Rund 120 Jahre nach der Uraufführung hat die "Salome" von Richard Strauss offenbar immer noch Verstörungspotenzial: Am Deutschen Nationaltheater in Weimar ekelten sich jedenfalls einige Zuschauer hörbar, als die titelgebende Prinzessin den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan liebkoste, was in diesem Fall von Regisseurin Friederike Blum besonders blutig, aber auch effektvoll inszeniert war.
Und das mitten in Thüringen, wo der AfD-Erfolg derzeit alles überschattet, gerade auch die Arbeit der Kulturschaffenden. Der langjährige Intendant Hasko Weber gegenüber dem BR: "Ich sage Ihnen, ich bin froh, dass die heute alle hier sind und sich begeistern lassen von einer 'Salome', dass sie damit rausgehen und vielleicht im Foyer oder am Theaterplatz miteinander ins Gespräch kommen, obwohl sie sonst vielleicht kein Wort mehr miteinander wechseln. Ich halte diese Aufgabe des Theaters für politisch relevant, aber nicht für ideologisch relevant."
"Bestürzung kann ich nicht nachvollziehen"
Niemand weiß, wie viele anwesende Zuschauer zu den Wutbürgern gehören, deshalb ist es müßig darüber zu spekulieren, und müßig ist es nach Meinung von Hasko Weber auch, sich über die jüngsten Wahlergebnisse aufzuregen: "Alle Prognosen, die Landtagswahl betreffend, sind offen zugänglich gewesen, sichtbar gewesen, nachvollziehbar abgelaufen, das müssen wir als Tatsache erst mal akzeptieren. Diese Aufregung und die Bestürzung, die wir hier in Thüringen, Sachsen oder vielleicht auch demnächst in Brandenburg erleben, die kann ich nicht mehr nachvollziehen."
"Bessere Position kann AfD gar nicht haben"
Richtig erzürnt war Weber am Wahlabend beim Radiohören während einer längeren Autofahrt nicht über die Prozentzahlen, sondern über die Reaktionen in Berlin: "Also am Wahlabend zur Erkenntnis zu kommen, dass man mit den Menschen mal ins Gespräch kommen muss, das finde ich schon zynisch. Damit habe ich zu tun. Damit werden wir es nicht schaffen. Die AfD sitzt in der Opposition, eine bessere Position kann sie gar nicht haben. Die warten fünf Jahre lang, und wenn sich bis dahin nichts ändert, werden es deutlich mehr als 30 Prozent sein." Speziell für die 16-jährigen Erst- und Jungwähler, die zu großen Anteilen "Protestparteien" gewählt haben, habe es kaum Gesprächsangebote gegeben.
Kurzfristig müssen die Theater in Thüringen keine direkten finanziellen Auswirkungen der Landespolitik fürchten, die Gelder sind bis 2030 gesichert. Aber Hasko Weber treibt die Angst um, dass sich die demokratischen Parteien weiter im kleinlichen Hickhack aufreiben: "Wenn das sozusagen vor der Wahl klar gewesen wäre, dass auch die CDU mit den Linken, mit der SPD sagt, wir müssen diese Schwerpunkte bei der Infrastruktur in Thüringen gemeinsam anpacken, wir streiten uns darüber, aber wir machen das zusammen, dann wäre der Raum für Rechtsaußen viel kleiner gewesen."
Weber hält es für möglich, dass die demokratischen Parteien über eigentliche Koalitionen hinaus bei bestimmten wichtigen Politikfeldern, etwa der Ökologie und dem Klimaschutz, informelle Allianzen bilden und die Probleme inhaltlich angehen. Nur so, durch demonstrative Zusammenarbeit über ideologische Lagergrenzen hinweg, könne der Stillstands-Frust überwunden werden.
Enttäuscht über "Worthülsen" in Parteiprogrammen
Am Ende der Spielzeit wechselt Hasko Weber für ein Jahr von Weimar ins brandenburgische Cottbus, als Übergangsintendant. Auch dort will er politisch engagiertes Theater voranbringen. In Weimar endet seine Amtszeit mit einer dokumentarischen Uraufführung: "Wir sind das Volk" soll der Abend heißen: "Es gab Interviews vor der Landtagswahl mit einer großen Anzahl von Personen, die einen Querschnitt durch die Bevölkerung darstellen, bis in die politische Ebene hinein. Diese Interviews werden jetzt nach der Wahl mit denselben Personen noch mal geführt, und daraus entsteht das Material für die Inszenierung von Luise Vogt."
Enttäuscht ist Hasko Weber, und wohl nicht nur er, über die Worthülsen in den Parteiprogrammen zur Kulturpolitik und darüber, dass sich seit der Corona-Pandemie seiner Meinung nach besonders für freischaffende Künstler wenig bis nichts verbessert hat an den prekären finanziellen Rahmenbedingungen. Aber der Bundestagswahlkampf steht ja auch noch vor der Tür.
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