Ein Mann steigt langsam aus dem Zug am Hofer Bahnhof, ein tiefes Strahlen leuchtet aus seinen Augen – Erinnerungen werden wach – an jenen 1. Oktober 1989. "Um 6.14 Uhr ist der Zug angekommen. Das war mein Schritt in die Freiheit", sagt die Schauspielerin Margarita Wiesner in der Rolle des jungen DDR-Bürgers.
Sie spielt aber nicht auf einer Bühne, sondern in und vor einem Zug – dem Eisenbahn-Theater "Das letzte Kleinod" aus Niedersachsen. Die blauen Waggons stehen auf einem Nebengleis direkt am Hofer Güterbahnhof. "Wir freuen uns sehr, dass wir hier am Originalschauplatz sind", sagt Regisseur Jens-Erwin Siemssen.
Bilder aus dem Theaterzug:
In Hof sind Anfang Oktober '89 innerhalb von wenigen Tagen der junge Mann und rund weitere 14.000 andere Männer, Frauen und Kinder aus der DDR mit Zügen angekommen. Sie wurden mit großen Jubel empfangen und von vielen Haupt- und Ehrenamtlichen aus der Stadt versorgt. Sie hatten alle nicht mehr dabei als Reisetaschen und Rucksäcke. Die DDR-Bürger hatten zuvor wochenlang in der Prager Botschaft der Bundesrepublik ausgeharrt, bis das SED-Regime endlich ihre Ausreise genehmigte. Und das unter der Bedingung, dass die Züge mit den Flüchtlingen von Prag wieder zurück in die DDR fahren und dann erst in den Westen.
Hof als Teil der Weltgeschichte
Hof sorgte vor 35 Jahren rund um den Globus für Schlagzeilen. Inzwischen erinnert ein Denkmal am Hauptbahnhof an die spektakuläre Reise der Botschaftsflüchtlinge. Aber in der deutschen Öffentlichkeit sind diese historischen Momente etwas in Vergessenheit beraten, bedauert der Hofer Kulturamtsleiter Peter Nürmberger. Umso wichtiger sei es, dass am Theater Hof das Schauspiel "Das Wunder von Hof" seine Uraufführung feiert. Nun gastiert drei Tage lang das Eisenbahn-Theater am Güterbahnhof.
Für das dokumentarische Theaterstück "Über den Zaun" hat Regisseur Siemssen mit dem Ensemble zahlreiche Zeitzeugen befragt: Botschaftsflüchtlinge, Mitarbeitende in der Botschaft, Anwohner in Prag, Helferinnen und Helfer in Hof. Und ihre Erlebnisse, ihre Sehnsüchte nach Freiheit und Demokratie, ihre Ängste in Szenen umgesetzt.
Sehnsucht nach Freiheit, Angst vor Gewalt
In und vor den Waggons erlebt das Publikum so die historischen Momente von 1989 hautnah mit. "Wir machen quasi eine Zeitreise. Sind zum Beispiel in den Wohnzimmern, wo die Menschen ihre Flucht planten, sind auf dem Weg nach Prag dabei und natürlich auch in Hof, wo sie so großartig empfangen wurden", sagt der Regisseur. Das Publikum ist auf mehreren Spielstationen unterwegs – sitzt mal mitten im Abteil mit den Schauspielern und Schauspielerinnen, steht dann wieder vor dem Zug in einem Küchenzelt, wie es das BRK im Garten der Botschaft aufgebaut hatte.
Zu den Requisiten gehört auch ein Trabi – er reist festgezurrt auf einem Waggon bei dieser ungewöhnlichen Tournee mit durch Deutschland.
Zum Audio: Theater im Zug
Die Bühne ist auch rollendes Zuhause für das Ensemble
Das Eisenbahn-Theater hat auch noch andere zeitgeschichtliche Stücke im Repertoire. Der Zug besteht aus elf ozeanblauen Waggons aus den 1920er Jahren. Sie sind nicht nur Bühne, sondern auch Werkstatt, Waschküche, Lager - und mit Schlafabteilen und Küche auch ein rollendes Zuhause auf Zeit für das 25-köpfige Team, erklärt Theater-Mitbegründerin Juliane Lenssen.
Beim Gang durch das Zug-Theater macht sie auch kurz Stopp im Büro-Abteil. "Wir haben uns in den letzten Jahren auch in die Bahnlogistik eingearbeitet", sagt sie lachend. Um den regulären Zugverkehr nicht zu stören, muss das Eisenbahn-Theater immer wieder auf Nebengleise parken. Um von Auftrittsort zu Auftrittsort zu kommen, muss immer eine Lok gechartert werden – eine eigene Lok würde das Budget des engagierten Theater-Ensembles sprengen.
Zu sehen ist "Über den Zaun" nun am Hofer Güterbahnhof (Beginn 18 Uhr – Tickets an der Abendkasse und über www.das-letzte-kleinod.de), dann geht es auf den Schienen weiter nach Plauen und Dresden – Teil der historischen Zugfahrt von 1989.
Video: 25 Jahre Mauerfall: Die Prager Botschaftsflüchtlinge
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