Dirk Brauns weiß, was er tut – auch wenn er nicht weiß, was ihn erwartet. Der 56-jährige Schriftsteller und Journalist wandert seit dieser Woche vom Obstbauernort Adelshofen bei Fürstenfeldbruck nach Berlin. Brauns hat diesen Marsch schon mal auf sich genommen, vor fast 30 Jahren und in umgekehrter Richtung. Seine Notizen erschienen damals als Buch.
Mit seiner Wanderung im Jahr 1995 setzte Brauns den Ton für seine kommenden Jahre, in denen es ihn nach Weißrussland verschlug, nach China und schließlich nach Oberbayern. Immer der Neugierde nach – und die ist es auch, die ihn nun antreibt, sagt er: "Ich interessiere mich für Menschen, ich liebe ihre Motive, will die kennenlernen. Ich will einfach nur erfahren, wie es ist."
Fragen über Glück und Radikalisierung
Brauns will alle fragen, die er kennenlernt, was sie eigentlich Glück nennen. Das soll sein Projekt sein, eines von zweien. Denn vor allem will er verstehen, was eigentlich gerade passiert in Deutschland. Am 1. September wird Brauns in Thüringen sein – am Abend der Landtagswahl, der Schicksalswahl, bei der die AfD so gut abschneiden könnte wie noch bei keiner Abstimmung zuvor.
"Es geht mir darum zu erforschen, warum Menschen hinter der bayerischen Landesgrenze doch anders ticken", so Brauns. "Ich habe meine ostdeutsche Lektion gelernt … und mich interessiert, wie diese Menschen da heute denken. Ich möchte das verstehen, warum sich Ostdeutsche aus gesamtdeutscher Sicht so radikalisieren."
Auf den Spuren von Thoreau und Werner Herzog
Mit seinem Vorhaben reiht sich Brauns ein in die Ahnengalerie der legendären Wandersleut': In den 1850er-Jahren streifte Henry David Thoreau durch die Wälder der USA, Dirk Brauns besitzt dieses legendäre Buch natürlich auch. 1974 pilgerte Filmemacher Werner Herzog von München nach Paris. 2020 schließlich wanderte die Journalistin Christiane Hoffmann von Schlesien nach Deutschland. Zu Fuß auf dem Fluchtweg ihres Vaters – und dem Ziel entgegen, das bei allen Wandersleuten immer hieß: Erkenntnis.
"Der Wanderer hat einen anderen Blick auf vieles", weiß Brauns. "Seine Langsamkeit ist eine große Chance. Sein Neben-der-Spur-gehen, Neben-der-Straße-gehen."
Über Thüringen nach Berlin
Und so geht es nun über Thüringen nach Berlin. Tagesmärsche bis zu 30 Kilometer, Nächte auf der Isomatte. Aber wer weiß: Einem Wanderer gibt man ja gern Quartier oder zumindest einen Segen. Wie jene alte Frau, die Brauns vor fast 30 Jahren in Pförring traf, bei Ingolstadt. Und die ihn fragte: "Sind Sie ein Wandersmann? Dann wünsche ich Ihnen Glück." Wie viel davon ihm in den kommenden Wochen zuteilwird, erzählt Brauns allen Interessierten auf seinem Instagram-Account (externer Link).
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