Seit Anfang des Monats gilt das sogenannte Genderverbot für Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden. Bei Theaterbühnen denkt vermutlich erstmal niemand an Behörden. Tatsächlich aber gelten in Bayern zumindest die Staatstheater als ebensolche. Dort ist die Irritation über die neue Anordnung besonders hoch. Denn Theaterschaffende sprechen mehrheitlich schon lange von Schauspieler*innen, Regisseur*innen oder Bühnenbildner*innen.
Am Residenztheater hält man nichts vom Verbot
Am Haus fände man Verbote grundsätzlich nicht "sexy", erklärt Ingrid Trobitz vom Münchner Residenztheater im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. "Wir glauben nicht, dass Verbote dazu führen, dass man in einen offenen Diskurs eintritt. Im Gegenteil!"
Trobitz ist Pressechefin und stellvertretende Intendantin am Residenztheater. Das Genderverbot, sagt sie, stößt im ganzen Haus auf Unverständnis. Fortan wieder statt von Schauspieler*innen lediglich von Schauspielerinnen und Schauspielern zu reden, ist für sie keine Alternative, denn nur beim Gendern (mit dem Gendersternchen im Geschriebenen oder dem sogenannten 'Glottal Stop' beim Sprechen) würden ja wirklich alle angesprochen. Also auch diejenigen, die sich weder als eindeutig weiblich noch männlich definieren. Hier von einer Modeerscheinung zu sprechen, greife zu kurz, meint Trobitz: Sternchen oder Doppelpunkte schafften vielmehr ein Bewusstsein für die Existenz nicht-binärer Personen.
Das Theater ist ein Ort der Geschlechtervielfalt
Ganz ähnlich sieht das Jan Philipp Gloger, Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg. Dass das Gendern den meisten, die am Theater arbeiten, "in Fleisch- und Blut übergegangen ist", wie er das formuliert, hat für ihn auch mit der Kunstform selbst zu tun: Seit Shakespeare werde mit der geschlechtlichen Vielfalt gespielt. "Ich finde, das passt einfach zum Theater als Ort der fluiden Identitäten."
Das ist im Theater jedoch nicht (mehr) anders als im Rest der Gesellschaft: Je jünger die Menschen, desto weiter verbreitet die Neigung zum Gendern. Barbara Gronau, Präsidentin der Bayerischen Theaterakademie August Everding, an der der Bühnennachwuchs ausgebildet wird, musste daher schon vergangenen Herbst heftig mit dem Kopf schütteln, als die Pläne bekannt wurden für die jetzt in Kraft getretene "Änderung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern", wie die neue Regelung im Amtsdeutsch heißt. Die Studierenden der Theaterakademie genderten ganz selbstverständlich, so Gronau. "Sie machen uns sogar Vorwürfe, wenn wir das nicht tun."
Kunstfreiheit als Ausweg?
Was aber nun tun, nachdem der Freistaat erklärt hat, "mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt" seien nun ausdrücklich "unzulässig"? Ingrid Trobitz vom Münchner Residenztheater beruft sich auf die Kunstfreiheit, die nicht nur für das Bühnengeschehen gilt. Auch zum Beispiel in Programmheft-Texten dürfe im Sinne der Kunstfreiheit weiter gegendert werden.
Auch Josef Köpplinger, Intendant am Staatstheater am Gärtnerplatz in München, beruft sich auf die Freiheit der Kunst. Für ihn beinhaltet diese aber auch die freie Entscheidung "to gender or not to gender", also: zu gendern oder nicht. Mit einem Genderverbot könne er persönlich genauso wenig anfangen wie mit der moralischen Forderung, es zu tun.
Von sich selbst sagt Köpplinger, er sei kein "großer Freund" des Genderns. Er spricht – um alle Menschen zu adressieren – lieber vom Publikum statt von Zuschauer*innen, wohl wissend, dass solche Lösungen sich nicht überall bieten. Wie zum Beispiel lautet die gendergerechte Alternative zu Abonnenten? Abonnierende? Dann vielleicht doch besser Abonnent*innen?
Josef Köpplinger: "Respekt gelebt ist mir wichtiger als geschrieben"
So oder so, Gärtnerplatz-Intendant Josef Köpplinger findet solche Diskussionen ohnehin eher nachrangig. Im Theater gehe es doch eigentlich um "Herzensbildung", sagt er: "Respekt gelebt ist mir wichtiger als geschrieben."
Am Gärtnerplatztheater wird auf der Homepage oder in Programmheften in der Regel (und schon vor dem neuen Verbot) nicht gegendert. Köpplinger käme aber nie auf die Idee, es jemandem zu verbieten, der – zum Beispiel in einem Programmhefttext – Wert darauf legt. Denn auch wenn für ihn eine geschlechtergerechte Lebenspraxis wichtiger ist als deren Niederschlag in der Sprache – in einem ist er sich mit seinen Kolleg*innen der anderen Staatstheater einig: Das Gendern sei Ausdruck eines Bewusstseinswandels. Und der wiederum zeichne sich auch in sprachlichen Veränderungen ab, die sich mit Verboten nicht würden aufhalten lassen.
Nürnbergs Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger drückt es so aus: "Gerade wir, die wirklich täglich mit Sprache umgehen und eine große Liebe zur Sprache haben – wir finden, man kann Sprache nicht unabhängig von gesellschaftlichen Diskursen denken. Sondern da gibt es sicher ein Wechselverhältnis, das gerade ein Theater spiegeln kann und soll."
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