Die ukrainische Armee hat nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj um die Mobilisierung von hunderttausenden Ukrainern für den Kampf gegen Russland gebeten. Die Militärspitze habe vorgeschlagen, "450.000 bis 500.000" Kräfte zu mobilisieren, sagte Selenskyj bei seiner Jahresend-Pressekonferenz in Kiew. Er brauche aber "mehr Argumente, um diese Idee zu unterstützen".
Hochrangige Militärs und Regierungsvertreter würden die "sehr heikle Frage der Mobilisierung" erörtern, erklärte der Präsident. Das Parlament werde sich dann damit befassen. Eine endgültige Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. Eine Mobilisierung in einem solchen Umfang würde zusätzliche Finanzmittel erfordern.
Zudem kündigte der Staatschef an, dass die Ukraine mehr Patriot-Luftabwehrsysteme erhalten werde. "Mehrere neue Patriot-Systeme werden in der Ukraine sein, um unser Land im Winter zu schützen", sagte Selenskyj. Er habe versprochen, die Anzahl nicht zu verraten. Die Waffenlieferungen seien ein "sehr wichtiges Ergebnis" seiner jüngsten Reisen ins Ausland.
Selenskyj: Ukraine wird Krieg nicht verlieren
Selenskyj war zuletzt in mehreren westlichen Ländern unterwegs, darunter in den USA, um für weitere militärische und politische Unterstützung für die Ukraine zu werben. Kiew fordert derzeit zusätzliche Waffenlieferungen von seinen westlichen Verbündeten, die sich jedoch zunehmend zurückhaltend zeigen. Nach Angaben des in den USA angesiedelten Think-Tanks Institut for the Study of War (ISW) ist die Ukraine bereits gezwungen, Munition zu rationieren.
In Kiew versicherte Selenskyj nun, er vertraue darauf, dass die USA die Ukraine nicht "verraten" und die Vereinbarungen einhalten würden. Zugleich gab er an, dass ein möglicher Sieg des Republikaners Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl Ende 2024 den Verlauf des Krieges stark beeinflussen könne. Trump werde "sicherlich eine andere Politik" gegenüber der Ukraine verfolgen. Selenskyj sagte auch, er wolle wegen blockierter Gelder der Europäischen Union für die Ukraine mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban sprechen. Orban hatte in der vergangenen Woche sein Veto gegen weitere Wirtschaftshilfen der EU in Höhe von 50 Milliarden Euro eingelegt.
Mit einem schlichten "Nein" antwortete Selenskyj bei der Pressekonferenz auf die Frage, ob die Ukraine am Ende im Krieg gegen Russland unterliegen könne. Russland habe in diesem Jahr keine Erfolge erzielt, betonte er zudem. Das ostukrainische Gebiet Donezk zum Beispiel habe Moskau weiter nicht komplett erobern können. Stattdessen habe die Ukraine die Kontrolle über das westliche Schwarze Meer weitgehend wieder hergestellt. Die Idee eines Beitritts der Ukraine zur Nato ohne die russisch besetzten Gebiete lehnte Selenskyj ab.
Cameron: Unterstützung "so lange wie nötig"
Der britische Außenminister David Cameron sicherte der Ukraine am Dienstag bei einem Treffen mit seiner französischen Kollegin Catherine Colonna die fortgesetzte Unterstützung von Großbritannien und Frankreich zu. London und Paris seien bislang "starke Unterstützer" der Ukraine gewesen und würden das "auch weiterhin sein", sagte Cameron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Beide Länder würden die Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen. Es sei "entscheidend, dass Putin den Krieg verliert", sagte Cameron mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Laut Colonna gilt es bei der anhaltenden Unterstützung für Kiew darum sicherzustellen, "dass die russische Aggression nicht belohnt werden kann". Die Zusammenarbeit zwischen London und Paris könne "noch weiter ausgebaut werden", sagte die Ministerin. Es gehe "natürlich um das Schicksal der Ukraine, aber auch um die Sicherheit des europäischen Kontinents".
Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
Putin sieht Westen gescheitert
Kremlchef Putin zeigte sich unterdessen vor Vertretern seines Verteidigungsministeriums zufrieden mit dem Kriegsverlauf. Als Erfolg präsentierte er dann aber vor allem, dass es dem Westen nicht gelungen sei, Russland eine strategische Niederlage in der Ukraine zuzufügen. Das Ziel sei zerschmettert worden durch die "wachsende Kraft unserer Streitkräfte und Rüstungsproduktion", sagte Putin vor Militärs und Vertretern aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Beim Krieg gegen die Ukraine "kann man mit Überzeugung sagen, dass die Initiative aufseiten unserer Streitkräfte liegt", behauptete der Kremlchef.
Putin, der den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 befohlen hat, warf zudem einmal mehr den USA vor, den Konflikt in der Ukraine bis zu einem Krieg getrieben zu haben. Es sei dem Westen stets nur darum gegangen, das Land als Instrument zur Zerstörung Russlands zu benutzen, behauptete er. Zugleich räumte er ein, dass der Krieg gegen die Ukraine Probleme in der russischen Verteidigung aufgezeigt habe. So brauche Russland mehr Drohnen, eine bessere Flugabwehr und ein modernes Satellitenkommunikationssystem. Unmittelbar vor Putins Auftritt schoss die russische Flugabwehr nach Militärangaben im Moskauer Gebiet eine ukrainische Drohne ab.
"Aufmerksamkeit der Welt ist von zahlreichen Krisen abgestumpft"
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk beklagte eine zunehmende Kriegsmüdigkeit der internationalen Gemeinschaft beim Ukraine-Krieg. "Die Aufmerksamkeit der Welt scheint von den zahlreichen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, abgestumpft zu sein", sagte Türk vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Türk prangerte in diesem Zusammenhang erneut von Russland in der Ukraine begangene "eklatante Verletzungen der internationalen Menschenrechte und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht" an.
Unterdessen räumte die ukrainische Armee am Dienstag angesichts der russischen Offensive in der Region Charkiw ein, dass die Lage für sie in dem Gebiet im Nordosten des Landes "kompliziert" sei. Die russischen Truppen seien in der Region um die Stadt Kupjansk bei Waffen und Personal überlegen, erklärte Oleksandr Syrsky, der Kommandeur des ukrainischen Heeres, im Onlinedienst Telegram. Die ukrainischen Truppen hielten aber ihre Stellungen.
Das russische Verteidigungsministerium teilte seinerseits am Dienstag mit, acht ukrainische Angriffe um Kupjansk abgewehrt zu haben. Zugleich gab Moskau bekannt, dass seine Soldaten den Druck in der Region um die ostukrainische Stadt Bachmut verstärkten.
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Mit Informationen von AFP, AP, Reuters und dpa
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