Der noch relativ unbeschwerte Sommer 1942. Auf dem Motorrad umrunden Hilde und ihr Freund Hans einen Platz mit Campingzelten am Ufer eines Berliner Sees. Die junge Frau hat sich verliebt – zufällig in ein Mitglied der Widerstandsbewegung "Rote Kapelle".
Andreas Dresen erzählt in seinem neuen Film "In Liebe, Eure Hilde", der gestern seine feierliche Premiere im Rahmen des Wettbewerbs um den Goldenen Bären erlebte, von einer jungen Frau, Hilde Coppi, die eher zufällig in das antifaschistische Netzwerk gerät, sich dann dort engagiert, ins Gefängnis kommt und dort 1943 hingerichtet wird.
Untypische Geschichte, unheroische Menschen
Der 1963 in Gera geborene Regisseur hat einen eher untypischen Film über das Dritte Reich inszeniert: ohne grölende Nazihorden und mit keiner draufgängerischen Heldin, sondern einem eher unheroischen Menschen.
"In dem Film gibt es ja auch Liane Berkowitz", erzählt Dresen. "Die war Schülerin. Die hat einmal bei einer Handzettel-Klebe-Aktion mitgemacht und ist mit 19 Jahren dafür hingerichtet worden. Ist dieser Widerstand weniger wert? Das sind Fragen, die muss sich jeder selbst beantworten. Solche Figuren wie Hilde machen mir klar, dass Zivilcourage oder nennen wir es Widerstand letztendlich etwas ist, das in unseren Herzen und im Alltag verankert ist. Das muss man nicht wie eine Standarte vor sich hertragen."
Gegen Ausladung der AfD-Politiker
An welchem Punkt fange ich an, mich als Mensch zu verbiegen, fragt Andreas Dresen. Der Film wirke jetzt, als sei er wie gemacht für unsere momentane Zeit, dabei haben die Arbeiten an "In Liebe, Eure Hilde" bereits vor sechs Jahren begonnen.
Die auch gestern noch heiß diskutierte Ausladung der fünf AfD-Abgeordneten von der Eröffnungsgala der Berlinale, empfindet der Regisseur als verfehlte, wankelmütige Symbolpolitik: "Persönlich halte ich nicht viel von Ausgrenzung und auch Ausladungen. Da muss man sehr aufpassen. Und dann muss auch jeder gucken, inwieweit wir in die politische Auseinandersetzung gehen und in welcher Form auch. Also wie reden wir eigentlich in der Gesellschaft miteinander? Es sind ja viele Wähler. Wir können ja nicht sagen, wir laden jetzt mal eben 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung aus. Das geht nicht. Wir müssen da schon einen Weg finden, um diese Menschen zu erreichen."
"Treasure" sucht Orte des Grauens auf
Auch durch Filme – so wie es ebenfalls die bei München lebende Julia von Heinz tut. In der Berlinale-Sektion "Special" präsentierte sie gestern Abend "Treasure", ihr erstes internationales Spielfilm-Projekt, eine Koproduktion des Bayerischen Rundfunks. Das stille tragikomische Drama basiert auf dem berührenden Roman "Too Many Men" von Lily Brett. Lena Dunham und Stephen Fry spielen ein in den USA lebendes, jüdisches Tochter-Vater-Paar, das Anfang der neunziger Jahre nach Polen reist, um sich der Vergangenheit der Familie zu stellen. Der Vater hat das Konzentrationslager in Auschwitz überlebt. Gemeinsam suchen sie die Orte des Grauens auf und kommen sich näher, reden erstmals darüber, was während des Dritten Reichs passierte, und diskutieren den Antisemitismus gestern wie heute.
Wie Andreas Dresen schlägt auch von Heinz den Bogen in unsere Zeit. "Treasure" und "In Liebe, Eure Hilde" sind beides Filme, die zeigen, wie sich Rassismus, totalitäre Unterdrückung und Diskriminierung in den Alltag von Familien und Beziehungen hineinfressen.
"Shikun" zeigt israelische Gesellschaft
In vielen Werken der diesjährigen Berlinale geht es um die kritische Reflektion von Krieg und autoritär ausgeübter, politischer Macht – und um die Auswirkungen auf individuelle Leben. So zeigt das absurde Drama "Shikun", ebenfalls bei Berlinale "Special" zu sehen, einen Querschnitt der vielfältigen israelischen Gesellschaft in einem bizarr riesigen Wohnkomplex, basierend auf Eugène Ionescos berühmtem Theaterstück "Die Nashörner". Die metaphorische Frage, die den israelischen Regisseur Amos Gitai umtreibt, ist: Unter welchen Umständen werden Menschen, egal aus welcher Kultur sie stammen, zu emotionalen Dickhäutern und verwandeln sich in eine unmenschlich agierende Herde?
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