Till Steffen sitzt bei einer Tasse Tee. Aber so ganz entspannt ist der Hamburger Grünen-Abgeordnete dann doch nicht: "Ich bin schon aufgeregt", sagt Steffen im Interview mit BR24. "Wir haben sehr viel Energie in dieses Vorhaben gesteckt." Steffen hat mit seinen Kollegen von SPD und FDP das neue Wahlrecht ausgearbeitet.
Damit der Bundestag wieder kleiner wird, sollen Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen. In den Bundestag ziehen nur noch Wahlkreisgewinner ein, die dafür ausreichend viele Stimmen ihrer Partei mitbringen. Im Gesetz heißt das: Zweitstimmendeckung.
Ein Beispiel: Wenn in einem Bundesland zum Beispiel 40 Kandidaten über die Erststimme ihren Wahlkreis gewinnen, ihre Partei aber nur die Zweitstimmen für 30 Wahlkreise hat, bleiben die zehn Kandidaten mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis in einem Bundesland draußen. Das wären vermutlich vor allem Kandidaten in den Großstädten, denn hier ist das Rennen zwischen den Parteien besonders eng.
CSU: Bestätigung des Wahlrechts "nicht vorstellbar"
Alexander Dobrindt kann darüber nur den Kopf schütteln: Ein Sieger im Wahlkreis, der trotzdem nicht in den Bundestag einzieht? "Es ist überhaupt nicht vorstellbar, dass das Bundesverfassungsgericht sowas durchlaufen lässt", so der CSU-Landesgruppenchef zu BR24. Mit anderen Abgeordneten der Unionsfraktion will er das neue Wahlrecht in Karlsruhe zu Fall bringen. Zudem klagt die bayerische Staatsregierung, Abgeordnete der Partei "Die Linke" und der Verein "Mehr Demokratie", der mehr als 4.000 Privatpersonen vertritt.
Dobrindt spricht immer wieder von "Wahlrechtsmanipulation". Der Ampel geht es nach seinen Worten nur um Machterhalt. Noch profitiert die CSU von einer Ausnahme im Wahlrecht. Denn drei Überhangmandate werden laut einer früheren Wahlrechtsreform der damaligen Großen Koalition nicht bei anderen Parteien ausgeglichen. Davon profitiert aktuell die CSU. Damit wäre es vorbei, wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz bestätigt.
Knackpunkt: Grundmandatsklausel
Dobrindts weiterer Kritikpunkt: Die Abschaffung der Grundmandatsklausel. Sie hat zuletzt der Partei "Die Linke" das politische Überleben gesichert. Sie landete bei der vergangenen Bundestagswahl unter fünf Prozent. Weil drei ihrer Kandidaten ihre Wahlkreise aber direkt gewonnen hatten (in Leipzig und Berlin), durfte die Partei in den Bundestag einziehen.
Die CSU erreichte bei der letzten Wahl bundesweit gerechnet 5,2 Prozent der Stimmen. Sollte sie künftig unter fünf Prozent landen, wäre sie nicht mehr im Parlament. Auch wenn sie fast alle Wahlkreise in Bayern gewinnen sollte wie 2021. Landesgruppenchef Dobrindt sieht darin "eine grobe Missachtung des Wählerwillens". Die Rolle der Regionen müsse sich auch im Wahlrecht zeigen und die Grundmandatsklausel bleiben.
Der Grünen-Rechtspolitiker Steffen widerspricht. Die Grundmandatsklausel sei nie eine Föderalklausel gewesen. Das zeige sich bei der Linken. Durch direkt gewählte Abgeordnete in Sachsen und Berlin sitzen auch Linken-Abgeordnete aus ganz anderen Bundesländern im Parlament.
Wann entscheidet das Bundesverfassungsgericht?
Argumente wie diese werden heute und morgen in Karlsruhe ausgetauscht. Manche sprechen von der wichtigsten Verhandlung des Jahres. Wann die Richterinnen und Richter entscheiden, ist noch offen. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt hofft, dass es schnell geht. Denn die Parteien müssen sich jetzt auf die nächste Bundestagswahl vorbereiten. Die Aufstellung der Wahllisten hat teilweise schon begonnen.
Till Steffen von den Grünen sieht das entspannter. Wenn das Verfassungsgericht in wenigen Monaten entscheidet, bleibt nach seinen Worten noch genug Zeit, um im Fall der Fälle Änderungen vorzunehmen. Das sei von der Ampel von vornherein so kalkuliert worden.
Einig sind sich Steffen und Dobrindt nur in einem: Beide sind zuversichtlich, bei der Verhandlung in Karlsruhe gute Argumente auf ihrer Seite zu haben.
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