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Thüringen-Wahl: Wie Linke und BSW um Stimmen kämpfen

Thüringen-Wahl: Wie Linke und BSW um Stimmen kämpfen

Vor knapp fünf Jahren hat die Linke in Thüringen ein Rekordergebnis geholt. Jetzt liegt sie in Umfragen hinter der neuen Wagenknecht-Partei. Wie ist die Stimmung kurz vor der Landtagswahl? Teil eins der BR24-Serie zu den Wahlkämpfen im Osten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es ist ein sonniger Augusttag in Erfurt, aber die Kaffeetafel findet drinnen statt. Da sind die Temperaturen erträglicher. Fünf Frauen in Sommerbluse sitzen am Tisch, als Bodo Ramelow hereinkommt. Der Thüringer Ministerpräsident ist zu Besuch bei einem Seniorentreff im Stadtteil Roter Berg. Ein klassischer Wahlkampftermin. Der Linken-Politiker wirbt um Stimmen – das wissen hier natürlich alle. Aber es ist eben auch eine Gelegenheit, dem Regierungschef etwas mit auf den Weg zu geben.

"Er soll gesund bleiben", sagt eine der Frauen und lacht. "Und uns erhalten bleiben", sagt eine andere. Ramelow nickt, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Gute Wünsche aus dem Mund von Bürgerinnen: Das passt perfekt in die Dramaturgie eines solchen Termins. Allerdings hat eine weitere Frau am Tisch Kritik mitgebracht. Sie beklagt sich darüber, dass sie sich kaum noch mit ihren Nachbarn unterhalten könne - weil sie deren Muttersprachen nicht beherrsche und eine Verständigung auf Deutsch nicht möglich sei: "Das ist das, was mich ärgert."

Ramelow setzt auf gesteuerte Einwanderung

Der Stadtteil wird von Plattenbauten aus DDR-Zeiten geprägt, die zum Teil hoch in den Himmel ragen. Rund 6.000 Menschen leben hier. Fast jeder vierte hat keinen deutschen Pass. Im thüringischen Durchschnitt ist der Anteil von Ausländern deutlich geringer. Doch das Thema Einwanderung ist eines der bestimmenden in diesem Wahlkampf. Manche Menschen fühlten sich "fremd im eigenen Quartier", sagt Ramelow später im Gespräch mit BR24. "Die Frage ist: Wie kriegen wir das hin, dass so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl entsteht?"

Aus seiner Sicht ist jedenfalls klar, dass Thüringen zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt. Anders lasse sich der erreichte Wohlstand nicht halten. "Wir brauchen gezielte Zuwanderung", sagt Ramelow. Dass es Probleme gibt, leugnet er nicht. Der Erfurter Ministerpräsident spricht sich für Begegnungsorte und offene Formen der Nachbarschaftshilfe aus, damit sich die Menschen ungeachtet kultureller Unterschiede näherkommen. Die Forderung nach einer allgemeinen Begrenzung der Zuwanderung greift ihm jedenfalls zu kurz: Er sieht einen klaren Unterschied zwischen Asylmigration und Einwanderung von Arbeitskräften.

BSW fordert Stopp von "unkontrollierter Migration"

Bodo Ramelow ist der erste und bisher einzige Ministerpräsident, den die Linke stellt. Eine Partei, die gerade erst mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine Abspaltung erleben musste. Wagenknecht schlug in der Migrationsdebatte schon lange einen schärferen Ton an als die Führung ihrer früheren Partei. Eine Linie, die nun das Programm des nach ihr benannten Bündnisses prägt: "Unkontrollierte Migration" stoppen, Schlepperbanden das Handwerk legen – so stand es etwa in Wagenknechts Forderungskatalog zur zurückliegenden EU-Wahl.

Auf die prominente Bundestagsabgeordnete und die Wahlchancen ihrer Partei in Thüringen angesprochen, reagiert Ramelow gereizt. "Die kandidiert hier gar nicht", stellt er im BR24-Interview klar. Also könne sie am Wahlabend auch nicht an ihm und seiner Linken vorbeiziehen: "Ein Phantom hat im Moment Umfragewerte, aber dieses Phantom steht nicht auf dem Wahlzettel."

Wagenknecht ist im Thüringer Wahlkampf allgegenwärtig

Tatsächlich tritt Wagenknecht nicht zur Landtagswahl in Thüringen an. Die BSW-Spitzenkandidatin dort ist Katja Wolf, Ex-Oberbürgermeisterin von Eisenach und wie Wagenknecht früher Mitglied der Linken. Allerdings ist Wagenknecht im Thüringer Wahlkampf allgegenwärtig: auf Plakaten, Infostand-Flyern und Marktplätzen.

Als die BSW-Chefin diese Woche nach Altenburg in Ostthüringen kommt, haben sich schätzungsweise 400 Menschen vor der Wahlkampfbühne versammelt. Rentnerinnen und Rentner bestimmen das Bild, was jedoch auch damit zusammenhängen könnte, dass der Termin noch in den üblichen Büroarbeitszeiten liegt. Wagenknecht kommt etwa eine Dreiviertelstunde später als erwartet, aber das scheint ihr hier niemand übelzunehmen.

BSW-Chefin will Seele der Ostdeutschen streicheln

Immer wieder muss sie ihren Redefluss kurz unterbrechen, weil ihr die Menge applaudiert. Zum Beispiel, als sie – die gebürtige Jenaerin – die Seele der Thüringer zu streicheln versucht: Die Ostdeutschen im Allgemeinen hätten sich "einfach noch stärker das eigene Denken bewahrt und lassen sich nicht immer nur erzählen, wo es langgeht". Das kommt gut an in einer Region, in der die Wendejahre mit ihren politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen immer noch nachhallen.

Wagenknecht spricht durchgehend frei. Es mag ihr an Regierungserfahrung fehlen, aber mangelndes rhetorisches Talent wird ihr wohl niemand nachsagen. Zudem hat sie ein Gespür für Stimmungen – und das scheint ihr gerade jetzt zu nützen. Neben der Migration beschäftigt die Menschen in Thüringen zurzeit offenbar kaum ein Thema so wie der Krieg in der Ukraine.

Wagenknecht will mit Nein zu Waffenlieferungen punkten

Nun ist Außen- und Sicherheitspolitik Sache des Bundes und nicht der Länder. Doch Wagenknecht ficht das nicht an: "Wer meint, das gehört nicht nach Thüringen, der hat mit den Menschen in Thüringen nicht gesprochen." Die Sorge sei groß, "dass der Krieg irgendwann zu uns kommt, dass sich Deutschland in einen großen Krieg hineinziehen lässt". Damit zielt Wagenknecht auf die Waffenlieferungen für die Ukraine ab, die das BSW ablehnt. Auf die Folgen, die ein sofortiger Stopp der Militärhilfen für den Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer hätte, geht sie nicht ein.

Nach ihrer Rede kommt Wagenknecht vom Podium herunter. Ihre Anhänger stehen dicht an dicht – einige machen ein Selfie mit ihr. Routiniert lächelt sie in die Handykameras. Angesichts der Ausgangslage dürfte ihr das nicht schwerfallen. Gerade mal ein halbes Jahr nach seiner Gründung liegt das BSW nach einer aktuellen Umfrage für die ARD auf dem dritten Platz in Thüringen. Deutlich vor der Linken, die bei der zurückliegenden Landtagswahl noch ein Rekordergebnis einfuhr. Und so liefert dieser Wahlkampf einen weiteren Beleg dafür, wie sehr das Parteiensystem in Bewegung geraten ist.

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