Erik Leuthäuser auf seinem neuen Cover "Sucht", Ausschnitt
Bildrechte: Label: Fun In The Church
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Erik Leuthäuser hat ein neues Album rausgebracht: "Sucht"

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Fast eine Beichte: Das Album "Sucht" von Erik Leuthäuser

Fast eine Beichte: Das Album "Sucht" von Erik Leuthäuser

Das Thema Sucht ist sehr schambehaftet. Erik Leuthäuser geht es trotzdem an in seinen Songs. Er macht sich nackig, nicht nur auf dem Cover seines neuen Albums.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Ein klassisches Jazzplattencover ist das Cover von Erik Leuthäusers neuem Album nicht. Ein überbeleuchteter Erik Leuthäuser posiert mit knallroter Stoffhose und nacktem, tättoogesäumten Oberkörper, die Hände höflich hinter dem Rücken verschränkt, in einer stockfinsteren Nacht. Steht er da auf einem Hausdach? Schwer zu sagen.

Jedenfalls stand Leuthäuser während Corona relativ nah am Abgrund. Während die anderen die pandemische Langeweile mit Bananenbroten weggebacken haben, hat sich der Musiker in Sinn- und Zukunftsfragespiralen verloren, ist in eine Leere abgedriftet, die er mit Chemsex zu kompensieren versuchte: chemische Substanzen beim Sex. Leuthäuser ist bei Methamphetamin gelandet.

Die Leere mit der Droge füllen

Bis dahin hätte er diese Droge, die sehr präsent sei, wenn es um die schwule Subkultur in Großstädten geht, nicht gekannt. Mit ihr sei es leicht gewesen, "die Leere zu füllen. Nur das Problem ist: Methamphetamin ist eine Droge, die relativ schnell dafür sorgt, dass nichts anderes mehr so viel Freude bringt im Leben wie noch mehr zu konsumieren. Das ganze Album besteht aus meinen Erfahrungen und ich gebe keine Ratschläge".

"Im Labor hab' ich alles ausprobiert, was mir die Sehnsucht diktiert", heißt es zum Beispiel im Song "Labor". Da singt Erik Leuthäuser von sich als einem auf der Suche nach Stimulanz, nach Koks und nach Tanz. Er legt sich hin auf seinem Synthesizer-Teppich und flüstert uns wie in einer Therapiesitzung seine Suchterfahrung in diesem schwerelosen vor sich hin tröpfelnden Song ins Ohr. Der Berliner hat sich bewusst für eine andere gesangliche Ästhetik entschieden, als man das vielleicht von anderen Mainstream Vocal Jazz Alben kennt.

"Sucht": Kaum ein Thema ist derart mit Scham behaftet

"Es geht eher in die Richtung Dreampop. Ich hab mir erlaubt, leise zu singen. Zuhörerinnen und Zuhörer nah rankommen zu lassen. Passt zum Thema Sucht. Gibt wenige Themen, die so schambehaftet sind wie dieses Thema", sagt der Musiker. Und dann wieder Panikattacke. Leuthäusers Experimentaljazz ist das passende Musikgefäß dafür. Takt beziehungsweise Herzschlag unkontrollierbar, zwischen Rasen und Ruhen.

Leuthäuser hat sein Sucht-Album ursprünglich mit Rhythmusgruppe, Klavier, Bass, Schlagzeug und Streichern aufgenommen, dann wieder alles über den Haufen geworfen und nachträglich noch jede Menge Synthesizer- und andere Sounds dazu produziert. Was man aber vor allem heraushört, ist diese Sanftheit, Wahrhaftigkeit und radikale Ehrlichkeit, die einen in nahezu jeder Sekunde von Leuthäusers Gesang packt. Und gleich im Eröffnungsstück "Schiff ohne Kapitän" Momente der Selbstumarmung statt Selbstverurteilung: "Es tut mir leid, dass ich noch nicht clean bin, es tut mir leid, dass alles so gut schien", singt er und erklärt: "Da geht’s um Rückfall und den Umgang damit, letztendlich ist ein Rückfall nicht unbedingt ein Rückschritt, sondern man lernt daraus, man lernt sich besser kennen und es geht weiter, es tut mir leid, dass ich noch nicht clean bin."

Einsatz für eine queere Jazz-Szene

Leuthäusers Sich-nackig-Machen auf dem Albumcover und in seinen Songs; dass er seine Hörerschaft mitnimmt in die schwule Berliner Subkultur – all das macht der über die Jahre weltweit ausgezeichnete Musiker und Komponist auch aus einem noch anderem ganz bestimmten Grund. Und dafür müssen wir kurz ins Jahr 2023 zurückblicken. Beim Deutscher Jazzpreis wird Erik Leuthäuser mit dem Sonderpreis ausgezeichnet als Mitbegründer und Teil des Queer Cheer Kollektivs, die erste queere Community in der deutschen Jazz-Szene, die sich mit Themen wie Diversität, Intersexualität, Multiperspektivität oder auch Interdisziplinarität auseinandersetzt. Ein Gegengewicht schaffen zu den einseitigen Verhältnissen in der Szene.

"Die Jazzstudie hat gezeigt, dass Jazz sehr männlich dominiert ist", sagt Leuthäuser. "Wir versuchen uns einzusetzen, dass es mehr Zugänge für alle Menschen zu Jazz gibt." Sie versuchten "nette Vorschusslorbeeren" zu erhalten und 2025 ein Festival zu organisieren. "Wir versuchen als Community zu wachsen, haben Stammtische… Das ist das, was Jazz in Deutschland braucht: mehr und jüngere Zuhörerinnen", so Leuthäuser.

Selbstliebe gelernt

Und was braucht Erik Leuthäuser? Jedenfalls keine Grammatikpolizei. Ich bin kein Deutschlehrer, sondern Künstler, Songwriter. Ganz bewusst dann auch so Zeilen wie diese: "Weg mit dem Selbstmitleid, so wie Du bist, sei es Dir verzeiht."

Man ist gut so wie man ist, weiß Erik Leuthäuser inzwischen – wieder so eine vertonte Selbstumarmung und als Hörer fühle ich mich auch ein bisschen von ihm mit umärmelt. Leuthäuser hat Selbstliebe gelernt und außerdem, mit seinem anderen Lebensthema klarzukommen. "Ich bin ein Mensch, ich möchte gern mehr erleben, ich möchte viel erleben. Das ist gut so, das ist Teil meiner Persönlichkeit. Das hab ich gelernt wertzuschätzen und weiß, dass mich das Thema Sucht mein Leben lang beschäftigen wird und auch darf. Denn es ist ja nicht so, dass man von einem Tag auf den nächsten oder mit der Zeit weniger mit dem Thema zu tun hat. "

Das Album "Sucht" ist bei dem Label Fun In The Church erschienen.

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