Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, drängt auf eine Wehrerfassung für den Dienst in den Streitkräften. Es sei "dringend erforderlich", die im Wehrpflichtgesetz verankerte Erfassung unabhängig vom Spannungs- und Verteidigungsfall zu reaktivieren, schreibt die SPD-Politikerin in ihrem neuen Jahresbericht. "Ein Land, das auf einen möglichen Angriff mit einer hervorragend ausgebildeten und ausgestatteten Armee antworten könnte, schreckt potenzielle Aggressoren ab."
"Dem ursprünglich bis zum Jahr 2025 gesteckten, jedoch später zeitlich angepassten Ziel, eine Personalstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahr 2031 zu erreichen, ist die Bundeswehr im Berichtsjahr erneut nicht nähergekommen", stellt Högl fest. Die Zahl der Männer und Frauen in der Bundeswehr sei auf 181.174 sogar leicht gesunken.
Högl: Neuer Bundestag soll zügig entscheiden
Högl unterstützt das bisher nicht umgesetzte Konzept von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Es sieht vor, dass Männer im wehrfähigen Alter angeschrieben werden und antworten müssen. Frauen müssen das nicht tun. Parallel setzt sich Högl für ein gesellschaftliches Pflichtjahr für Frauen und Männer ein, das auch bei der Bundeswehr geleistet werden kann. "Der nächste Bundestag sollte das Thema – die Einführung eines neuen Wehrdienstes sowie die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres – zügig diskutieren und Entscheidungen treffen."
Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Damit fielen Wehrerfassung, Musterung und die 52 Kreiswehrersatzämter weg. Angesichts der veränderten Weltlage wird in Deutschland auch diskutiert, ob die Wehrpflicht reaktiviert werden sollte – das ginge über Pistorius' Vorschlag hinaus. Högl ist dagegen, es gebe aktuell nicht genügend Stuben sowie Ausbilderinnen und Ausbilder.
Bundeswehrverband fordert "Ruck durch Deutschland"
Der Deutsche Bundeswehrverband hatte bereits kurz vor der Vorstellung des Wehrberichts mehr Anstrengungen zur Personalgewinnung bei der Bundeswehr gefordert. "Jetzt muss ein Ruck durch Deutschland gehen, was die Verteidigungsfähigkeit anbelangt", sagte der Verbandsvorsitzende André Wüstner am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". Dazu zähle neben einem schnelleren Aufbau der Infrastruktur und einer schnelleren Materialbeschaffung vor allem eine bessere Personalgewinnung.
Die Bundeswehr schrumpfe weiter und sei überaltert, betonte Wüstner. Allein beim Heer müssten in den kommenden Jahren 40.000 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich gewonnen werden. Deshalb müsse man über das Thema Wehrpflicht sprechen. Zudem müsse der Dienst attraktiver werden. "Dazu braucht es ein eigenes Besoldungsrecht, andere Laufbahnmodelle, andere Perspektiven – um auch die Profis, die Spezialisten gewinnen und binden zu können."
Wehrbericht: Es fehlen auch Ausrüstung und Infrastruktur
Neben dem Personal mangelt es dem neuen Wehrbericht zufolge auch an Ausrüstung und Waffen. Das sei nur teilweise auf die Lieferungen an die Ukraine zurückzuführen. Auch bei der Infrastruktur geben es große Investitions-Lücken: "Daher befinden sich Kasernen und Liegenschaften immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand." Allein im Bereich der Infrastruktur lag der Gesamtinvestitionsbedarf demnach Ende 2024 bei rund 67 Milliarden Euro.
Högl sieht zwar, dass es "überall (...) endlich Bewegung" gebe. Die Bundeswehr erhalte mehr Geld und Waffen, es gebe Initiativen zur Personalgewinnung und Strukturreformen. Die Ergebnisse seien "jedoch (noch) nicht überall sichtbar, spürbar oder messbar." Högl vergleicht die Bundeswehr mit einem Tankschiff, das lange zum Kurswechsel braucht. "Zeit, die wir nicht haben", mahnt sie.
Högl berichtet von rechtsextremistischen Vorfällen
Högl berichtet in ihrer Jahresbilanz auch von rechtsextremistischen Vorfällen bei der Truppe, die aber nur "eine kleine Minderheit" der Soldatinnen und Soldaten betreffe. So habe es "diverse" Vorfälle gegeben, bei denen Soldatinnen und Soldaten das umgedichtete Lied "L'amour toujours" mit der Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gesungen hätten.
Die Bundeswehr ist dagegen laut Högl mit Disziplinarmaßnahmen wie Geldbußen bis zu Entlassungen vorgegangen. Zudem werden im Bericht einzelne Vorfälle von Bundeswehrangehörigen aufgeführt, die den Hitlergruß zeigten. Insgesamt gab es 275 sogenannte meldepflichtige Ereignisse im Bereich Extremismus, in der überwiegenden Zahl ging es demnach um Rechtsextremismus. Im Jahr zuvor waren es 204 Fälle.
Die Wehrbeauftragte unterstützt den Bundestag bei der Kontrolle der Bundeswehr. Sie fungiert zugleich als Ansprechpartnerin für die Soldaten und Soldatinnen – und kümmert sich darum, dass deren Grundrechte gewahrt werden. Högls fünfjährige Amtszeit endet in diesem Mai.
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Mit Informationen von dpa, Reuters, epd und AFP
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