Biden winkt den G7-Staatschefs zu
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USA und G7 stärken Selenskyj den Rücken – Was bedeutet das?

Ein Sicherheitsabkommen mit den USA, ein 50 Milliarden Dollar Kredit der G7-Staaten: Der ukrainische Präsident Selenskyj konnte gestern auf dem Treffen der sieben Staatschefs in Italien von einem "historischen Tag" sprechen. Aber was bedeutet das?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Donnerstagabend, 20 Uhr 47, im Presseraum des Hotels Masseria San Domenico im süditalienischen Fasano: US-Präsident Joe Biden steht mit seinem ukrainischen Amtskollegen vor den Kameras. Der erste Tag des Treffens der sieben großen Industrienationen am Tagungsort im malerisch gelegenen Luxushotel, zu dem Selenskyj eingeladen war, geht zu Ende.

Biden ergreift das Wort: "Präsident Selenskyj und ich haben soeben dieses Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Ukraine unterzeichnet. Unser Ziel ist es, die glaubwürdigen Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeiten der Ukraine auf lange Sicht zu stärken." Ein dauerhafter Frieden für die Ukraine müsse durch die eigene Fähigkeit der Ukraine untermauert werden. Das Ziel: Die Ukraine müsse "sich jetzt verteidigen und künftige Aggressionen jederzeit abschrecken – in der Zukunft".

Auch der ukrainische Präsident spart nicht mit politischen Superlativen. Das bilaterale Sicherheitsabkommen mit Washington sei das "stärkste Abkommen zwischen der Ukraine und den USA seit unserer Unabhängigkeit" im Jahr 1991. Es sei ein Abkommen "über Schritte zur Gewährleistung eines dauerhaften Friedens." Dies komme "allen Menschen auf der Welt zugute, denn der russische Krieg gegen die Ukraine ist eine echte, reale globale Bedrohung."

Was steht im Abkommen zwischen den USA und der Ukraine?

In dem 21-seitigen Sicherheitsabkommen werden drei wesentliche Punkte aufgeführt: die militärische Kooperation; die Stärkung des Energiesektors; politische Reformen, "um die euro-atlantische Integration und Modernisierung der Ukraine im Einklang mit den demokratischen Grundsätzen und Standards der EU und der Nato voranzutreiben."

So sagt die US-Regierung zu, die Verteidigungs- und Sicherheitszusammenarbeit mit der Ukraine deutlich auszuweiten, "um dazu beizutragen, künftige Aggressionen gegen die territoriale Integrität einer der Parteien abzuschrecken und zu bekämpfen." Damit unterstütze das Abkommen die Ukraine dabei, "den heutigen Krieg zu gewinnen und künftige russische Militärangriffe abzuschrecken."

Es geht unter anderem um eine enge Rüstungszusammenarbeit, um Technologieaustausch, Militärübungen - allerdings nicht in der Ukraine - Cyberabwehr und um den Austausch von Geheimdienstinformationen.

Sehr unmissverständlich heißt es im Artikel 2 des Sicherheitsabkommens, und dies war der Biden-Administration mit Blick auf die Verwendung amerikanischer Waffensysteme durch die Ukraine wichtig: Im Falle eines "künftigen bewaffneten Angriffs oder der Androhung eines bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine" stimmen sich Washington und Kiew auf höchster Regierungsebene binnen 24 Stunden über "geeignete nächste Schritte und zusätzliche Verteidigungserfordernisse" ab. Das heißt, dass das ukrainische Militär ohne eine Zustimmung Washingtons keine weitreichenden ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland einsetzen könnte. Bislang hat das Weiße Haus die Verwendung dieser US-Raketen mit 300 Kilometer Reichweite nur zur Abwehr der jüngsten russischen Angriffe auf das Grenzgebiet nördlich von Charkiw genehmigt.

Hält das zehnjährige Sicherheitsabkommen nur bis November?

Wie lange das amerikanisch-ukrainische Sicherheitsabkommen Bestand haben wird, lässt sich trotz der zehnjährigen Geltungsdauer nicht sagen. Das Abkommen ist ein Regierungsabkommen, das nicht vom US-Kongress ratifiziert werden muss. Neue US-Haushaltsausgaben für die Ukraine, die nur von beiden Kammern des US-Kongresses genehmigt werden können, sind mit dem Abkommen nicht verbunden.

Die zehnjährige Laufzeit lehnt sich an das US-Abkommen mit Israel an, allerdings mit ganz entscheidenden Unterschieden: So verabschiedete der US-Kongress 2016, noch während der Amtszeit von Präsident Barack Obama, ein zehnjähriges Sicherheitsabkommen mit Israel, das eine fortlaufende, jährliche Finanzierung der israelischen Streitkräfte von jeweils 3,8 Milliarden Dollar vorsah. Eine vergleichbare Regelung strebte der ukrainische Präsident mit Washington ebenfalls an, aber ohne Erfolg.

US-Präsident Biden konnte zum jetzigen Zeitpunkt, ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen im November, keine vertraglich dauerhafte Zusage eingehen. So wird am Ende des Abkommens im Artikel 9 unter der Zwischenüberschrift "Beendigung" betont: "Jede Vertragspartei kann dieses Abkommen kündigen, indem sie der anderen Vertragspartei auf diplomatischem Wege schriftlich ihre Absicht mitteilt, das Abkommen zu kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach dem Datum der Notifizierung wirksam." Auf gut Deutsch heißt das: Sollte Donald Trump gewählt werden, könnte er das Abkommen sofort nach dem Amtsantritt am 20. Januar 2025 einseitig aufkündigen und wäre sechs Monate später nicht mehr daran gebunden. Genau diese Vorgehensweise hatte Trump bereits 2018 angewandt, um das von ihm verhasste Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen.

Weiterhin keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine

Für US-Präsident Joe Biden gilt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine Maxime: Washington wird dem Wunsch der Ukraine nach einer verbindlichen Zusage nicht entsprechen, in die Nato aufgenommen zu werden. Stets hat Biden bei zahlreichen Gelegenheiten betont, dass es ohne eine einheitliche Zustimmung aller Mitgliedsländer des transatlantischen Bündnisses keine Aufnahme der Ukraine geben werde. Davon ist die Allianz weit entfernt. Neben der US-Regierung ist der deutsche Bundeskanzler gleichermaßen skeptisch.

Was Biden mit dem Sicherheitsabkommen erreichen will, ist daher ein klassischer sicherheitspolitischer Kompromiss. In der Diplomatensprache wird dort die Absicht bekräftigt, "dass die Zukunft der Ukraine in der Nato liegt." Allerdings verweist Washington dabei auf den letzten Nato-Gipfel in Vilnius 2023. Eine ähnliche Formulierung dürfte es auch beim Gipfeltreffen des Bündnisses zum 75. Gründungsjahr in Washington in diesem Sommer geben: Eine Einladung zum Beitritt werde die Nato der Ukraine erst dann aussprechen, "wenn die Bündnispartner zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind."

Um diesen Zeitraum zu nutzen und zu überbrücken, setzt Biden auf die politische Signalwirkung dieses Sicherheitsabkommens mit Selenskyj. Für den ukrainischen Präsidenten hätte dieses Signal nicht viel später erfolgen können. Im Abkommen, so hob Selenskyj auf seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Biden hervor, sei die Frage der Nato abgedeckt. Denn der Text besage, "dass Amerika die zukünftige Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato unterstützt und anerkennt, dass unser Sicherheitsabkommen eine Brücke zur Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato ist."

Im Video: G7-Treffens mit Papst

Die großen Konflikte - natürlich auch ein Thema auf dem G7-Gipfel in Italien.
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Die großen Konflikte - natürlich auch ein Thema auf dem G7-Gipfel in Italien.

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