Hebel runterziehen. Sack mit Kleidung in den Schacht manövrieren. Hebel hoch. Der Sack plumpst in den Container. Sache erledigt. Doch was geschieht mit unserer Garderobe, nachdem wir sie in den Container geworfen haben?
Helmut Huber wühlt in einem Plastiksack voller Anziehsachen. Er leitet die Gebrauchtwaren- und Wertstoffabteilung des Roten Kreuzes in Nürnberg. Seit einem halben Jahrhundert beschäftigt ihn, wie alten Gegenständen ein neues Leben geschenkt werden kann. Auch an diesem Dienstag sortiert er wieder Altkleider. Neben ihm türmt sich bereits ein immenser Haufen aus Hosen, Kleidern, Pullovern und T-Shirts – kunterbunt durcheinander. Die Kleidung stammt aus Altkleidercontainern in Nürnberg. Dort landen weit größere Mengen, als Huber sie für den Laden des Roten Kreuzes ordnen kann. Nur rund 20 Prozent schaffen es auf seinen Sortiertisch.
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Jedes Jahr landen pro Person zwei Kilogramm mehr im Container
Nicht nur Nürnberg schwimmt in einem Überfluss von Kleiderware. Deutschlandweit sammeln sich in den letzten Jahren immer mehr ausrangierte Anziehsachen in Containern. Jedes Jahr mistet eine Deutsche oder ein Deutscher durchschnittlich zwei Kilogramm mehr aus. Laut Hochrechnungen werden es nächstes Jahr schon 17 Kilogramm Kleidungsstücke und Schuhe sein, deren wir uns im Container entledigen.
Für Huber bedeutet das: Aus den Klamottenbergen die besten Stücke herausfiltern. Er nennt sie die "Creme Ware". Findet er Löcher, Flecken oder andere Makel, wirft er die Sachen in eine Plastiktonne. Die beschädigten Kleidungsstücke werden zu Sortierbetrieben verfrachtet - wie auch der Großteil der Ware aus den Containern.
Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur von Altkleidern weltweit
Die Sortierbetriebe ordnen die Kleider nach über 100 Kriterien und verkaufen sie weiter. Laut Huber bleibt nur knapp ein Zehntel davon in Europa. Der Rest wird nach Afrika, Asien oder in den Nahen Osten verschifft. Das gilt wohl nicht nur für die Sortierbetriebe, mit denen das Rote Kreuz kooperiert. Denn: Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur von Altkleidern weltweit.
"Das meiste davon kann wieder getragen werden", sagt Huber über die Kleider, die das Rote Kreuz an Sortierbetriebe weitergibt. Problematisch sei die Billigware in schlechter Qualität. "Das geht nach ein paar Jahren in die Müllverbrennung." Zudem sind die Kleidermengen einfach sehr groß. Tatsächlich erwerben die Deutschen durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr – Unterwäsche und Socken ausgenommen.
Altkleider haben oft noch das Preisschild
Christie Jansen van Havighorst engagiert sich seit 13 Jahren ehrenamtlich bei einem Second-Hand-Laden von Oxfam in München. Sie macht ähnliche Beobachtungen: "Oft bringen Leute Kleidung sogar mit Preisschild dran. Das zeigt, wie viel Überfluss wir in der Gesellschaft haben."
In Oxfam hängen die Kleidungsstücke 14 Tage im Laden. Dann müssen sie neuen Stücken Platz machen. Oxfam übergibt die Ware an andere Second-Hand-Boutiquen, soziale Einrichtungen oder "Weiterverwerter". Sie verarbeiten Altkleider zu Putzlappen oder Malervlies.
Nur ein Prozent aller Altkleider werden recycelt
Aber: Die meisten Abnehmer können aus Altkleidern nur Produkte niedriger Qualität herstellen. Textilrecycling, bei dem aus einem alten T-Shirt ein neues entsteht, ist selten. Weltweit wird nur ein Prozent aller Altkleider recycelt. Der Großteil wird verbrannt.
Ein Problem beim Textilrecycling: Die Stoffe müssen zerkleinert und aufgetrennt werden. Dabei sinken die Faserlängen und ihre Qualität. "Damit habe ich nicht mehr die Stabilität und die Haltbarkeit, die eine normale Faser braucht", sagt Altkleiderexperte Helmut Huber vom Roten Kreuz.
Aus Hemdenstoff kann ein T-Shirt werden
In Augsburg arbeitet das Recycling-Atelier daran, solche Hürden zu überwinden. Hier versuchen Forschende der Technischen Hochschule und des Instituts für Textiltechnik Altkleider zu hochwertigen Produkten zu recyceln. Im Atelier drängen sich viele Maschinen auf engem Raum, surrend und brummend nebeneinander. Wer durch den Raum läuft, kann den Weg eines alten T-Shirts bis zum recycelten Garn verfolgen.
Stefan Schlichter, Koordinator des Ateliers, erklärt: "Es ist schwer, aus einem T-Shirt ein gutes T-Shirt zu machen, weil die Qualität unter dem Recyclingprozess leidet. Aber ich könnte aus einem Hemdenstoff ein super T-Shirt machen, weil das ein höherwertiges Garn ist."
Fasern müssen Stabilität bekommen
Schlichter zeigt, wie das Recycling im Atelier funktioniert. Er schüttet Kleiderfetzen in eine Maschine, die aus Stoffstücken Fasern walzt. Auf der anderen Seite ergießen sich aus einem Schacht wollartige Knäuel in einen Behälter. Die Stoffstücke sind jetzt in ihre Einzelfasern geteilt.
Die einzelnen Materialien lassen sich daraus kaum rückgewinnen, erklärt Schlichter. "Wir nehmen die Mischungen, wie sie sind, und machen daraus etwas Neues." Für mehr Stabilität mengt Schlichter frisches Material zu den recycelten Fasern. In diesem Falle 35 Prozent Polyester. Aus der Mischung spinnt eine weitere Maschine ein Garn. Daraus lässt sich dann ein neues Kleidungsstück stricken.
Fast-Fashion-Fasern haben meist geringe Qualität
Wie viel frisches Material untergemischt wird, hängt von der Qualität der recycelten Faser ab. Bei vielen Fast-Fashion-Klamotten hat die daraus gewonnene Faser eine geringe Qualität. "Da muss stärker gemischt werden", sagt Schlichter. Das bedeutet: Es braucht mehr neuwertiges Material in Form von Baumwolle, Polyester oder Elastan.
Firmen verwenden so gut wie keine recycelten Stoffe
Bislang gibt es kaum Betriebe, die Altkleider recyceln. Schlichter sagt, es gebe ein enormes Potenzial, Rohstoffe aus alten Kleidungsstücken zu gewinnen. Dennoch betont er, dem Recycling sei ein verantwortlicher Umgang mit Ressourcen vorzuziehen: "Wir müssen fragen, ob wirklich die Vielfalt und Menge an Textilien notwendig ist."
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