💡 Peter Jungblut beobachtet für BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-Kanäle und Social Media, und wertet die Einschätzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt über die Ereignisse diskutieren.
Der russische Aktienmarkt zeigte sich freundlich: Mit Trump werde alles "einfacher", so der russische Politologe Ilja Graschtschenkow (externer Link), der den Republikaner für einen Kämpfer "gegen das Establishment" hält: "Trump ist der Frontmann der Kräfte, die wir verstehen. Er liebäugelt nicht mit New Age und der Globalisierung, sondern steht an der Seite der guten alten Ölarbeiter und der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie. Es ist jedoch noch nicht ausgemacht, dass wir mit ihm handelseinig werden." Zwar hätten manche russische Spitzenpolitiker einen guten Zugang zu Trump, nicht jedoch die Vertreter des Sicherheitsapparats.
"Putin wird gratulieren, aber nicht sofort"
Der kremlnahe Propagandist Sergei Markow hatte sich im Vorfeld der US-Wahl überzeugt gezeigt, dass Trump entgegen der Umfragen mit großem Vorsprung gewinnt. Jetzt zeigte sich der Blogger deshalb "froh und stolz", schränkte jedoch ein: "Die USA sind derzeit ein russlandfeindliches Land. Die Vereinigten Staaten führen tatsächlich Krieg gegen Russland. Daher besteht die Möglichkeit, dass Putin Trump überhaupt nicht gratuliert. Allerdings möchte Trump ein russlandfreundlicher Politiker werden. Daher wird Putin ihm vielleicht doch gratulieren. Aber nicht sofort."
"Vertrauen in Michigan, nicht in Charkow"
Die Ukraine werde es nun schwerer haben, so ein weiterer russischer Kommentator: "Es ist offensichtlich, dass Kiew mit der Wahl von Trump sehr unzufrieden sein wird, weil er Selenskyj nachdrücklich davon überzeugen wird, den Konflikt zu beenden und territoriale Zugeständnisse zu machen. Der amerikanische Geschäftsmann wird keine großen Summen für die Verteidigung von Awdijiwka [im Donezk-Gebiet] ausgeben. Trump schätzt das Vertrauen der Leute in Michigan, nicht in Charkow." Bezahlen würden Trumps Wahlsieg so oder so die Europäer.
Der russische Ex-Präsident Dmitri Mewedew lobte, Trump habe eine sehr "nützliche Eigenschaft": Er verschwende kein Geld für "dumme Verbündete", womit die Ukraine gemeint war.
"Geld löst nicht alle Probleme", spottete Polit-Blogger Georgi Bovt mit Hinweis darauf, dass Kamala Harris deutlich mehr Spendengelder in den Wahlkampf investiert hatte als Trump. Die US-Demokraten hätten ihrer eigenen Propaganda geglaubt, was immer ein Fehler sei. Über die Trump-Wähler schrieb Bovt ironisch: "Nur eines hassen sie mehr als erfolgreiche, kinderlose Frauen – erfolgreiche, kinderlose Frauen mit dunkler Hautfarbe." Eine Anspielung darauf, dass russische Rechtsnationalisten kinderlose Frauen unter Druck setzen wollen, um die Zahl der Geburten zu erhöhen.
"Russland wird den Chinesen überlassen"
Politologe Anatoli Nesmijan (externer Link) hält das Wahlprogramm von Kamala Harris für zu "komplex und unrealistisch". Trumps Vorhaben seien "einfacher" und hätten mehr Chancen, umgesetzt zu werden: "Tatsächlich werden Russland und ein erheblicher Teil der wilden Dritten Welt jetzt den Chinesen überlassen."
Trump selbst werde sich China und Europa vorknöpfen: "Es macht Sinn, dass die drei größten Absatzmärkte der Welt ein nachhaltigeres Steuerungssystem als das derzeitige chaotische Durcheinander schaffen. Weltweite Projekte der Demokraten mögen ja gut sein, aber es ist noch nicht möglich, ein so komplexes soziales Gebilde wie die arbeitsteilige Weltordnung in den Griff zu bekommen – es gibt keine Managementtechniken auf dieser Ebene, sie müssen erst noch geschaffen werden."
"Nur wenige werden sich an Biden erinnern"
Der kremlkritische Politologe Andrei Nikulin (externer Link) lenkt sein Augenmerk nicht auf Trump, sondern auf Joe Biden: "Ein Mensch, der ein sinnloses Risiko eingegangen ist, mehr setzte, als er hatte, andere bloßstellte, zögerte, seine eigene Stärke falsch einschätzte – ein solcher Mensch muss bestraft werden. Das Problem ist, dass viele andere mit ihm bestraft werden. Eine traurige Lektion für viele andere Politiker. Nur wenige Menschen werden sich an ihn erinnern. Die letzten Monate, die Joe vor Trumps Amtseinführung bevorstehen, könnten bitterer werden als das Ende von König Lear."
Das knappe Fazit eines russischen Kolumnisten, der Trump als "Sturmgewehr von Elon Musk" bezeichnete: "Auf jeden Fall wird sich die Welt mit dem 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht langweilen."
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