In bundesweiten Umfragen steht die AfD konstant bei um die 20 Prozent. Dieses Jahr stehen drei Landtagswahlen an: in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen könnte die AfD laut Umfragen stärkste Kraft werden.
Zugleich ist die Partei in Teilen rechtsextrem, mehrere Landesverbände als auch die Jugendorganisation wurden von Verfassungsschutzämtern so eingestuft. Womöglich könnte demnächst die gesamte Partei als "gesichert extremistische Bestrebung" eingestuft werden.
Dass eine Partei mit dieser Ausrichtung so stark ist, ist ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Seit elf Jahren gibt es die AfD inzwischen - und fast genauso lang gibt es schon eine Diskussion darüber, wie Medien über die Partei berichten sollten.
Experten sehen drei Phasen in der Berichterstattung über die AfD
"Ich beobachte seit Gründung der AfD drei Phasen des journalistischen Umgangs mit dieser Partei", sagte Johannes Hillje. Er ist Politik- und Kommunikationsberater und beschäftigt sich seit Jahren damit, wie Medienschaffende über die Partei berichten. "Die erste Phase ist die Phase der medialen Verstärkung der rechtspopulistischen Rhetorik und Personen." Diese habe auf einem "aufmerksamkeitsökonomischen Tauschgeschäft von Provokation gegen Publizität" beruht. Heißt: Artikel über steile Thesen oder Forderungen sorgten für hohe Klickzahlen. Diese erste Phase habe bis zum Einzug der AfD in den Bundestag gedauert.
Die zweite Phase war laut Hillje mehr von journalistischer Verantwortung geprägt. "Da hat man nicht mehr jede Provokation mit einem klickfähigen Artikel belohnt, sondern es wurde durchaus weniger und auch kritischer über die AfD berichtet". Die aktuelle Lage - hohe Umfragewerte und die Aussicht auf Siege bei den Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern - ist für den Politikberater eine dritte Phase. "Nun wird die AfD wieder öfter eingeladen und dabei werden alte Fehler gemacht." Hillje bemängelt vor allem die Qualität der Interviewführung. Es seien teilweise Journalisten mit der Partei betraut, "die vielleicht noch gar nicht so viel Erfahrung mit der Partei haben".
Expertin: Andere Behandlung wegen hoher Umfragewerte
Ann-Kathrin Müller, die für den "Spiegel" über die AfD berichtet, kommt zu einem ähnlichen Fazit. Auch sie sieht drei Entwicklungen im medialen Umgang mit der AfD: "Mein Eindruck ist, dass die Medien mit Blick auf die AfD anfangs nicht so geschickt agiert und die Partei mit sehr viel Aufmerksamkeit begleitet haben, die vielleicht noch gar nicht gerechtfertigt war." Anschließend habe der Umgang besser funktioniert - beispielsweise dadurch, dass es weniger Wortlaut-Interviews gegeben habe.
Vor rund einem Jahr habe sich dann aber eine Haltung durchgesetzt, dass man der Partei mehr Raum geben müsse, weil sie in den Umfragen steigt. Das sieht "Spiegel"-Journalistin Müller kritisch: "Nur weil Umfragen steigen, heißt das noch lange nicht, dass man deswegen gut eingeübte Mechanismen wieder über Bord schmeißen muss." Aber das sähen andere Medien anders.
Sowohl Müller als auch Hillje nennen als Beispiel das "Stern"-Interview mit AfD-Chefin Alice Weidel, in dem sie unterem gefragt wurde, welche Serien sie auf Netflix schaue. "Das sind Sachen, die man bei einer Demokratiefeindin meines Erachtens nicht machen sollte", sagt Müller. Hillje nennt als negatives Beispiel zudem das Interview von Markus Lanz mit AfD-Parteichef Tino Chrupalla im Februar. Das sei "stellenweise kumpelhaft, zu unkritisch und auch zu wenig nachhakend" gewesen. Chrupalla sei sogar die Definitionshoheit über den Begriff Rechtsextremismus überlassen worden, kritisiert Hillje.
AfD wie jede andere Partei behandeln?
Wie kann ein richtiger Umgang funktionieren? Seit Gründung der AfD wurden verschiedene Ansätze vorgeschlagen, wie man über die Partei berichten könne. Einer ist: die Partei behandeln, wie jede andere. Politikberater Hillje hält nichts von dieser Herangehensweise, weil die AfD "im Vergleich zu diesen anderen Parteien eben manifeste antidemokratische Tendenzen aufweist".
"Total falsch" nennt auch Ann-Kathrin Müller vom "Spiegel" diesen Ansatz. "Man sollte schon immer im Hinterkopf haben, dass es eine extrem rechte Partei ist und man sie auch entsprechend behandelt." Man müsse mitdenken, dass die AfD die Demokratie angreift und massiv verändern wolle.
Die AfD ignorieren?
Ein weiterer Ansatz war, die Partei zu ignorieren - mit der Begründung: Man solle der Partei keine Bühne geben, ihr Spiel nicht mitspielen. Für Journalist Bastian Wierzioch, der für verschiedene Medien - auch für den BR - zur AfD in Sachsen und Thüringen berichtet, kein gangbarer Weg. Das ginge "nicht mehr aufgrund der starken Präsenz, der flächendeckenden Verankerung in den Parlamenten, aber vor allem der Verankerung bei den Wählerinnen und Wählern". Journalisten würden dadurch die eigenen politischen Vorlieben mit ihrem eigentlichen beruflichen Auftrag verwechseln.
Auch Politikberater Hillje hält von der These nichts. "Das kann man bei einer 20-Prozent-Partei sicher nicht machen." Zudem befeuere das den "Medienopfer-Mythos" der Partei. Man sollte über die AfD berichten, aber: "Da reicht eine Inhaltskritik nicht aus, sie muss um eine Ideologiekritik ergänzt werden." Hillje nennt das Beispiel Migrationspolitik: "Wenn man darüber berichtet, dann reicht es bei der AfD nicht, darauf hinzuweisen, dass durch ihre Migrationspolitik die dringend benötigten Fachkräfte nicht kommen würden. Sondern es sollte meines Erachtens auch klar werden, dass die AfD ein ethnisch-homogenes Gesellschaftsideal verfolgt, indem Migranten aus anderen Kulturen grundsätzlich nicht willkommen sind".
Warnung vor Übernahme von AfD-Narrativen
Mehr Kontext, mehr Einordnung - das fordern die Experten im Umgang mit der AfD. Und auch mehr Abwägung, wann man berichtet und wann nicht. Ann-Kathrin Müller kritisiert beispielsweise die zahlreichen Meldungen über Umfrage-Erfolge der AfD. Damit verhelfe man einer Grundstimmung, dass die Zustimmung zu der Partei immer weiter steige. "Da wäre es meines Erachtens sinnvoller, das kontextualisierter zu tun, vielleicht auch nicht jede Umfrage neu zu vermelden, sondern sich zu überlegen: Wo sieht man wirklich ein Trend?"
Bastian Wierzioch warnt zudem vor der Übernahme von AfD-Narrativen. Vergangene Woche meldete einer der großen E-Mail-Dienste, die wie Nachrichtenportale auftreten, dass die AfD am Verfassungsschutz zweifele. "Das hatte zum einen null Nachrichtenwert, weil die AfD das ja schon die ganze Zeit macht", so Wierzioch. Und es sei schlecht, "bestimmte AfD-Narrative, aber auch offen demokratiefeindliche Positionen eins zu eins unhinterfragt, nicht einordnend, weiterzutragen."
Keine Live-Interviews mehr mit AfD-Politikern?
Eine weitere Kontroverse ist, ob man auf Live-Gespräche oder Wortlaut-Interviews verzichten sollte. "Wortlaut-Interviews mit AfD-Politikern oder Leuten aus der Neuen Rechten finde ich sehr schwierig", sagt die "Spiegel"-Journalistin Ann-Kathrin Müller. Der "Spiegel" macht seit sechs Jahren keine Wortlaut-Interviews mehr solcher Art. Müller begründet das so: "Wenn Gesprächspartner jegliche Normalität, was Gesprächsregeln angeht, verletzen, sich nicht an Wahrheit halten, dann ist es sehr schwierig, ein zivilisiertes Gespräch zu führen, beziehungsweise ein gewinnbringendes für die Leserinnen und Leser."
Auf Live-Gespräche zu verzichten, davon halten Politikberater Hillje und Journalist Wierzioch wenig. "Nur weil das etablierte Mediensystem Probleme hat, heißt das nicht, dass man die Regeln ändern sollte", sagt Wierzioch, der Mitglied der Rechercheredaktion von MDR Thüringen ist. Für Live-Interviews empfiehlt Politikberater Hillje ein Live-Factchecking. "Mit sorgfältiger Vorbereitung kann man das schon", so Hillje. Die Redaktion könne der Moderatorin über deren Knopf im Ohr Hinweise geben. "Es ist voraussetzungsvoll, und es dauert vielleicht manchmal etwas länger, sodass man noch mal etwas später in der Sendung drauf zurückkommen muss. Aber besser als gar nicht darauf zurückkommen."
Politikberater: Was Journalismus verteidigen muss
Ergibt sich für Journalisten durch den besonderen Umgang mit der AfD ein Spannungsfeld zwischen Neutralität und Haltung? Für Politikberater Hillje liegt die Grenze in der Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn das sei die Existenzgrundlage für den Journalismus. "Wenn die Pressefreiheit abgeschafft wird - und das sehen wir ja, das passiert durch die Brüder und Schwestern der AfD in anderen Ländern, zum Beispiel in Ungarn - dann wird es wirklich schwierig, den Beruf des Journalisten, der Journalistin auszuüben", erklärt Hillje. Dann sei Journalismus schlicht nicht mehr möglich, weil es dafür die Grundlage nicht mehr gebe. "Daran sollten auch alle Journalistinnen und Journalisten ein Interesse haben, dass es so weit nicht kommt."
Hören Sie hier die aktuelle Folge von BR24 Medien: Wie sollten Medien mit der AfD umgehen? Mit Einschätzungen von Politikberater Johannes Hillje, "Spiegel"-Journalistin Ann-Kathrin Müller und Journalist Bastian Wierzioch sowie vom Chef der BR-Reaktion Landespolitik, Achim Wendler, zum Haus- und Kommunikationsverbot seitens der AfD Bayern für einen BR-Reporter.
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