Als der Hurrikan Katrina vor 20 Jahren die Ostküste der USA verwüstete, dachte in Deutschland noch niemand über Extremwettereignisse nach. Inzwischen hat sich das geändert. Überschwemmungen und Starkregen mit 200 Litern pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden sind auch hier keine Seltenheit mehr.
Architekten hierzulande haben inzwischen gelernt, mit solchen Extremwetterereignissen umzugehen. So reagierte Michael Leidl von arc Architekten auf das verheerende Hochwasser 2013 in Niederbayern, bei dem die Donau in Passau einen Rekordpegel von 13 Metern erreicht hatte: Er errichtete ein Gebäude auf Stelzen in der Gemeinde Neuhaus am Inn, direkt an der bayerisch-österreichischen Grenze. Im alten Haus der Familie Angermair stand das Wasser vier Meter hoch. Der clevere Neubau kann sogar größere Pegel noch schadlos überstehen.
Viele Ideen für "resiliente" Gebäude
Gebäude, die auf eine bestimmte Art und Weise resilient sind, gibt es inzwischen einige – sowohl als Neubauten als auch als sanierte Häuser in Hochwassergebieten. So im Ahrtal oder im Naturpark Nordeifel im Süden von Nordrhein-Westfalen, ein Gebiet, das im Juli 2021 nach Starkregenfällen eine Flutkatastrophe erlebte.
Das architektonische Prinzip wiederholt sich in Variationen: konstruktive und gestalterische Präventivmaßnahmen wie die Anhebung des Erdgeschossniveaus, fachgerechte Möglichkeiten der Abdichtung, mineralische Materialien an Wänden und Böden für eine zuverlässige Austrocknung bei künftigen Überflutungen; die Verlagerung technischer Einrichtungen ins Obergeschoss, freigelegte Strukturen im Erdgeschoss und eine im Flutfall schnell demontierbare Möblierung.
Architektenbund-Vorsitzender: Regional- und Flächenplanung nötig
Alles vernünftig und nachvollziehbar, findet Jörg Heiler, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten in Bayern, ansässig in Kempten. Auf Dauer helfe aber nur ein Umdenken in der Regional- und Flächenplanung.
Böden müssten entsiegelt werden, Moore müssten verstärkt als Wasserspeicher renaturiert werden, für potenzielle Überschwemmungsgebiete müssten kluge Planungen im Sinne einer Hybridnutzung umgesetzt werden – in trockenen Zeiten als öffentliche Räume und bei Starkregenereignissen als für Überschwemmungen ausgewiesene Gebiete.
Renaturierung der Isar in München als "Vorbild"
In den Niederlanden und in Skandinavien gebe es dafür viele gute Beispiele, in Deutschland bisher nur wenige, moniert Jörg Heiler – und erwähnt ein paar Ausnahmen. So sei die Renaturierung der Isar in München ein "Vorbild für viele andere Flüsse in Bayern". Weil der Fluss hier wieder mehr Raum bekomme, könne er sowohl "in der Dürre als auch im Hochwasserfall" ein Lebensraum sein - nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen. Flüsse wie die Isar seien biodiverser Lebensraum, öffentlicher Raum und Freizeitraum in einem und trügen noch dazu zum Mikroklima in der Stadt bei – sie haben also nicht nur Einfluss auf die Lebensqualität der Städte, sondern auch auf deren Existenzfähigkeit.
Landschaftsarchitekten und Stadtplaner haben passende Konzepte bereits in der Schublade. Flankierend muss im Hochbausektor aber die angekündigte Bauwende entschiedener als bisher umgesetzt werden.
Neu bauen oder Bestände erhalten?
So plädiert Christine Lemaitre, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, sowohl in Fragen der Heizung als auch der Kühlung für passive Lösungen: Außen liegender Sonnenschutz oder eine natürliche Durchlüftung seien wichtig, damit "der Wärmeeintrag ins Gebäude minimiert wird". Zudem müsse man sich fragen, ob immer neu gebaut werden müsse, oder ob man nicht doch auch den Bestand erhalten könne.
In New Orleans gab es schon vor 20 Jahren beim Bau der neuen Häuser in den Flutgebieten all diese Überlegungen und Pläne – bis zur Idee des nachhaltigen Bauens im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. All das wurde dort auch umgesetzt. Hierzulande ist es immer noch die Ausnahme. Eine Architektur, die den Herausforderungen des Klimawandels gerecht wird, gibt es erst in Ansätzen.
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