Es stimmt ja: Kaum einer kennt die Ehefrauen der englischen Könige Heinrich VI. oder Heinrich VII., aber sehr viele wissen, dass Heinrich VIII. (1491 - 1547) sechs Mal verheiratet war und können meist sogar ein paar seiner Gattinnen aufzählen, vor allem die beiden, die er enthaupten ließ. Klingt wie ein ganz bitterer Kommentar zur Feminismus-Debatte: All diese Frauen blieben nur mit ihrer Beziehung zu einem der ruchlosesten Renaissance-Herrscher in Erinnerung, scheinen bis heute nur dadurch interessant, wurden nur als mehr oder weniger glamouröse Ehefrauen von den Geschichtsbüchern zur Kenntnis genommen.
Meist kurzes Vor-Leben
Ein ziemlicher Skandal, meinten die britischen Studenten Toby Marlow und Lucy Moss von der Universität Cambridge und machten daraus 2017 ein Musical für das Off-Programm des renommierten Edinburgh Festivals. Die Produktion überzeugte Publikum und professionelle Beobachter, es folgten Inszenierungen im Londoner West End, am New Yorker Broadway, in Australien und Kanada.
Der Titel steht für die Zahl der Frauen von Heinrich VIII. und für ihre Schicksale: SIX. Sie singen über ihr jeweiliges, meist kurzes und nicht besonders glückliches (Vor-)Leben im Stil eines Popkonzerts. Die Songs sind inspiriert von den großen Soul- und Rock-Ladys der Gegenwart: Alicia Keys, Adele, Ariana Grande, Britney Spears, Shakira und Beyoncé - alles unverwechselbare, weltweit erfolgreiche Künstlerinnen und Vorbilder für Millionen.
Alles nur Etiketten
Im 16. Jahrhundert, zu Lebzeiten von Heinrich VIII., hatten Frauen keine Chance, als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, geschweige denn Politik zu machen - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Und so genügt den sechs Ladys zunächst jeweils ein einziges Adjektiv, um ihr gelebtes Leben im Auftrittssong "Ex-Wives" zusammenzufassen. Eine groteske, aber historisch korrekte Reihenfolge: Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt.
Aber das sind natürlich nur die Etiketten, mit denen die Frauen versehen wurden: Katharina von Aragon ist eine zutiefst religiöse spanische Aristokratin, Anne Boleyn eine lebenslustige Hofdame, Jane Seymour eine melancholische Schönheit, Anna von Kleve eine kühle deutsche Provinzfürstin, Katherine Howard eine verwöhnte, halbwüchsige Internatsschülerin und Catherine Parr, die letzte in der Reihe, eine hoch gebildete Autorin und Bildungsreformerin. Frauen, die ihren großen Auftritt im Show-Stil allemal verdient haben und auf der Bühne des Deutschen Theaters in München hinreißend absolvieren - auch wegen der am Renaissance-Stil orientierten Glitzer-Kostüme von Gabriella Slade.
Show im englischen Original
Der Saal tobt, weil hier sechs selbstbewusste Künstlerinnen mit viel Elan und rasanten, perfekt getanzten Moves die Geschichte ordentlich entstauben und von ihrem patriarchalischen Ballast befreien. Ihre zentrale Botschaft: Wenn Frauen gegeneinander um die Gunst eines mächtigen Mannes buhlen, sind sie verloren. Es gilt, zusammenzuhalten, zu den eigenen Stärken und Schwächen zu stehen. Bemerkenswert, wie gut das Publikum der 80-minütigen Show im englischen Original folgte, auch die Gags und Anspielungen auf die historischen Ereignisse sofort verstand und belachte.
Schon im 16. Jahrhundert geschönte Bilder
Natürlich wurde da mit Stereotypen gearbeitet: Die Spanierin schreitet gravitätisch ganz in Gold über die Bühne. Anne Boleyn ist grün gekleidet wie ein gefährliches Reptil, und die brave, gutmütige Überlebende Catherine Parr trägt seriöses Dunkelbau, die Farbe der kühlen Vernunft. Logisch, dass die sechs Solistinnen (die Besetzung ist tagesabhängig) von einer Frauenband begleitet werden. Besonderer Gag: der Song "Haus of Holbein", der den berühmtesten Maler am Hof von Heinrich VIII. würdigt, den gebürtigen Augsburger Hans Holbein den Jüngeren, ein Marketing-Genie, das dem König aktuelles Bildmaterial europäischer Schönheiten zur Verfügung stellte. Die Partnerbörse des 16. Jahrhunderts, und schon damals waren die Bilder geschönt.
Ein kurzer und höchst unterhaltsamer Abend, wie eine Doppelstunde in Geschichte und Emanzipation zum Mittanzen. Die Tour-Produktion ist so perfekt, dass sie hier und da etwas arg glatt, ja stellenweise fast schon steril an Auge und Ohr vorbeirast. Fürs innere Durchatmen bleibt keine Zeit, für Bremsmanöver auch nicht. Und übrigens: Die Frau von Heinrich VII. hieß Elisabeth von York. Die Ehe war glücklich und beendete die Rosenkriege. Wäre auch ein Musical wert.
Bis 7. April im Deutschen Theater München, Karten ab 25 Euro.
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