Dieser Auftritt hatte Björn Höcke viel Aufmerksamkeit beschert: Im November 2015 spricht der Thüringer Parteivorsitzende auf einem Treffen des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen Instituts für Staatspolitik auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Der Titel: "Ansturm auf Europa". Mit Anzug und roter Krawatte doziert er am Rednerpult vor den Anhängern der "Neuen Rechten" über den Unterschied zwischen Afrikanern und Europäern.
Höcke, der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft wird, erklärt damals: "Die Evolution hat Afrika und Europa, vereinfacht gesagt, zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert." In Afrika sei der "Ausbreitungstyp", in Europa der "Platzhaltertyp" ausgeprägt. Europa nehme den "Bevölkerungsüberschuss Afrikas" auf, warnte der Rechtsaußen damals. Für seine rassistische Äußerung wurde Höcke damals stark kritisiert.
So buhlen führende AfDler um Migranten
Heute, neun Jahre nach Höckes Rasseneinteilung, buhlt die Partei auch um Migranten. Vor allem auf Social Media: In Videobotschaften wird gezielt um Wähler mit Migrationshintergrund geworben. Auf TikTok tönte etwa der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah Anfang des Jahres: "Türken in Deutschland sollten AfD wählen!" Laut Krah gäbe es viele Übereinstimmungen zwischen konservativen Türken und der AfD: Kein Einfluss der LGBTQ-Bewegung in der Erziehung, das Bewahren eines traditionellen Familienbildes und eine industriefreundliche Wirtschaftspolitik.
Auch Co-Parteichef Tino Chrupalla wird nicht müde, die AfD als weltoffen darzustellen. Zuwanderer aus dem europäischen Raum seien "herzlich willkommen", sofern sie Deutsch lernten, sagte Chrupalla jüngst in der Talkshow "Caren Miosga".
Warum die AfD vor Migranten warnt
Doch die Botschaften der AfD scheinen widersprüchlich: Auf der einen Seite zeigt sich die Partei offen für Migranten, auf der anderen Seite äußern sich AfD-Spitzenvertreter weiter abstrus zur Migrationspolitik. Auch Björn Höcke: Im aktuellen Wahlkampf in Thüringen spricht er bei einer Veranstaltung in der Stadt Schleiz in Südthüringen von einer "Umvolkung": Die "Herrschenden, die Kartellparteien" machten sich gerade ein neues Volk. "200.000 Einbürgerungen im letzten Jahr und in diesem Jahr sollen es noch mehr werden, und die stärksten sind die Syrer", geifert Höcke und jammert: "Aber von Umvolkung dürfen wir ja nicht reden."
Sozialwissenschaftler: Bei U20-Jährigen etwa 52 Prozent mit Migrationsgeschichte
Das neue Werben um Migranten kommt für Experten nicht überraschend. Sozialwissenschaftler Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität sieht im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "report München" eine neue Strategie der AfD:
"Seit dem letzten Sommer hat die AfD angefangen, aktiv um migrantische Stimmen zu werben, vor allen Dingen auf Social Media. Das ist naheliegend, weil bei den unter 20-Jährigen haben wir etwa 52 Prozent mit Migrationsgeschichte in diesem Land. Da ist es logisch, dass Parteien um diese jungen Menschen werben."
Teil dieser Werbeoffensive der AfD gegenüber Migranten sind auch Influencer, die selbst Migrationshintergrund haben und AfD-Positionen propagieren. Serge Menga, Feroz Khan oder Yunus Celep – sie und andere Influencer mit ausländischen Wurzeln sprechen sich auf TikTok, Youtube oder Instagram vor ihren Landsleuten für die AfD aus. Mitglied der Partei sind sie mehrheitlich jedoch nicht.
Migrantische Influencer machen Werbung für die AfD
Experte Özvatan sieht auch darin einen Teil der AfD-Strategie: "Influencer, die als freie Bürger erscheinen, aber in ihren Inhalten die Programmatik der AfD verbreiten, sind dann meistens Vertreter bestimmter migrantischen Communitys. Sie sollen vor allen Dingen die eigene Community ansprechen und versuchen, für die AfD zu mobilisieren, ohne selbst AfD-Mandatsträger zu sein."
Auf der einen Seite wirbt die AfD unter Migranten, auf der anderen Seite machen manche Mitglieder unverhohlen Stimmung gegen Zuwanderer – wie etwa die ausländerfeindlichen Gesänge am Rande des AfD Parteitags in Greding. Dort grölten mehrere Mitglieder in einer Disko "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!"
Verfassungsschutz: AfD-Abgeordneter spricht von "Passdeutschen"
Das Volksverständnis der AfD ist für den Verfassungsschutz ein wesentlicher Grund für die Beobachtung der Gesamtpartei als Verdachtsfall. Auf Anfrage von "report München" weist das Bundesamt für Verfassungsschutz darauf hin: "In Verlautbarungen der AfD und ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten kommt vielfach ein völkisch-abstammungsmäßig geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, das im Widerspruch zum Volksverständnis des Grundgesetzes steht."
So habe etwa ein Bundesabgeordneter in dem Zusammenhang Deutsche mit Migrationshintergrund als "Passdeutsche" bezeichnet. Darüber hinaus warnen die Verfassungsschützer vor rechtsextremistischen und verschwörungstheoretischen Narrativen der AfD, in denen vor einem politisch forcierten Verdrängungsprozess zulasten ethnischer Deutscher gewarnt wird. In einem Facebook-Eintrag vom Juni 2023 habe die AfD beispielsweise eine „Karte des Schreckens“ veröffentlicht, die anhand einer demografischen Übersicht zeigen sollte, wie „überfremdet (…) Deutschland bereits“ sei, so der Verfassungsschutz.
Höcke: Gut integrierte Migranten "dürfen uns ruhig wählen"
Für Sozialforscher Özvatan habe die AfD ihre Strategie geändert, um neues Wählerpotenzial zu erschließen: "Umfragen zeigen, dass die AfD bei nichtmigrantischen Menschen nur 20 bis 25 Prozent holen können. Jenseits davon müssen sie natürlich, wenn sie irgendwann Volkspartei werden möchten, auf 30 Prozent kommen. Und das können sie nicht ohne Menschen mit Migrationsgeschichte."
Auf Nachfrage von "report München" räumt Höcke am Ende der Wahlkampfveranstaltung in Schleiz ein: "Es gibt sehr gut integrierte, sehr fleißige Migranten. Die dürfen uns ruhig wählen."
Doch sind sie auch in der Partei willkommen? Nachfragen dazu hat er nicht beantworten wollen.
Zum Audio: Wie die AfD Migranten ködert - zwischen rassistischen Remigrationsplänen und Anbiederung
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