Bei einer Begegnung im Februar 2024
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Bestes Einvernehmen: Russlands Außenminister Lawrow (rechts) mit dem Amtskollegen aus Mali, Abdoulaye Diop

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"Schamlose Lüge": Grotesker Netzstreit um tote russische Söldner

Bei einem Einsatz im Norden von Mali starben zahlreiche Kämpfer der russischen Privatarmee "Wagner". Die Deutungsmuster sind höchst widersprüchlich: Die einen vermuten, dass Putin sich unerwünschter Söldner entledigte, andere sind vorsichtiger.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Im weitgehend menschenleeren Grenzgebiet zwischen Mali und Algerien wurde eine Einheit russischer Söldner aufgerieben, die gegen angebliche "Islamisten" im Einsatz war. Angeblich erschwerte ein Sandsturm den Einsatz der Luftwaffe, sodass die gegnerischen Tuareg-Rebellen leichtes Spiel hatten. Rund 25 Russen sollen ums Leben gekommen sein, darunter prominente Kommandeure und Telegram-Kanal-Betreiber. Viele weitere Söldner sollen verwundet worden sein und gingen in Gefangenschaft, meldeten russische Medien, darunter auch solche mit besten Verbindungen zur Privatarmee "Wagner".

Der politische Gesichtsverlust löste in Russland erhebliches Aufsehen und einen Streit um die Deutungshoheit aus, sowohl unter den Ultrapatrioten, als auch unter kremlkritischen Politikwissenschaftlern.

"Wird leider zu Verlusten führen"

"Wagner"-Fans verdächtigten sofort das russische Verteidigungsministerium, mit der Weitergabe von Standortdaten insgeheim dazu beigetragen zu haben, lästige Söldner loszuwerden. Die Chefs der Privatarmee, die vor gut einem Jahr einen Putschversuch gegen die Kreml-Generäle gewagt hatten, waren am 23. August 2023 bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, darunter Unternehmensboss Jewgeni Prigoschin. Daraufhin waren Teile der Truppe nach Belarus emigriert, andere hatten sich in Afrika verpflichtet. Das dortige russische Engagement steht nun in der Kritik.

"Was in Mali geschah, ist eine Folge der Tatsache, dass alle Kommandeure, die wussten, wie man kämpft, dabei aber ihre eigene Meinung bewahrten, trotz ihrer Erfahrungen aus ihren Führungspositionen entfernt wurden. Sie wurden durch Menschen ersetzt, die keine Meinung haben", schimpft einer der prominentesten Militärblogger mit 214.000 Fans: "Die Ereignisse, die stattgefunden haben, waren zu erwarten und wir denken, dass das erst der Anfang ist – eine solche Politik wird leider nicht zum Erfolg, sondern zu Verlusten führen."

"Musste alles so enden"

"Seit dem Tod von Prigoschin geht es der Privatarmee Wagner immer schlechter. Verlust der Finanzierung, Verlust der medialen Unterstützung, Verlust kompetenter Anführer und Kämpfer, Verlust von Einflusssphären und Territorien. In ein oder zwei Jahren wird sich niemand mehr daran erinnern, obwohl es ein ziemlich erfolgreiches Projekt war", so ein weiterer Kommentator. Der im Ausland arbeitende Politologe Abbas Galljamow schrieb, angesichts der "Moralvorstellungen" von Putins Elite wolle er eine interne Abrechnung nicht ausschließen. Weitere Beobachter hielten das Schicksal der Söldnertruppe für "besiegelt": "Früher oder später musste alles so enden."

Exil-Politologe Anatoli Nesmijan verwies auf ein massives Glaubwürdigkeitsproblem von Putin, der ständig behauptet, aufseiten des globalen Südens gegen den "kolonialistischen" Norden zu kämpfen. Das sei eine "schamlose" Lüge, wie fast alles, was der Kreml verbreite: "Es entsteht ein Paradoxon: Russland, das sich als Anführer der antikolonialen Bewegung positioniert, führt einen gnadenlosen Krieg ausgerechnet gegen eine [Tuareg-]Bewegung, die seit Jahrzehnten gegen Kolonialisten unterschiedlicher Couleur kämpft. Tatsächlich unterdrückt Russland genau diese antikoloniale Bewegung, zusammen mit anderen Kolonialisten, und ist deren Verbündeter."

"Bis die Schatzkammer leer ist"

Während viele russische Militärblogger raunen, Putin habe unter den ihm missliebigen Söldnern "aufgeräumt", versuchte das Regime mithilfe von Propaganda-Sendern wie "RT" die Version in Umlauf zu bringen, ukrainische Geheimdienste steckten hinter dem Gemetzel in der Sahara.

Andere bedauerten, die russischen Söldner hätten den Gegner womöglich "unterschätzt", die Kreml-Behörden seien zu langsam und zu unbeweglich, um zu politischen Erfolgen in Afrika beizutragen. Politologe Andrei Nikulin verglich Russland mit der Schweiz, allerdings nicht der heutigen: "Gemeint ist nicht das moderne, wohlhabende und erfolgreiche Alpenland, sondern sein Vorfahr aus dem Mittelalter, als das Hauptexportprodukt der Alpentäler, die an allem außer Menschen bitterarm waren, die Schweizer selbst darstellten. Sie bildeten den Kern der Söldnerarmeen und Palastwachen in der damals bekannten Welt. Bereit, jeden König oder Usurpator zu unterstützen und abzuschirmen, egal ob vor äußeren Feinden oder inneren Aufständen – bis die Schatzkammer des Palastes leer war."

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