Während des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan beschäftigte das Kommando Spezialkräfte (KSK) einen Mann, vor dem mehrere Geheimdienste warnten. Das geht aus internen Unterlagen aus dem Verteidigungsministerium und weiteren Dokumenten hervor, die BR Recherche vorliegen. Der Mann arbeitete als Sicherheitsberater für das KSK, obwohl er auf einer Sperrliste mit potenziell gefährlichen Personen stand – und ihm ein Arbeitsverhältnis mit den westlichen Verbündeten verboten war. In einem internen Vermerk des Ministeriums werden "Bezüge zum Terrorismus" festgestellt.
Heute lebt der Mann in Norddeutschland. Er nannte sich unter anderem Mohammed A., in seinem Leben agierte er mit verschiedenen Identitäten. Auf Anfrage erklärte er sich zu einem Gespräch mit BR-Reportern bereit. Rückblickend auf seine Tätigkeit für das KSK sagte er, er sei dessen "Augen und Ohren" gewesen. Er habe übersetzt und Einschätzungen zur Sicherheitslage abgegeben.
A. sei, so sagt er es, mehrfach mit KSK-Soldaten ins streng bewachte Feldlager der Bundeswehr in Masar-i-Sharif gefahren. Nach BR-Recherchen hatte es dort tägliche biometrische Zugangskontrollen gegeben. "Ich bin auch nicht durch das ganz normale Tor reingekommen, sondern mit gepanzerten Autos, im Konvoi", sagte A.. Damit missachtete das KSK offenbar Sicherheitsvorkehrungen der internationalen Schutztruppe für Afghanistan.
Im Zuge der chaotischen Evakuierungsmission aus Afghanistan brachte die Bundeswehr den Mann nach Deutschland. Das Auswärtige Amt hatte ihn kurzfristig auf eine Evakuierungsliste gesetzt und am 17. August 2021 aus Kabul ausgeflogen. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hatte zuvor mehrfach vor A. gewarnt, auch an jenem Tag. Demnach lägen Sicherheitsbedenken bei dem Mann vor, die gegen eine Einreise in die Bundesrepublik sprächen. Das Auswärtige Amt gab auf BR-Anfrage an, dass Sicherheitsüberprüfungen der evakuierten Personen aufgrund der "äußerst angespannten und unübersichtlichen Lage" erst in Deutschland erfolgten. Die Bundespolizei und das Innenministerium wollten sich zu dem Vorgang nicht äußern.
Rolle des KSK "unklar"
Dem BR sagte A., er habe Racheakte der Taliban gefürchtet. In den Wochen vor der Evakuierung hatte das Verteidigungsministerium eine Einreise des Mannes verhindern wollen. In einem internen Vermerk für die Leitungsebene des Verteidigungsministeriums aus dem Oktober 2021 steht, die "Rolle des KSK" sei in diesem Fall "unklar". Die Ministeriumsmitarbeiter gehen davon aus, dass seine frühere Arbeit für das KSK geholfen haben könnte, "Zutritt zum Flughafen und zum Evakuierungsflugzeug" zu erhalten.
Mohammed A. hatte sich bereits als junger Mann in Deutschland aufgehalten. Er beging mehrere Straftaten. Gerichte verurteilten ihn etwa wegen schwerer räuberischer Erpressung und bewaffnetem Diebstahl. Nach kurzer Haft schoben die Behörden ihn 2006 nach Afghanistan ab. Im Jahr 2008 stellte die Bundeswehr ihn als Übersetzer ein. Dabei verschwieg A., dass er jahrelang in Deutschland gelebt hatte. Das geht aus Daten hervor, die der MAD damals von ihm speicherte. A. sagte dem BR, dass er seine Taten bereue und dafür bezahlt habe.
Im November 2011 führten Ermittlungen des MAD zu "sicherheitserheblichen Erkenntnissen". Daraufhin entließ die Bundeswehr A. fristlos und schrieb ihn auf die Sperrliste der Internationalen Schutztruppe ISAF. Sie stufte A. als "potenzielle Gefahr" ein. Damit gingen die Auflagen "kein Zutritt zu Liegenschaften, kein Arbeitsverhältnis bei ISAF, disqualifiziert für Ausbildung für Armee und Polizei" einher.
Verfassungsschutz informierte MAD
Nach einem gescheiterten Versuch, ein Visum für Deutschland zu erhalten, soll A. am 23. Dezember 2014 gegenüber "einem SPRINGER-Verlagsangehörigen eine telefonische Drohung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland" ausgesprochen haben. So steht es in dem Vermerk des Verteidigungsministeriums.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz erfuhr von dem Gespräch – unklar ist, woher. Die Verfassungsschützer informierten den MAD. Dieser leitete die Information an die Bundeswehr in Afghanistan weiter. In einem Bericht warnte der Militärgeheimdienst "vor einer möglichen Gefährdung deutscher Einrichtungen in Afghanistan durch A.".
Dem BR sagte A., er habe damals mit einer Journalistin der "Bild"-Zeitung telefoniert. Ihr habe er gesagt, er habe viele Angebote von den Taliban bekommen. "Wenn ich für die andere Seite gearbeitet hätte, hätte es so knallen können, dass die Heide wackelt." Er habe diese Angebote allerdings abgelehnt.
Im März 2015 erreichte die Bundeswehr eine weitere, konkretere Warnung. Der afghanische Inlandsgeheimdienst sendete den Hinweis, A. "plane, gemeinsam mit den Taliban einen Anschlag gegen die deutsche Botschaft in Kabul" oder andere deutsche Ziele zu verüben. A. sagte dem BR: "Davon habe ich keine Ahnung." Er habe erst durch die BR-Reporter von dem Vorwurf erfahren. "Wenn es so gewesen wäre, warum hat man mich nicht verhaftet?"
KSK engagierte Sicherheitsberater trotz Warnungen
Trotz des Eintrags auf der Sperrliste und der Warnungen von Verfassungsschutz, MAD und dem afghanischen Geheimdienst arbeitete A. einige Jahre später wieder für die Deutschen: Das KSK engagierte den Mann 2018 für einige Monate als Berater. 2021 beschäftigte ihn die Elitetruppe erneut. Der letzte Vertrag liegt dem BR vor. Demnach erhielt der Afghane unter anderem für "Beratungen zur aktuellen Sicherheitslage" insgesamt 10.000 Dollar Honorar für knapp zweieinhalb Monate.
In dem Vermerk aus dem Verteidigungsministerium halten die Mitarbeiter fest, dass das KSK keine Überprüfung des Mannes durch den MAD beantragt und dessen Tätigkeit nicht angezeigt habe. Es sei davon auszugehen, dass dem KSK im Zuge der Weiterbeschäftigung die persönlichen Hintergründe von A. bekannt gewesen seien. "Die derzeit noch unklare Rolle des KSK hat aus hiesiger Sicht Leitungsrelevanz." Das Dokument wurde an die Spitze des Ministeriums geschickt. Das Verteidigungsministerium ließ Fragen des BR zu dem Fall unbeantwortet. Das Kommando Spezialkräfte wollte sich auf Anfrage zu den Vorwürfen nicht äußern.
Nun beschäftigt der Fall den Afghanistan-Untersuchungsausschuss. Clara Bünger (Die Linke), sagte dem BR zum Vorgehen des KSK: "Es verwundert mich, dass er trotz Sperre einen Vertrag erhalten hat vom KSK. Das macht deutlich, dass sich das KSK in dem Zeitraum nicht an bestimmte Regeln gehalten hat." Thomas Röwekamp (CDU) sagte dem BR: "Es ist wohl ein Fehler des KSK gewesen. Das sieht man auch an Reaktionen des Verteidigungsministeriums. Das hätte nicht geschehen dürfen."
Kurz nach der Ankunft in Deutschland soll ein Soldat des KSK Mohammed A. dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Informanten angeboten haben. Der Verfassungsschutz allerdings beschäftigte sich auf andere Art mit A.: Am 16. September 2021 besprachen mehrere Sicherheitsbehörden den Fall im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum. Die Behörden protokollierten, dass der polizeiliche Staatsschutz für A. zuständig ist. Dem BR sagte A., er sei keine Gefahr. Der Staatsschutz stuft ihn nach Informationen des BR nicht als Gefährder ein – hat ihn allerdings bis heute auf dem Schirm.