht. Aber für das, was ein Papst mit seiner Autorität kommuniziert, muss er Verantwortung übernehmen. Seine hochproblematischen Aussagen stellen ein Risiko für Israel als Staat und für Juden weltweit dar", sagt der Salzburger Theologe. Die Aussage reihe sich ein "in prekäre Stellungnahmen und problematische Verhaltensmuster des Vatikans und von Franziskus selbst seit dem genozidalen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023".
Mit Informationen von KNA
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