Man kenne keinen Song von ihr, was soll das für ein Superstar sein? So die häufigste Reaktion der nicht Bekehrten. Derjenigen, die sich von der medialen Omnipräsenz von Taylor Swift provoziert fühlen und sich unter Artikeln und auf Social Media Luft machen. Vielleicht beginnt man deshalb einfach mal mit der Musik, um das Phänomen Taylor Swift zu erklären.
Cleverer Pop, smarte Texte
Da dürfte für die meisten etwas dabei sein: Für Fans von zurückgenommener, intelligenter Popmusik (Youtube-Link). Für Fans von zerbrechlichem Holzhütten-Folk (Youtube-Link). Für Fans von Bombast-Pop mit großen Hooks (Youtube-Link). Und, na klar, auch für Fans von Country-Pop (Youtube-Link), mit dem Swift vor nunmehr 19 Jahren bei einem Auftritt im Bluebird Café in Nashville ihre Karriere einst ins Rollen brachte. Und auch wer auf gewitzte Musikvideos voller selbstreferenzieller Anspielungen wie etwa im Video zu "Anti-Hero" steht, wird seine Freude an Taylor Swift haben.
Hat man erst einen Einstiegspunkt ins Taylorverse gefunden und hört ein wenig genauer hin, stellt man auch schnell fest, dass die 34-Jährige bei Weitem nicht nur tagebuchartige Herzschmerz-Songs schreibt. Sondern genauso feministische Manifeste (Youtube-Link) oder Hymnen gegen Hass im Netz (Youtube-Link). Wenn dann geklärt ist, dass die Musik von Taylor Swift weder eintönig noch schablonenhaft ist und auch ihre Texte kaum einen Vergleich scheuen müssen, kann man sich all den anderen Facetten widmen, die Taylor Swift ziemlich einzigartig machen.
Musikerin, Influencerin, CEO: Taylor Swift im Kurzportrait
Vielleicht begreift man die aus durchaus wohlhabenden Verhältnissen stammende Sängerin am besten als Hybrid aus Popmusikerin, Influencerin, CEO und Aktivistin.
Mit zwölf Jahren lernte Swift Gitarre spielen, schrieb schon bald ihre ersten Songs und bekam bereits ein Jahr später einen artist development deal vom Plattenlabel RCA – Letzteres auch dank der überaus energischen und finanzkräftigen Unterstützung ihrer Eltern – und landete schließlich mit ihrem Debüt-Album gleich auf Platz fünf der US-Charts.
Swift erkannte früh, dass das Internet eine neue Art der Fanbindung ermöglichte und nutzte erst MySpace und tumblr, später Twitter, Instagram und TikTok, um eine intime Beziehung zu ihrer wachsenden Fanbase aufzubauen. Heute sind die Swifties nicht nur die größte, sondern auch eine der loyalsten Fan Armys jeglicher Musikacts. Das Spiel mit der Authentizität trieb Swift zeitweise soweit, dass sie sogar ausgesuchte Fans in ihre privaten Wohnungen und Häuser zu sogenannten „Listening Sessions“ einlud, um gemeinsam und noch vor dem offiziellen Release ein neues Album anzuhören.
Schließlich ist Taylor Swift eine gewiefte Geschäftsfrau – was sie sich ein wenig abgeschaut haben könnte beim Vater, der als Vermögensberater arbeitete, oder bei der Mutter, die zeitweise als Führungskraft im Marketingbereich tätig war. Swift hat anders als die meisten ihrer Musiker-Kollegen durchaus Gefallen an Business-Meetings und weiß, wie sie mit vielen Special Editions ihrer Alben und ihres Merchandisings gut am Fandom verdient. Sie hat mehrfach bewiesen, dass sie sich nicht über den Tisch ziehen lässt, und ist mit der "Eras Tour" in den Club der Milliardäre aufgestiegen – und beherrscht mittlerweile auch den CEO-Sprech (Youtube-Link) aus dem Effeff.
Aktivistin in eigener Sache
Beeindruckend ist auch, wie Taylor Swift ihre Reichweite und Wirtschaftskraft immer wieder dazu nutzt, sich gegenüber von Labels, Streamingdiensten und Ticketkonzernen zu behaupten. Sie boykottierte zweieinhalb Jahre lang Spotify, weil sie der Meinung war, dass die dort geschaltete Werbung in der kostenlosen Version die Musik entwertete. Sie legte sich mit Apple an, als der Tech-Konzern während der dreimonatigen Probezeit der Kunden von Apple Music die Musiker und Bands nicht vergüten wollte – und Apple lenkte nur wenige Stunden später ein.
Auch mit ihrem alten Label Big Machine Records, das die Rechte an den ersten sechs Studioalben hält, liegt Swift im Clinch, seit das Label an einen ihrer Erzfeinde verkauft wurde, – und hat nun bereits vier dieser Alben neu aufgenommen, um so die Rechte an den Aufnahmen zu erlangen und damit Geld verdienen zu können. Denn selbstverständlich streamen die Fans vorrangig diese "Taylor's version" getauften neuen Fassungen der Alben.
Zuletzt legte sie sich verbal mit dem Ticketing-Monopolisten Live Nation Entertainment an, nachdem die Seite von dessen Tochterfirma Ticketmaster unter dem Ansturm der Swifties auf Tickets für die US-Etappe der „Eras Tour“ zusammenbrach. Eine Gruppe von Fans verklagte Live Nation daraufhin, auch wegen intransparenter zusätzlicher Gebühren, es folgte eine Anhörung vor dem Justizausschuss des Senats der Vereinigten Staaten – und nun droht die Zerschlagung des Konzerns.
In all diesen Fällen kämpfte Swift für sich selbst – und gleichzeitig für alle anderen Musiker und Musikerinnen mit zum Teil weit weniger Reichweite.
Im Audio: Interview mit Swift-Experte Prof. Jörn Glasenapp
Größer als die Beatles?
Doch reicht all das, um die große Popularität von Taylor Swift zu erklären? Die New York Times verglich Swift jüngst mit den Beatles (externer Link) und anderen Größen aus den letzten 60 Jahren Popmusikgeschichte. Viele der von den Fab Four aufgestellten Rekorde hat sie bereits eingestellt – wobei die Metriken nicht nur aufgrund von Streaming heute andere sind und die Beatles manche Kategorien, in denen Swift nun reüssiert wie etwa die Anzahl der gewonnenen Grammys, überhaupt erst für Popmusik öffneten.
Wie groß ist die kulturelle Relevanz von Taylor Swift? Die Beatles haben lange Haare, Experimente mit Drogen, Yoga und Meditation zum Trend gemacht, die Sixties, wie wir sie kennen, wesentlich geprägt. Vergleichbares kann Swift nicht vorweisen. Und doch hat sie eines gemeinsam mit den vier Jungs aus Liverpool: Genau wie die Beatles lebt sie Millionen Mädchen (und Jungs) vor, dass es alles andere als verkehrt ist, die eigenen Träume zu verfolgen und an sich zu glauben, und dass es okay ist, einfach man selbst zu sein und für sich einzustehen.
Mit großer Macht kommt große Verantwortung
Während ihr Eintreten für die Belange von Musikern und Musikerinnen anerkannt ist, hat sie für ihre politischen Parteinahmen nicht nur Lob bekommen. Kritiker werfen ihr vor, sich erst denkbar spät für den Feminismus eingesetzt und nicht überzeugend genug für die queere Community engagiert zu haben. Und sich auch erst bei der zweiten Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps gegen Trump positioniert zu haben. Andererseits hat sie mit ihrem Anti-Trump-Tweet im Mai 2020 Schätzungen zufolge bis zu 35.000 Menschen motiviert, sich für die US-Wahl zu registrieren – was durchaus dazu beigetragen haben könnte, dass Trump die Wahl schließlich verlor.
Viele warten nun darauf, dass Taylor Swift erneut eine eindeutige Wahlempfehlung abgibt – und so helfen könnte, eine zweite Trump-Präsidentschaft zu verhindern. Andere wünschen sich, dass sie mit ihrer Riesenreichweite sich ebenso deutlich für mehr Klimaschutz einsetzen würde (oder zumindest ihren Privatjet öfter am Boden stehen lassen würde). Ihr kultureller Impact könnte also durchaus noch größer sein. Vielleicht ist es aber auch verkehrt, derlei politische Einmischungen von Popstars zu erwarten.
Am Ende zählt die Musik
Denn am Ende geht es ja doch um die Musik, um ihre Songs, die ganze Stadien voller Fans Zeile für Zeile mitsingen und mitschreien. Wenn sie darin nicht gerade ihre letzte Beziehung verarbeitet, kann man auch dort politische Untertöne entdecken. Nicht ohne doppelten Boden singt Swift in „Miss Americana and the Heartbreak King“ zum Beispiel: "My team is losing/ Battered and bruising/ I see the high fives/ Between the bad guys", und am Ende: „And I'll never let you go/ 'Cause I know this is a fight/ That someday we're gonna win“.
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