Ein Hand greift nach Stimmzetteln.
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Kurz vor der Wahl fällt der Blick häufiger auf die Ergebnisse der Wahlumfragen.

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Wahlumfragen: Was sie leisten können – und was nicht

Wahlumfragen: Was sie leisten können – und was nicht

Wie ernst kann man Wahlumfragen nehmen? Die BR24-Community diskutiert, was sie wirklich aussagen und was sie bewirken können. "Dein Argument" erklärt, warum sie kein Blick in die Zukunft sind.

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💬 "Dein Argument" greift Euren Input auf: Kommentare aus der BR24-Community sind Anlass für diesen Beitrag. 💬

Am vergangenen Donnerstag erschien der letzte ARD-DeutschlandTrend vor der Bundestagswahl. Wer versucht, aus Umfragen wie dieser das bevorstehende Ergebnis vorherzusehen, den müssen wir an dieser Stelle enttäuschen. Was Wahlumfragen aussagen: Wir beantworten Eure Fragen.

Warum können Umfrageergebnisse voneinander abweichen?

Unterschiede bei den Umfrageergebnissen beobachtet BR24-User "Joe_Ammersee": "[…] Das, was man vorgesetzt bekommt, muss man da nicht unbedingt nehmen. Riesen Unterschiede gibt es aber auch nicht."

Je nach Befragungszeitraum und Stichprobenzusammensetzung können Umfrageergebnisse voneinander abweichen. "Wahlumfragen von unterschiedlichen Umfrageinstituten sind nur bedingt vergleichbar", sagt auch Ingo Rohlfing, Professor am Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung der Universität Passau.

Die Art und Weise, wie die Daten erhoben und bearbeitet werden, sei nicht dieselbe. Zum Beispiel würden die erhobenen Daten nach unterschiedlichen Kriterien gewichtet. Sie basieren auf Erfahrungswerten oder Annahmen der Institute darüber, wer in der Stichprobe womöglich über- und unterrepräsentiert ist, sagt Rohlfing. So können etwa in einer Befragung Jüngere überrepräsentiert sein, in einer anderen Ältere. Das gleichen die Institute dann mit unterschiedlichen Methoden aus.

Warum können Umfrageergebnisse über die Zeit verglichen werden?

Die Befragung eines sogenannten Panels – also der immer gleichen Menschen über eine längere Zeit hinweg – stellt eine sehr gute Vergleichbarkeit her. Das wird häufig für komplexe sozialwissenschaftliche Fragestellungen angewandt. "Panel-Analysen haben einen gewissen Vorteil, dass man die Veränderung auch individuell anschauen kann", sagt Statistiker Helmut Küchenhoff dazu.

Bei den Wahlumfragen der Institute ist die Zusammensetzung der Stichprobe von Befragung zu Befragung verschieden. Die Stichproben werden jedoch immer für die gleiche Grundgesamtheit (also die Wählerschaft) repräsentativ – deshalb sind auch hier Vergleiche über die Zeit möglich. Dabei ist es laut Helmut Küchenhoff sehr wichtig, dass die Fragen immer dieselben sind. Dann könne man auch anhand von einzelnen Stichproben-Erhebungen mit den korrekten statistischen Methoden generelle Trends berechnen.

Warum es (auch) auf die Fragen ankommt?

Hinzu kommt, die Formulierung einer Frage kann das Ergebnis stark beeinflussen. Ein Beispiel: "Welches ist Ihrer Meinung nach das wichtigste politische Problem, um das sich die deutsche Politik vordringlich kümmern muss?" und "Welches ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Problem in Ihrem Leben, um das sich die deutsche Politik vordringlich kümmern muss?" "Das ist natürlich etwas völlig anderes", erklärt Küchenhoff.

Bei Umfragen mit Antwortvorgaben ("Ich nenne Ihnen 10 Themen, und Sie sagen mir, was für Sie das Wichtigste ist") fällt das Ergebnis anders aus als bei einer freien Frage ("Was ist für Sie das wichtigste Thema?"). Im ersten Fall werden eher von außen (etwa über die Medien) wahrgenommene Themen genannt. Der zweite Fall zwingt mehr zum Nachdenken; die eigene Betroffenheit spielt eine größere Rolle.

Auch die Reihenfolge, in der Fragen gestellt werden, könne das Ergebnis maßgeblich verändern. Helmut Küchenhoff nennt ein prominentes Beispiel aus der Umfrageforschung: Die Antworten auf die Frage, "Sollen Zölle auf Produkte eines bestimmten Landes erhoben werden?" fallen anders aus, wenn die Befragten zuvor erfahren haben, dass das betreffende Land Zölle auf die Produkte des eigenen Landes erhebt.

Welche Auswirkungen haben Umfrageergebnisse auf politische (Wahl-)Entscheidungen?

User "Arancia" kommentierte kürzlich noch: "[…]wie stark tragen Umfragen selbst zu politischen Entscheidung bei?"

Empiriker Rohlfing erklärt: "Wahlumfragen können durchaus Einfluss haben auf die Wahl." Eine aktuelle Studie der Universität Potsdam und der Universität Wien (externer Link), untersucht zum Beispiel den Einfluss der Sonntagsfrage auf Wahlergebnisse. Laut der Studie gibt es Hinweise, dass es für Parteien, die in Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde lagen, aber nicht unter Sonstige zusammengefasst werden, geringere Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen.

"Die Vermutung ist, dass Wählerinnen und Wähler sich von der Wahlumfrage leiten lassen und lieber für eine Partei stimmen, für die der Einzug in den Bundestag wahrscheinlich oder gesichert ist", erklärt Rohlfing.

Weitere Theorien (externer Link), die den Einfluss von Wahlumfragen auf das Wahlverhalten beschreiben, sind der Bandwagon-Effekt, auch Mitläufer-Effekt genannt, und der Underdog- oder Außenseiter-Effekt. Der Bandwagon-Effekt besagt, dass die Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer einer Partei zunimmt, wenn sie in Umfragen erfolgreich sind. Beim Underdog-Effekt ist es genau andersherum: Demnach unterstützen die Wählerinnen und Wähler eher die scheinbar verlierenden Parteien, beispielsweise aus Mitleid oder Trotz. Ob diese Theorien bei Wahlen aber tatsächlich zutreffen, wird von einigen Wissenschaftlern auch angezweifelt (externer Link).

In jedem Fall gilt: "Umfrageergebnisse sind für Bürgerinnen und Bürger die einzige Möglichkeit zu erkennen, welche Chancen oder möglichen Einfluss ihre Stimme hat." Das sagt Ulrich Eith, Professor am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg. "Und das ermöglicht natürlich dann strategisches Wählen."

Warum weichen Wahlumfragen von den Wahlergebnissen ab?

"Politische Meinungsumfragen sind Stimmungsbilder zu einem bestimmten Zeitpunkt. Diese können sich jederzeit zum Beispiel durch Ereignisse ändern. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig die Stimmung abzufragen", sagt BR-Journalist und Wahlexperte Andreas Bachmann.

Auch Roberto Heinrich, der für die Wahlforschungsgesellschaft Infratest Dimap den ARD-DeutschlandTrend betreut, erklärt: Die Sonntagsfrage zur Bundestagswahl misst aktuelle Parteipräferenzen und kein tatsächliches Wahlverhalten.

Wichtig dabei: Die Gruppe der Unentschlossenen. "Ein bestimmter Anteil von Wahlberechtigten ist sich eben noch nicht sicher, ob er die Partei wirklich wählt", sagt Heinrich. Viele Wähler legen sich kurzfristig vor einer Wahl fest. Der Anteil der Wahlberechtigten, die eine feste Parteibindung haben und sozusagen auch aus Loyalität wählen, werde seit Jahrzehnten weniger.

Die Sonntagsfrage ermittelt einen Zwischenstand im Meinungsbildungsprozess der Wahlbevölkerung, der erst am Wahlsonntag final abgeschlossen ist. Je näher die Wahl rückt, desto belastbarer seien allerdings die Ergebnisse, so Heinrich.

Hinzu kommt laut Heinrich, dass die Gruppe der Nicht-Wählerinnen und -Wähler nicht adäquat abgebildet werden kann. Es gebe Leute, die bei der Befragung sagen, dass sie zur Wahl gehen, weil sie wissen, dass diese Antwort der sozialen Norm entspricht. Und am Wahltag bleiben sie dann doch zu Hause.

Warum Wahlumfragen trotz aller Einschränkungen nützlich sind

"Bürgerinnen und Bürger können sich durch diese Umfragen mit ihrer eigenen Positionierung, mit ihren eigenen politischen Interessen und Vorstellungen und Wünschen in der Gesellschaft verorten", erklärt Politikwissenschaftler Ulrich Eith.

Auch für Journalistinnen und Journalisten geben die Ergebnisse Orientierung: "So können wir auch feststellen, ob wir in unserer Berichterstattung nachjustieren müssen, ob beispielsweise ein Thema die Menschen bewegt, das wir bisher nicht so auf dem Schirm hatten", sagt Andreas Bachmann vom BR.

Wichtig sei, so Experte Ulrich Eith: Die Umfragedaten nicht als endgültige Wahrheit nehmen, sondern immer versuchen, über die Methoden und die Hintergründe einer Umfrage einzuordnen. Entscheidende Punkte dabei sind für Eith: Ist die Quelle vertrauenswürdig? Mit welcher Methodik erhebt das entsprechende Institut – zum Beispiel Online oder Telefon? Passt die Größe der Stichprobe zu der Feinheit der abgebildeten Gruppe? Wie groß ist das Konfidenzintervall, welche Schwankungsbreite ist möglich?

💡 Sophie Menner und Claudia Kohler analysieren für BR24 TV, Radio und hier im Digitalen Daten – mit dem Fokus auf Bayern. Die Recherchen beleuchten datengestützt aktuelle Themen und deren Hintergründe und Zusammenhänge. Eine Kooperation mit der Tageszeitung Main-Post ist preisgekrönt. Haben Sie ein Thema, auf das wir mit der Datenbrille schauen sollen? Schreiben Sie uns: br24.feedback@br.de, Stichwort: Datenthema

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